29.09.2023

BAG: Fristlose Kündigung wegen Äußerungen in einer Chat-Gruppe

Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung kann grundsätzlich nur der Verstoß gegen eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis sein. Problematisch wird es, wenn sich Arbeit und Privates mischt. Solch einen Fall hatte das BAG am 24.08.2023 (2 AZR 17/23) zu entscheiden

Sachverhalt:

Der bei der Beklagten beschäftigte Kläger gehörte seit 2014 einer Chat-Gruppe mit fünf anderen Arbeitnehmern an. Im November 2020 wurde ein ehemaliger Kollege als weiteres Gruppenmitglied aufgenommen. Alle Gruppenmitglieder waren nach den Feststellungen der Vorinstanz „langjährig befreundet“, zwei miteinander verwandt. Neben rein privaten Themen äußerte sich der Kläger – wie auch mehrere andere Gruppenmitglieder – in beleidigender und menschenverachtender Weise u.a. über Vorgesetzte und Arbeitskollegen. Nachdem die Beklagte hiervon zufällig Kenntnis erhielt, hörte sie den Kläger mit Schreiben vom 22.07.2021 und den Betriebsrat mit Schreiben vom 27.07.2021, der noch an diesem Tag der fristlosen Kündigung zustimmte. Mit Schreiben vom 28.07.2021 kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos und hilfsweise mit sozialer Auslauffrist zum 31.03.2022.

Entscheidung:

Das BAG ist der Auffassung, das Berufungsgericht habe rechtsfehlerhaft eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung des Klägers betreffend der ihm vorgeworfenen Äußerungen angenommen und das Vorliegen eines Kündigungsgrundes verneint. Eine Vertraulichkeitserwartung sei jedoch nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chat-Gruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen könnten. Das wiederum sei abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chat-Gruppe. Seien Gegenstand der Nachrichtigen – wie vorliegend – beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedürfe es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten könne, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.

Das BAG hat das Berufungsurteil insoweit aufgehoben und die Sache an das LAG zurückverwiesen. Dieses hat dem Kläger Gelegenheit für die ihm obliegende Darlegung zu geben, warum er angesichts der Größe der Chat-Gruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben dürfte.

Praxistipp:

Zum Persönlichkeitsschutz unter den Bedingungen eines besonderen Vertrauensverhältnisses gehört, Äußerungen von sich geben zu können, die gegenüber Außenstehenden oder der Öffentlichkeit nicht schutzwürdig wären. Die entscheidende Frage im vorliegenden Fall ist deshalb, ob die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das ist nur sehr eingeschränkt möglich. Dem Kläger wird es bei Fortsetzung des Prozesses angesichts der Größe und der Zusammensetzung der Chat-Gruppe vermutlich nicht gelingen, eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung darzulegen. Dann liegen die Voraussetzungen für die Annahme wichtiger Gründe für die fristlose Kündigung i.S.v. § 626 I BGB vor.