09.05.2025

Sonderkündigungsschutz für Schwangere – Zulassung einer verspäteten Kündigungsschutzklage

Sachverhalt

Die seit Dezember 2012 bei der Beklagten (Arbeitgeberin) beschäftigte Klägerin (Arbeitnehmerin) wurde mit Kündigungsschreiben vom 13. Mai 2022 durch die Beklagte ordentlich zum 30. Juni 2022 gekündigt.

Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung war die Klägerin unwissentlich schwanger. Hiervon erlangte sie ca. zwei Wochen später Kenntnis, nachdem sie einen Schwangerschaftstest durchführte. Über das positive Ergebnis informierte sie umgehend auch die Beklagte per E-Mail und bemühte sich um einen Termin bei einem Frauenarzt  bzw. einer Frauenärztin. Einen solchen erhielt sie erst für den 17. Juni 2022 und damit rund einen Monat nach Erhalt der Kündigung.

Am 13. Juni 2022 legte die Klägerin Kündigungsschutzklage ein und beantragte deren nachträgliche Zulassung gemäß § 5 I KSchG, da zu diesem Zeitpunkt die Klagefrist von drei Wochen (§ 4 S. 1 KSchG) bereits überschritten war.

Am 21. Juni 2022 reichte die Klägerin zudem ein ärztliches Zeugnis vom 20. Juni 2022 beim Arbeitsgericht ein, welches die am 17. Juni 2022 festgestellte Schwangerschaft bestätigte – danach hatte die Schwangerschaft bereits am 28. April 2022 begonnen.

Die beklagte Arbeitgeberin berief sich auf die Verfristung der Klage. Diese hätte nach § 4 S. 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung erhoben werden müssen. Eine nachträgliche Zulassung nach § 5 I S. 2 KSchG scheide aus, da die Arbeitnehmerin durch den positiven Test binnen der offenen Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG Kenntnis von der Schwangerschaft erlangt hatte. Eine fristgemäße Klageerhebung sei ihr daher noch möglich gewesen.

Entscheidung

Die gegen die Kündigung eingelegte Klage war in allen Instanzen erfolgreich. Zuletzt bestätigte der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 3.4.2025 – 2 AZR 156/24 – das mit der Revision der Beklagten angegriffene Urteil des LAG Sachsen vom 22.4.2024 – 2 Sa 88/23.

Zwar habe die Klägerin die Klageerhebungsfrist des § 4 KSchG versäumt. Die Klage war jedoch nachträglich zuzulassen. Der durch die Klägerin gestellte Antrag wurde durch diese zulässig gestellt und ist zudem gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG begründet.

Hinsichtlich der Frage, ob die Arbeitnehmerin erst nach Ablauf der Klageerhebungsfrist Kenntnis von der Schwangerschaft erlangt habe, ist auf den Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung der Schwangerschaft abzustellen. Die Verzögerung des Termins ist der Klägerin nicht anzulasten, diese habe sich nach dem eigens durchgeführten Schwangerschaftstest um einen Arzttermin bemüht und den frühestmöglichen Termin wahrgenommen. Dem steht auch nicht entgegen, dass der durch die Klägerin durchgeführte Test bereits ein positives Ergebnis auswies – dieser sei für die Kenntniserlangung nicht maßgeblich.

Das BAG führt insoweit ergänzend unter Berücksichtigung europarechtlicher Erwägungen aus, „dass einer Arbeitnehmerin, die kurz vor Ablauf der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG von ihrer Schwangerschaft bereits im Kündigungszeitpunkt Kenntnis erlangt, eine gewisse Zeit zugestanden werden muss, um sich darüber klar zu werden, ob sie eine Kündigungsschutzklage erheben möchte.“ (Entscheidungsründe zum Urteil vom 03.04.2025 , 2 AZR 156/24, Rn. 32)

Praxishinweis

Durch die europarechtlichen Erwägungen soll eine etwaige Verkürzung der Zeit, in welcher schwangere Arbeitnehmerinnen über die Wahrnehmung ihres Sonderkündigungsschutzes (gem. § 17 I KSchG) entscheiden können korrigiert werden. Diese unter Umständen erhebliche Verkürzung tritt insbesondere in den Fällen auf, in welchen eine Arbeitnehmerin von ihrer Schwangerschaft erst nach Erhalt einer Kündigung, aber vor Ablauf der Klageerhebungsfrist Kenntnis erlangt.

Die bisherige Rechtsprechung ist sich hinsichtlich der Dauer einer solchen Überlegungszeit uneins. Während das LAG Schleswig-Holstein in einem Beschluss v. 13.05.2008, 3 Ta 56/08 eine Überlegungszeit von drei Werktagen für ausreichend erachtet hatte, hat das in vorliegendem Rechtsstreit in zweiter Instanz betraute LAG Sachsen eine Überlegungszeit von mind. zwei Wochen für angemessen befunden. Mit der Frage, ob bzw. in welchem Umfang eine solche Überlegungszeit angemessen sei, hat sich das BAG vorliegend nicht weiter auseinandergesetzt.