BAG, Urteil vom 12.06.2019 – 7 AZR 548/17 (LAG Thüringen)

Sachverhalt:

Die Parteien schlossen zunächst im Mai 2014 einen Arbeitsvertrag, wonach der Kläger vom 1.10.2014 bis 30.9.2015 bei der Beklagten beschäftigt werden sollte („1. Befristung“). Aufgrund eines krankheitsbedingten Ausfalls bat die Beklagte den Kläger, seine Tätigkeit schon früher aufzunehmen. Daraufhin schlossen die Parteien am 1.8.2014 einen weiteren Arbeitsvertrag, wonach der Kläger von 14.7.2014 bis 31.7.2015 bei der Beklagten arbeiten sollte („2. Befristung“). Die Parteien verlängerten die Vertragslaufzeit mit Änderungsvertrag vom 13.3.2015 bis zum 31.1.2016 („3. Befristung“). Mit seiner Klage macht der Kläger die Unwirksamkeit der 3. Befristung geltend. Das ArbG hat die Klage abgewiesen, das LAG hat die dagegen eingelegte Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Entscheidung:

Die Revision des Klägers hat Erfolg. Entgegen der Rechtsauffassung des LAG stelle das Arbeitsverhältnis der 1. Befristung grds. eine relevante Vorbeschäftigung i.S.d. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG für die späteren Befristungen dar. Das Vorbeschäftigungsverbot greife auch dann ein, wenn ein Arbeitsverhältnis nicht in Vollzug gesetzt wurde. Maßgeblich sei allein, ob ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Ein Arbeitsverhältnis entstehe in dem Zeitpunkt, in dem die Arbeitsvertragsparteien ihre wechselseitigen Rechte und Pflichten begründen wollen. Das sei im Regelfall der Zeitpunkt des arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitsbeginns. Allerdings stehe die 1. Befristung vorliegend den späteren Befristungen ohne Sachgrund nicht entgegen, weil die 2. Befristung bereits vereinbart wurde, bevor das Arbeitsverhältnis der 1. Befristung begonnen hatte.

Die 3. Befristung sei jedoch möglicherweise unwirksam, weil sie der Verlängerung der 2. Befristung diene und diese wegen einer relevanten Vorbeschäftigung unwirksam sein könnte. Eine Verlängerung sei nur dann ohne Sachgrund möglich, wenn der Ausgangsvertrag wirksam sachgrundlos befristet sei. Das BAG konnte nicht feststellen, ob der Kläger bereits vor Vertragsschluss und schriftlicher Vereinbarung der 3. Befristung am 1. August 2014 bei der Beklagten die Arbeit aufgenommen hatte, ohne dass die Parteien eine Befristung zuvor (mündlich oder konkludent) vereinbart hatten. In diesem Fall wäre ab Arbeitsaufnahme ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis entstanden. Dieses hätte nicht nachträglich ohne Sachgrund befristet werden können. Das Vorbeschäftigungsverbot sei auch nicht verfassungskonform einzuschränken, weil die Vorbeschäftigung mit ca. zwei Wochen sehr kurz gewesen sei. Die Möglichkeit, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zwei Wochen nach Arbeitsaufnahme zu befristen, gefährde den Zweck, das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten.

Praxishinweis:

Das Bundesarbeitsgericht widmet sich in dieser etwas komplizierten Konstellation verschiedenen Fragen rund um das Vorbeschäftigungsverbot. Die von ArbG und LAG abweichende Schlussfolgerung des BAG, dass die tatsächliche Arbeitsaufnahme für eine Vorbeschäftigung nicht entscheidend ist, erscheint nicht zwingend, spricht § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG doch abweichend von S. 1 nicht von Arbeitsvertrag, sondern Arbeitsverhältnis. Worin das BAG die durch das Verständnis der Vorinstanzen erhöhte Gefahr von Kettenbefristungen sieht, ist auf Grundlage der recht knappen Argumentation ebenfalls nicht nachvollziehbar.

Der Abschluss eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrages (2. Befristung) vor einem befristeten Arbeitsverhältnis (1. Befristung), das noch nicht angetreten wurde, ist möglich.

Der Abschluss eines dritten sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrages nach der 1. Befristung ist nicht möglich, da die 1. Befristung als Vorbeschäftigung i.S. d. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG gilt und dies unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer die 1. Befristung tatsächlich aufgenommen hat, denn das Vorbeschäftigungsverbot greift laut BAG auch dann ein, wenn ein Arbeitsverhältnis nicht in Vollzug gesetzt wurde.

Neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 23.01.2019 – 7 AZR 733/16)

Unveränderte Gesetzeslage:
§ 14 Abs. 2 Tz­B­fG er­laubt bei Neu­ein­stel­lun­gen die Be­fris­tung von Ar­beits­verhält­nis­sen oh­ne ei­nen Sach­grund, und zwar bis zu ei­ner Dau­er von ma­xi­mal zwei Jah­ren. Für länge­re Be­fris­tun­gen bzw. Be­fris­tungs­ket­ten sind sach­li­che Gründe er­for­der­lich. Die ers­ten bei­den Sätze von § 14 Abs. 2 Tz­B­fG lau­ten:

„Die ka­len­dermäßige Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­ver­tra­ges oh­ne Vor­lie­gen ei­nes sach­li­chen Grun­des ist bis zur Dau­er von zwei Jah­ren zulässig; bis zu die­ser Ge­samt­dau­er von zwei Jah­ren ist auch die höchs­tens drei­ma­li­ge Verlänge­rung ei­nes ka­len­dermäßig be­fris­te­ten Ar­beits­ver­tra­ges zulässig. Ei­ne Be­fris­tung nach Satz 1 ist nicht zulässig, wenn mit dem­sel­ben Ar­beit­ge­ber be­reits zu­vor ein be­fris­te­tes oder un­be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis be­stan­den hat.“

Das heißt: Be­stand zwi­schen ei­nem Ar­beit­ge­ber und ei­nem „neu“ ein­ge­stell­ten Ar­beit­neh­mer schon ein­mal ein Ar­beits­verhält­nis, ist ei­ne sach­grund­lo­se Be­fris­tung un­zulässig. Da­bei macht das Ge­setz kei­ner­lei Aus­nah­men, d.h. sach­grund­lo­se Be­fris­tun­gen sind (an­schei­nend) auch dann aus­ge­schlos­sen, wenn das vor­he­ri­ge Ar­beits­verhält­nis z.B. schon 20 Jah­re zurück­liegt und nur von kur­zer Dau­er war.

Frühere Rechtsprechung des BAG:
Mit ei­nem sol­chen un­be­schränk­ten „Vor­beschäfti­gungs­ver­bot“ woll­te sich das BAG nicht ab­fin­den und ent­schied im Jah­re 2011, dass die Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses oh­ne Sach­grund be­reits dann möglich ist, wenn zwi­schen den Par­tei­en mehr als drei Jah­re lang kein Ar­beits­verhält­nis be­stand.

Die­se BAG-Recht­spre­chung war um­strit­ten, da die aus dem Jah­re 2000 stam­men­de Be­fris­tungs­re­ge­lung des § 14 Abs.2 Satz 2 Tz­B­fG kei­ne An­halts­punk­te für ei­ne dreijähri­ge Ka­renz­zeit bie­tet.

Da­her ur­teil­ten seit 2011 ei­ni­ge Ar­beits- und Lan­des­ar­beits­ge­rich­te (LAG) ab­wei­chend von der BAG-Li­nie. Sie ga­ben Ar­beit­neh­mern, die ge­gen ei­ne sach­grund­lo­se Be­fris­tung klag­ten, auch dann recht, wenn der Be­fris­tung ei­ne länger als drei Jah­re zurück­lie­gen­de Vor­beschäfti­gung vor­aus­ging.

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts:
Mit Beschluss vom 06.06.2018 (Az. 1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14) beendete das Bundesverfassungsgericht die­se Dis­kus­si­on im Sin­ne der Kri­ti­ker des BAG: Ei­ne Drei­jah­res-Gren­ze er­gibt sich nicht aus dem Ge­setz, so die Karls­ru­her Rich­ter. Da­her verstößt die BAG-Recht­spre­chung ge­gen die Bin­dung der Jus­tiz an Ge­setz und Recht und ist da­mit ver­fas­sungs­wid­rig.

Al­ler­dings ist auch das BVerfG der Mei­nung, dass es in (sel­te­nen) Ex­tremfällen ge­bo­ten ist, sach­grund­lo­se Be­fris­tun­gen trotz ei­ner Vor­beschäfti­gung als wirk­sam zu be­wer­ten, um un­zu­mut­ba­re Er­geb­nis­se zu ver­mei­den. Sol­che Aus­nah­mefälle lie­gen z.B. dann vor, wenn ein frühe­res Ar­beits­verhält­nis schon „sehr lang zurück­liegt, ganz an­ders ge­ar­tet war oder von sehr kur­zer Dau­er ge­we­sen ist“.

Neue Rechtsprechung des BAG:

In dem vom BAG ent­schie­de­nen Streit­fall ging es um ei­nen 1972 ge­bo­re­nen Me­tall­fach­ar­bei­ter, der be­reits vom 19.03.2004 bis zum 30.09.2005 und da­mit gut ein­ein­halb Jah­re als ge­werb­li­cher Ar­beit­neh­mer bei dem be­klag­ten Au­to­mo­bil­pro­du­zen­ten ge­ar­bei­tet hat­te.

Da­nach trenn­ten sich die We­ge der Par­tei­en für knapp acht Jah­re, bis der Ar­beit­neh­mer er­neut bei sei­nem Ex-Ar­beit­ge­ber als Fach­ar­bei­ter im Be­reich „Pro­duk­ti­on und Lo­gis­tik“ ein­ge­stellt wur­de, und zwar sach­grund­los be­fris­tet vom 19.08.2013 bis zum 28.02.2014. Nach drei wei­te­ren Verlänge­run­gen en­de­te die­ses Ar­beits­verhält­nis mit dem Ab­lauf des 18.08.2015, d.h. es hat­te ei­ne Dau­er von ge­nau zwei Jah­ren.

Der Ar­beit­neh­mer woll­te sich die­se Be­fris­tung nicht ge­fal­len las­sen und er­hob Ent­fris­tungs­kla­ge vor dem Ar­beits­ge­richt Stutt­gart, das ihm recht gab (Ur­teil vom 14.01.2016, 21 Ca 5246/15). Das für die Be­ru­fung zuständi­ge LAG Ba­den-Würt­tem­berg ent­schied eben­falls zu sei­nen Guns­ten (LAG Ba­den-Würt­tem­berg Ur­teil vom 11.8.2016, 3 Sa 8/16).

Auch in Er­furt vor dem BAG hat­te der Kläger Er­folg, der da­mit sei­ne Ent­fris­tung durch­set­zen konn­te. In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG heißt es zur Be­gründung:

Seit 2011 hat­te das BAG zwar ent­schie­den, dass § 14 Abs.2 Satz 2 Tz­B­fG nicht auf Vor­beschäfti­gun­gen an­zu­wen­den ist, die länger als drei Jah­re zurück­lie­gen. Die­se BAG-Recht­spre­chung kann je­doch auf­grund des BVerfG-Be­schlus­ses vom 06.06.2018 (1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14) nicht auf­recht­er­hal­ten wer­den, so das BAG re­umütig. Denn mit die­ser Recht­spre­chung hat­te das BAG „die Gren­zen ver­tret­ba­rer Aus­le­gung ge­setz­li­cher Vor­ga­ben über­schrit­ten“, weil der Ge­setz­ge­ber des Jah­res 2000 ei­ne sol­che Ka­renz­zeit „er­kenn­bar nicht re­geln“ woll­te.

Ein „extremer Ausnahmefall“ lag bei einer Zwischenzeit von 8 Jahren zwischen den beiden Beschäftigungsverhältnissen ebenfalls nicht vor.

Bemerkenswert:
Sch­ließlich konn­te sich der Ar­beit­ge­ber auch nicht dar­auf be­ru­fen, dass er bei Ab­schluss des sach­grund­los be­fris­te­ten Ver­trags auf die seit 2011 be­ste­hen­de BAG-Recht­spre­chung ver­traut hat­te. Ei­nen sol­chen Ver­trau­ens­schutz gewährt das BAG nicht. Denn der Ar­beit­ge­ber muss­te bei Ab­schluss des ers­ten Ver­trags und der drei Verlänge­rungs­ver­ein­ba­run­gen mit der Möglich­keit rech­nen, dass die für ihn güns­ti­ge BAG-Recht­spre­chung vor dem BVerfG kei­nen Be­stand ha­ben könn­te.

Praxishinweis:

Vor jeder Neueinstellung empfiehlt es sich daher unbedingt, zu prüfen, ob der künftige Arbeitnehmer bereits jemals zuvor – und nicht nur innerhalb der letzten 3 Jahre – bei dem einstellungswilligen Arbeitgeber beschäftigt war. Eine erneute sachgrundlose Befristung wird – außer in ganz extremen Fällen – dann nicht mehr möglich sein.