Für alle Dienstherren von Scheinselbstständigen hat das BAG nunmehr ein kleines Trostpflaster entschieden.

Sachverhalt:

Die Klägerin verlangt vom Beklagten Rückforderung überzahlter Honorare aus einem fälschlicherweise als freies Dienstverhältnis qualifizierten Arbeitsverhältnis. Der Beklagte war seit dem 1.2.2001 auf Basis eines „Dienstleistungsvertrags über EDV-Systemadministration“ bei der Klägerin tätig. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 16.3.2009 stellte die Deutsche Rentenversicherung Bund auf Antrag des Beklagten fest, dass dieser während der gesamten Tätigkeit bei der Klägerin in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Dagegen eingelegte Rechtsmittel der Klägerin blieben erfolglos. Anschließend wurde die Klägerin auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in Anspruch genommen. Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, der Beklagte habe angesichts des Irrtums der Parteien über den rechtlichen Status des Beklagten keinen Anspruch auf das für eine freie Mitarbeit vereinbarte Honorar, sondern lediglich auf die (niedrigere) übliche Vergütung eines Arbeitnehmers gehabt. Sie verlangt vom Beklagten Rückzahlung des Differenzbetrags sowie (zweitinstanzlich) die Erstattung von Arbeitgeberanteilen am Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat die dagegen eingelegte Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Entscheidung:

1. Stellt sich ein von den Parteien fälschlicherweise als freies Dienstverhältnis qualifiziertes Vertragsverhältnis rückwirkend als Arbeitsverhältnis dar, darf der Mitarbeiter i.d.R. nicht davon ausgehen, das für die freie Mitarbeit vereinbarte Honorar entspreche zugleich der Vergütung für eine abhängige Beschäftigung. (amtl. Leitsatz)

2. Der Arbeitgeber kann überzahlte Honorare aus einem vermeintlich freien Dienstverhältnis gem. § 812 I 1 Alt. 1 BGB vom Arbeitnehmer zurückfordern. Er muss sich aber neben der im Arbeitsverhältnis geschuldeten Bruttovergütung auch den hierauf entfallenden Arbeitgeberanteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag anrechnen lassen.

Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Die Klägerin habe Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Honorare, wenn der Arbeitnehmerstatus eines freien Mitarbeiters rückwirkend festgestellt wird und die im Arbeitsverhältnis geschuldete Vergütung niedriger ist als das für die freie Mitarbeit vereinbarte Honorar. Zwischen den Parteien habe nicht – wie ursprünglich angenommen – ein freies Dienstverhältnis, sondern ein Arbeitsverhältnis bestanden. Dies folge zwar nicht unmittelbar aus der sozialversicherungsrechtlichen Bewertung. Der Beklagte habe aber in den Vorinstanzen nicht bestritten, auf Basis eines Arbeitsverhältnisses für die Klägerin tätig geworden zu sein. Der Beklagte habe ohne weitere Anhaltspunkte auch nicht davon ausgehen dürfen, das für das freie Dienstverhältnis vereinbarte Stundenhonorar stehe ihm auch im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses als Bruttoarbeitsentgelt zu. Das Honorar eines freien Mitarbeiters decke typischerweise zugleich Risiken ab, die einen Arbeitnehmer nicht treffen (fehlender Schutz durch die gesetzliche Sozialversicherung, Verlust des Vergütungsanspruchs bei Arbeitsausfällen, fehlender Kündigungsschutz, höhere Haftungsrisiken). Da der Beklagte keine besonderen Anhaltspunkte dafür vorgetragen habe, dass ihm das für die freie Mitarbeit vereinbarte Honorar auch als Vergütung für abhängige Arbeit zustehen soll und sich die Höhe der Arbeitsvergütung auch durch ergänzende Vertragsauslegung nicht zweifelsfrei bestimmen lasse, habe er während seiner Tätigkeit für die Klägerin gem. § 612 II BGB Anspruch auf die für einen Arbeitnehmer übliche Bruttovergütung gehabt. Diese übliche Bruttoarbeitsvergütung einschließlich der hierauf entfallenden Arbeitgeberanteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag müsse sich die Klägerin auf ihren Rückforderungsanspruch gem. § 812 I 1 Alt. 1 BGB anrechnen lassen. Der Rückforderungsanspruch ist nach Ansicht des BAG trotz fehlender arbeitsgerichtlicher Feststellung des Arbeitnehmerstatus nicht unter Vertrauensschutzgesichtspunkten ausgeschlossen. Denn der Beklagte habe zuvor selbst ein sozialrechtliches Statusfeststellungsverfahren eingeleitet und daher damit rechnen müssen, dass sich die Klägerin das Ergebnis dieser Prüfung zum Zwecke der Rückabwicklung zu eigen mache.

Praxishinweis:

Da das BSG zunehmend von den Parteien beabsichtigte freie Mitarbeiterverhältnisse als abhängige Beschäftigungsverhältnisse einstuft, sehen sich viele Arbeitgeber in der Pflicht der Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen an die Deutsche Rentenversicherung. Dabei geht es nicht selten um nicht unerhebliche Beträge. Im Gegenzug sollte aufgrund der vorliegenden BAG-Rechtsprechung auf Arbeitgeberseite nunmehr jedoch geprüft werden, ob nicht eine Rückforderung gegenüber dem Scheinselbstständigen in Betracht kommt, um die nachträglich unerwartete finanzielle Belastung im Rahmen zu halten.

Der Sachverhalt:

Der Beklagte wurde von der Klägerin zum 15.8.2016 als Verkehrspilot für das Flugzeug Muster B zu einem Bruttomonatsverdienst von 7.500 EUR eingestellt. Der Arbeitsvertrag vom 5.8.2016 wurde dazu unter der Bedingung geschlossen, dass der Arbeitnehmer eine gültige EASA-FCL-Lizenz samt „Type Rating“ und das dazu gehörige Tauglichkeitszeugnis (Klasse 1) vor Dienstantritt vorlegt (§ 2). In § 7 IV des Arbeitsvertrags hieß es u.a. außerdem: „Bei dauerhaftem Wegfall … der medizinischen Tauglichkeit wird ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses mit gegenseitiger Suspendierung von den Leistungspflichten vereinbart. Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses endet … durch Auflösung des Arbeitsverhältnisses.“

Am 5.8.2016 kam es auch noch zu einer getrennten „Fortbildungsvereinbarung“. Darin war festgehalten, dass der Arbeitnehmer fünf Tage an einer Fortbildungsmaßnahme zur Aufrechterhaltung der Musterberechtigung („Type Rating“) teilnimmt. Nach Ziff. 2.1 der Zusatzvereinbarung übernahm die Arbeitgeberin die Kosten, die sich auf insgesamt 21.818 US-Dollar beliefen. Ziff. 3 der Vereinbarung enthielt die Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Rückzahlung, falls er vor dem 28.2.2017 aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden sollte, falls „das Arbeitsverhältnis aus einem nicht von der Arbeitgeberin veranlassten, auch nicht mit veranlassten Grund, durch den Arbeitnehmer gekündigt wird.“ Nach Ziff. 3.2 vermindert sich der Rückzahlungsbetrag um 1/6 für jeden vollen Kalendermonat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses.

Der Beklagte nahm seine Tätigkeit am 15.8.2016 auf. Er absolvierte die Fortbildungsmaßnahme und die Klägerin bezahlte die angefallene Teilnahmegebühr. Mit Schreiben vom 29.1.2017 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis innerhalb der sechsmonatigen Probezeit zum 13.2.2017. Nach erfolgloser Geltendmachung hat die Klägerin mit ihrer am 31.5.2017 eingereichten Klage die Rückzahlung von 3.279,61 EUR (1/6 der angefallenen Fortbildungskosten) nebst Zinsen verlangt. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung des BAG

Auch das Bundesarbeitsgericht folgt den Vorinstanzen: Die Regelung in Ziff. 3.1 der Fortbildungsvereinbarung – so der 9. Senat – benachteilige den Beklagten unangemessen i.S.v. § 307 I 1 BGB und sei daher unwirksam.

Die Fortbildungsvereinbarung knüpfe eine Rückzahlungspflicht des Arbeitnehmers alleine an eine von diesem erklärte Kündigung an. Nach § 307 I 1 BGB seien AGB-Bestimmungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligten. In Zusammenschau mit § 7 IV des Arbeitsvertrags sei die Rückzahlungsklausel zu weit gefasst. Die Klausel sehe eine Rückzahlungspflicht auch dann vor, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis unverschuldet kündige. (BAG, Urteil vom 11.12.2018 – 9 AZR 383/18)

Praxishinweis

Die Entscheidung steht in einer Reihe von Entscheidungen, die sehr hohe Anforderungen an wirksame Rückzahlungsklauseln bei vom Arbeitgeber finanzierter Fortbildung stellen. Um nicht Gefahr zu laufen, erhebliche Investitionen ohne Gegenleistung gemacht zu haben, ist Arbeitgebern dazu zu raten, sich vor Abschluss von Fortbildungsvereinbarung beraten zu lassen. Für den Arbeitnehmer kann sich bei unwirksamen Rückzahlungsvereinbarungen Arbeitgeberwechsel ohne das vermeintliche Risiko eine Rückzahlung von Fortbildungskosten ergeben.