Sachverhalt
Die seit Dezember 2012 bei der Beklagten (Arbeitgeberin) beschäftigte Klägerin (Arbeitnehmerin) wurde mit Kündigungsschreiben vom 13. Mai 2022 durch die Beklagte ordentlich zum 30. Juni 2022 gekündigt.
Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung war die Klägerin unwissentlich schwanger. Hiervon erlangte sie ca. zwei Wochen später Kenntnis, nachdem sie einen Schwangerschaftstest durchführte. Über das positive Ergebnis informierte sie umgehend auch die Beklagte per E-Mail und bemühte sich um einen Termin bei einem Frauenarzt bzw. einer Frauenärztin. Einen solchen erhielt sie erst für den 17. Juni 2022 und damit rund einen Monat nach Erhalt der Kündigung.
Am 13. Juni 2022 legte die Klägerin Kündigungsschutzklage ein und beantragte deren nachträgliche Zulassung gemäß § 5 I KSchG, da zu diesem Zeitpunkt die Klagefrist von drei Wochen (§ 4 S. 1 KSchG) bereits überschritten war.
Am 21. Juni 2022 reichte die Klägerin zudem ein ärztliches Zeugnis vom 20. Juni 2022 beim Arbeitsgericht ein, welches die am 17. Juni 2022 festgestellte Schwangerschaft bestätigte – danach hatte die Schwangerschaft bereits am 28. April 2022 begonnen.
Die beklagte Arbeitgeberin berief sich auf die Verfristung der Klage. Diese hätte nach § 4 S. 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung erhoben werden müssen. Eine nachträgliche Zulassung nach § 5 I S. 2 KSchG scheide aus, da die Arbeitnehmerin durch den positiven Test binnen der offenen Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG Kenntnis von der Schwangerschaft erlangt hatte. Eine fristgemäße Klageerhebung sei ihr daher noch möglich gewesen.
Entscheidung
Die gegen die Kündigung eingelegte Klage war in allen Instanzen erfolgreich. Zuletzt bestätigte der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 3.4.2025 – 2 AZR 156/24 – das mit der Revision der Beklagten angegriffene Urteil des LAG Sachsen vom 22.4.2024 – 2 Sa 88/23.
Zwar habe die Klägerin die Klageerhebungsfrist des § 4 KSchG versäumt. Die Klage war jedoch nachträglich zuzulassen. Der durch die Klägerin gestellte Antrag wurde durch diese zulässig gestellt und ist zudem gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG begründet.
Hinsichtlich der Frage, ob die Arbeitnehmerin erst nach Ablauf der Klageerhebungsfrist Kenntnis von der Schwangerschaft erlangt habe, ist auf den Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung der Schwangerschaft abzustellen. Die Verzögerung des Termins ist der Klägerin nicht anzulasten, diese habe sich nach dem eigens durchgeführten Schwangerschaftstest um einen Arzttermin bemüht und den frühestmöglichen Termin wahrgenommen. Dem steht auch nicht entgegen, dass der durch die Klägerin durchgeführte Test bereits ein positives Ergebnis auswies – dieser sei für die Kenntniserlangung nicht maßgeblich.
Das BAG führt insoweit ergänzend unter Berücksichtigung europarechtlicher Erwägungen aus, „dass einer Arbeitnehmerin, die kurz vor Ablauf der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG von ihrer Schwangerschaft bereits im Kündigungszeitpunkt Kenntnis erlangt, eine gewisse Zeit zugestanden werden muss, um sich darüber klar zu werden, ob sie eine Kündigungsschutzklage erheben möchte.“ (Entscheidungsründe zum Urteil vom 03.04.2025 , 2 AZR 156/24, Rn. 32)
Praxishinweis
Durch die europarechtlichen Erwägungen soll eine etwaige Verkürzung der Zeit, in welcher schwangere Arbeitnehmerinnen über die Wahrnehmung ihres Sonderkündigungsschutzes (gem. § 17 I KSchG) entscheiden können korrigiert werden. Diese unter Umständen erhebliche Verkürzung tritt insbesondere in den Fällen auf, in welchen eine Arbeitnehmerin von ihrer Schwangerschaft erst nach Erhalt einer Kündigung, aber vor Ablauf der Klageerhebungsfrist Kenntnis erlangt.
Die bisherige Rechtsprechung ist sich hinsichtlich der Dauer einer solchen Überlegungszeit uneins. Während das LAG Schleswig-Holstein in einem Beschluss v. 13.05.2008, 3 Ta 56/08 eine Überlegungszeit von drei Werktagen für ausreichend erachtet hatte, hat das in vorliegendem Rechtsstreit in zweiter Instanz betraute LAG Sachsen eine Überlegungszeit von mind. zwei Wochen für angemessen befunden. Mit der Frage, ob bzw. in welchem Umfang eine solche Überlegungszeit angemessen sei, hat sich das BAG vorliegend nicht weiter auseinandergesetzt.
Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 17.06.2021 (12 Ca 450/21) die außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers für wirksam befunden, die der Arbeitgeber aufgrund des Nichttragens einer Maske nach erfolgloser Abmahnung ausgesprochen hat.
Der Fall
Der klagende Arbeitnehmer war bei der beklagten Arbeitgeberin als Servicetechniker im Außendienst angestellt. Die Beklagte erteilte allen Servicetechnikern wegen der Pandemielage die Anweisung, bei der Arbeit bei Kunden eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Anfang Dezember 2020 weigerte sich der Kläger jedoch, einen Serviceauftrag bei einem Kunden durchzuführen, der ausdrücklich auf das Tragen einer Maske bestand. Unter dem Betreff „Rotzlappenbefreiung“ reichte der Kläger bei der Beklagten sodann ein im Juni 2020 auf Blankopapier ausgestelltes ärztliches Attest ein, in dem es heißt, dass es für den Kläger „aus medizinischen Gründen unzumutbar ist, eine nicht-medizinische Alltagsmaske oder eine vergleichbare Mund-Nasen-Bedeckung i.S.d. SARS-COV-2 Eindämmungsmaßnahmenverordnung zu tragen“. Daraufhin erteilte die Beklagte dem Kläger die Weisung, trotzdem eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, weil sie das Attest mangels konkreter nachvollziehbarer Angaben nicht anerkenne, aber die Kosten für den medizinischen Mund-Nasen-Schutz übernehmen werde. Nachdem der Kläger den Serviceauftrag weiterhin ablehnte, mahnte die Beklagte ihn zunächst ab. Dessen ungeachtet teilte der Kläger mit, dass er den Einsatz auch zukünftig nur durchführen werde, wenn er keine Maske tragen müsse. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich.
Die Entscheidung
Das Arbeitsgerichts Köln hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Mit seiner beharrlichen Weigerung, bei der Ausübung seiner Tätigkeit beim Kunden den von der Beklagten angeordneten und von dem Kunden verlangten Mund-Nasen-Schutz zu tragen, habe der Kläger wiederholt gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen verstoßen. Eine Rechtfertigung hierfür ergebe sich auch nicht aufgrund des vorgelegten Attests. Zum einen sei das Attest nicht aktuell gewesen; Zum anderen sei ein Attest ohne konkrete Diagnose eines Krankheitsbildes nicht hinreichend aussagekräftig, um eine Befreiung von der Maskenpflicht aus gesundheitlichen Gründen zu rechtfertigen. Schließlich bestünden Zweifel an der Ernsthaftigkeit der vom Kläger behaupteten medizinischen Einschränkungen, da der Kläger selbst den Mund-Nasen-Schutz als Rotzlappen bezeichnet habe und dem Angebot einer betriebsärztlichen Untersuchung nicht nachgekommen sei.
Eine der Besonderheiten und Herausforderungen des Arbeitsrechts ist, dass kein einheitliches Arbeitsgesetzbuch existiert; das Arbeitsrecht ist vielmehr geprägt durch eine für den juristischen Laien schier unüberblickbaren Vielzahl von Einzelgesetzen. Erschwerend kommt in diesem Zusammenhang dazu, dass viele Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien von dem Erreichen bestimmer Schwellenwerte abhängig sind, die nicht in sich stimmig sind, sondern stattdessen eher einem systemlosen Flickenteppich gleichen.
Im Folgenden haben wir Ihnen daher einen Überblick über die wichtigsten Schwellenwerte im Arbeitsrecht erstellt, der Ihnen als erste Orientierungshilfe dienen soll.
Bitte beachten Sie, dass die Schwellenwerte nicht immer gleich berechnet werden. Meistens stellen die Regelungen auf „in der Regel beschäftigte Arbeitnehmer“ ab, d.h. es ist die durchschnittliche Belegschaftsstärke entscheidend. Zum Teil kommt es jedoch auch auf eine Stichtagsberechnung an. In manchen Gesetzen werden Arbeitnehmer pro Kopf berechnet, wohingegen andere Gesetze Teilzeitkräfte nur anteilig mitzählen. Ob Auszubildende, Fremdgeschäftsführer und andere besondere Arbeitnehmergruppen mitzuzählen sind, wird ebenso uneinheitlich beantwortet. Zuletzt hat sogar der Betriebsbegriff in verschiedenen Gesetzen einen unterschiedlichen Bedeutungsgehalt. Sie sehen, dass der nachfolgende Überblick keine qualifizierte Rechtsberatung im Einzelfall ersetzen kann.
Anzahl Mitarbeiter | abgestellt wird auf | Arbeitsrechtliche Konsequenz | Gesetzliche Vorschrift |
1 | Betrieb | Abhängig von den Anforderungen der zuständigen Berufgenossenschaft kann Bestellung eines Betriebsarztes oder einer FAchkraft für Arbeitssicherheit erforderlich sein | §§ 2 ff. ASiG |
2 | Betrieb | Bestellung eines Ersthelfers | § 26 DGUV 1 |
5 | Betrieb / Dienststelle | Wahl eines Betriebsrats / Personalrats ist möglich Größe Betriebsrat ist von Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer abhängig (§ 9 BetrVG) | § 1 BetrVG, Art. 12 Abs. 1 BayPVG |
5 schwerbehinderte / gleichgestellte Menschen | Betrieb | Wahl einer Schwerbehindertenvertretung ist möglich | § 177 SGB IX |
5 minderjährige Arbeitnehmer oder Auszubildende unter 25 Jahren | Betrieb | Wahl einer Jugend- und Auszubildendenvertretung ist möglich | § 60 BetrVG |
mehr als 5; besondere Zählweise: (siehe nächste Spalte) | Betrieb | Kündigungsschutz für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor dem 01.01.2004 begonnen hat | § 23 Abs. 1 KSchG |
mehr als 10; besondere Zählweise: 0-20 Wochenstunden: 0,5 20,01-30 Wochenstunden: 0,75 ab 30,01 Wochenstunden: 1; Minijobber, mitarbeitender Ehepartner, gekündigter Arbeitnehmer zählen mit; Azubis, Arbeitgeber und Vertretungsorgane zählen nicht mit | Betrieb | Kündigungsschutz: Nach sechsmonatigen Bestehen eines Arbeitsverhältnisses ist eine ordentliche Kündigung nur noch aus verhaltens-, personenbedingten oder betriebsbedingten Kündigung möglich | § 23 Abs. 1 KSchG |
10 leitende Angestellte | Betrieb | Bildung eines Sprecherausschusses ist möglich | § 1 SprAuG |
11 | Arbeitsstätte | Einrichtung eines Pausenraums | 4.1 ASR A 4.2 |
mehr als 15 | Unternehmen | Anspruch auf Pflegezeit | § 3 PflegeZG |
mehr als 15 | Unternehmen | Anspruch auf unbefristete Teilzeit | § 8 TzBfG |
mehr als 15 | Unternehmen | Anspruch auf befristete Teilzeit während Elternzeit | § 15 Abs. 7 BEEG |
20, soweit sie personenbezogener Daten automatisiert verarbeiten (=Bildschirmarbeitsplätze) | Unternehmen | Bestellung eines Datenschutzbeauftragten | § 38 BDSG |
20 besondere Zählweise: Es zählen nur Mitarbeiter mit mehr als 18 Wochenstunden | Unternehmen | Beschäftigungspflicht schwerbehinderter Menschen, ggf. Ausgleichsabgabe | § 154 SGB IX |
20 | Unternehmen | Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten | § 22 SGB VII |
mehr als 20 Zählweise wie bei § 23 KSchG | Betrieb | Bildung eines Arbeitsschutzausschusses | § 11 ASiG |
mehr als 20 | Betrieb | Mitbestimmung des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen | § 99 BetrVG |
mehr als 20 | Betrieb | Mitbestimmung des Betriebsrats bei Betriebsänderungen (Interessenausgleich und Sozialplan) | §§ 111, 112 BetrVG |
mehr als 20 (Fremdgeschäftsführer zählen mit) | Betrieb | Pflicht zu Erstattung einer Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit bei Entlassung von mehr als 5 Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen in Betrieben mit mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmer | § 17 KSchG |
mehr als 25 | Unternehmen | Anspruch auf Familienpflegezeit | § 2 Abs. 1 FPlZG |
bis maximal 30; besondere Zählweise: bis 10 Wochenstunden: 0,25 bis 20 Wochenstunden: 0,5 bis 30 Wochenstunden: 0,75 ab 30,01 Wochenstunden: 1 | Unternehmen | Anspruch des Arbeitgebers auf teilweise Erstattung der Lohnfortzahlungskosten; ab 31 Arbeitnehmer (-) | § 1 AAG |
mehr als 45 | Unternehmen | Anspruch auf Brückenteilzeit (=befristete Teilzeit für 1-5 Jahre); prozentuale Zumutbarkeitsgrenze für Arbeitgber mit 46 bis 200 Arbeitnehmer | § 9a TzBfG |
bis 50 | Unternehmen | Erlaubnisfreie Arbeitnehmerüberlassung zur Vermeidung von Kurzarbeit oder Entlassung bis zu 12 Monate (vorherige Anzeige bei Agentur für Arbeit erforderlich) | § 1a AÜG |
60 | Betrieb | Pflicht zur Erstattung einer Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit in Betrieben mit mehr als 60 bis 500 Arbeitnehmern bei Entlassung von 10 % oder mehr als 25 Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen | § 17 KSchG |
mehr als 100 | Betrieb | Betriebsrat kann Betriebsausschüsse und Arbeitsgruppen bilden | §§ 28, 29 BetrVG |
mehr als 100 | Unternehmen | Pflicht zur Bildung eines Wirtschaftsausschusses, wenn Betriebsrat besteht | § 106 BetrVG |
200 | Betrieb | Freistellung eines Betriebsratsmitglieds | § 38 BetrVG |
201 | Betrieb | Betriebsrat bildet Betriebsausschuss zur Führung der laufenden Geschäfte | § 27 BetrVG |
300 | Unternehmen | Betriebsrat kann bei Betriebsänderungen einen Berater hinzuziehen | § 111 BetrVG |
ab 500 | Betrieb | Pflicht zur Erstattung einer Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit bei Entlassung von mindestens Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen | § 17 KSchG |
mehr als 500 | Betrieb | Betriebsrat kann die Aufstellung von Personalauswahl-Richtlinien | § 95 BetrVG |
mehr als 500 | Unternehmen | 1/3 des Aufsichtsrates (KGaA, AG, GmbH, Gen) ist mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen | § 1 DrittelbG |
mehr als 500 | Unternehmen | Bericht zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit, Aufforderung zu betrieblichen Prüfverfahren zur Einhaltung der Entgeltgleichheit | §§ 17-22 EntgeltTranspG |
mehr als 1000 | Unternehmen | Gründung eines Europäischen Betriebsrats ist möglich | § 3 EBRG |
mehr als 2000 | Unternehmen | Aufsichtsrat (KGaA, AG, GmbH, Gen) ist zur Hälfe mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen | § , 7 MitbestG |
Leiharbeitnehmer sind dann bei den vorgenannten Schwellenwere mitzuzählen, wenn diese „in der Regel“ im Unternehmen/Betrieb beschäftigt sind (vgl. § 14 Abs. 2 S. 5, 6 AÜG: zeitliche Grenze von 6 Monaten). Mit anderen Worten: Wenn ein Dauerarbeitsplatz mit einem Leiharbeitnehmer besetzt ist, zählt dieser zur Belegschaftsstärke. Dies gilt insbesondere auch bei der Frage, ob das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet.
Als Arbeitsrechtsspezialisten, die sowohl auf Arbeitgeber-, als auch auf Arbeitnehmerseite tätig sind, werden wir in unserer täglichen Beratungspraxis in regelmäßigen Abständen immer wieder mit den gleichen Mythen über das deutsche Arbeitsrecht konfrontiert. Nach unserer Erfahrung können diese Fehlvorstellungen weitreichende Konsequenzen haben, insbesondere in finanzieller Hinsicht. Zum Start unseres Blogs haben wir daher es zu unserer Aufgabe gemacht, einen kleinen Beitrag zu der Entmystifizierung des Arbeitsrechts zu leisten.
1. „Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Abfindung.“
Man kann es nicht oft genug betonen: Das deutsche Arbeitsrecht kennt keinen gesetzlichen Anspruch auf die Zahlung einer Abfindung bei Verlust des Arbeitsplatzes!
Nichtsdestotrotz endet die Mehrzahl der Kündigungsschutzprozesse durch den Abschluss eines Vergleiches, in dem sich der Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung verpflichtet. Dahinter steht jedoch kein gesetzlicher Zwang, sondern im Regelfall wirtschaftliche Überlegungen. Sofern der Arbeitnehmer Kündigungsschutz genießt, bedeutet ein langwieriger Kündigungsschutzprozess für den Arbeitgeber ein schwer zu kalkulierendes Risiko. Zur Abwendung dieses finanziellen Risikos und um möglichst rasch Rechts- und Planungssicherheit zu erlangen, sind daher viele Arbeitgeber bereit, den Arbeitnehmer das Ende seines Arbeitsverhältnisses zu versüßen. Dies gilt natürlich nicht in den Fällen, in denen dem Arbeitgeber ein Kündigungsgrund zur Seite steht!
Darüber hinaus sind Abfindungen regelmäßig Gegenstand von Sozialplänen, die zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat anlässlich von Betriebsänderungen zur Milderung der hiermit verbundenen wirtschaftlichen Nachteile abgeschlossen werden. In diesem Fall hat der Arbeitnehmer einen einklagbaren Anspruch auf die im Sozialplan vorgesehene Abfindung.
In allen anderen Fällen ist das Ob und die Höhe der Abfindung hingegen Verhandlungssache.
2. „Solange der Arbeitnehmer krankgeschrieben ist, kann er nicht gekündigt werden.“
Ist der Arbeitnehmer erkrankt, hat dies arbeitsrechtlich erstmal nur zur Konsequenz, dass er nicht auf der Arbeit erscheinen muss, aber trotzdem für die Dauer von sechs Wochen seinen Entgeltanspruch behält (vgl. § 3 EFZG).
Keinesfalls bedeutet die Krankheit hingegen eine Kündigungssperre! Im Unterschied zur Schwangerschaft und Schwerbehinderung begründet die (bloße) Krankheit keinen Sonderkündigungsschutz. Auch kann dem Arbeitnehmer im Krankenstand normal eine Kündigung an seiner Wohnadresse zugestellt werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitnehmer stationär in einem Krankenhaus behandelt wird und dem Arbeitgeber dies bekannt ist.
Vielmehr ist es im Gegenteil sogar so, dass Erkrankungen des Arbeitsnehmers dazu führen können, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis unter Umständen wirksam kündigen kann. Zwar rechtfertigt eine Krankheit allein die Kündigung nicht. Ist jedoch eine Gesundung des Arbeitsnehmers ungewiss und führen die Fehlzeiten zu einer Beeinträchtigung betrieblicher oder wirtschaftlicher Interessen des Arbeitgebers, kommt eine krankheitsbedingte Kündigung in Betracht. Vorher muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer jedoch zumindest ein sog. betriebliches Eingliederungsmanagement (kurz BEM) angeboten haben. Im Rahmen des BEM sol¬len Mög¬lich¬kei¬ten erör¬tert wer¬den, wie die krankheitsbedingte Arbeits¬un¬fä¬hig¬keit überwunden und mit wel¬chen Leis¬tun¬gen oder Hil¬fen einer erneu¬ten Arbeits¬un¬fä¬hig¬keit vor¬ge¬beugt und der Arbeits¬platz erhal¬ten wer-den kann.
3. „Erst nach drei Abmahnungen kann der Arbeitgeber eine verhaltensbedingte Kündigung aussprechen.“
Ebenso wie es keine absoluten Kündigungsgründe gibt, existieren auch keine allgemeinverbindlichen Vorgaben zur Anzahl der erforderlichen Abmahnungen vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung.
Außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes muss der Arbeitgeber vor einer Kündigung beispielsweise überhaupt keine Abmahnung aussprechen.
Findet das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis Anwendung, gilt zwar die Regel, dass dem Arbeitnehmer bei einem Fehlverhalten vor Ausspruch der roten Karte in Form der verhaltensbedingten Kündigung zunächst die gelbe Karte in Form einer Abmahnung gezeigt werden muss. Denn zu einer Kündigung darf der Arbeitgeber immer nur als letztes Mittel greifen.
Ebenso wie im Fußball gibt es jedoch auf Fälle, in denen es des Ausspruches einer gelben Karte nicht bedarf und der Arbeitnehmer sofort gekündigt werden kann. Dies ist bei besonders schweren Pflichtverletzungen, insbesondere Straftaten, der Fall.
In allen anderen Fällen ist es stets eine Frage des Einzelfalls, wie viele Abmahnungen einer wirksamen verhaltensbedingten Kündigung vorausgehen müssen. Vor allem bei nicht nur leichten Pflichtverletzungen mag nur eine vorherige Abmahnung ausreichen, wohingegen in anderen Fällen auch eine Vielzahl weiterer Abmahnungen eine Kündigung nicht rechtfertigen vermag.
4. „Wenn im Arbeitsvertrag keine Probezeit vereinbart ist, genießt der Arbeitnehmer sofort Kündigungsschutz.“
Die (Nicht-)Vereinbarung einer Probezeit im Arbeitsverhältnis („Die ersten vier Monate gelten als Probezeit“ bzw. im Arbeitsvertrag fehlt eine Regelung zur Probezeit) hat auf die Frage, ob und ab wann der neueingestellte Mitarbeiter Kündigungsschutz genießt, keinen Einfluss.
Denn das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) sieht in seinen § 1 Abs. 1 KSchG selbst eine sog. sechsmonatige Wartezeit vor. Dies bedeutet, dass das Gesetz nach seinem eindeutigen Wortlaut nur auf Arbeitsverhältnisse Anwendung findet, die länger als 6 Monate bestehen. Diese gesetzliche Regelung kann durch eine Vereinbarung über eine Probezeit weder verkürzt noch verlängert werden. In den ersten sechs Monate des Bestands des Arbeitsverhältnisses gilt daher die Devise: Der Arbeitgeber braucht für den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung keinen Grund!
Die Vereinbarung einer Probezeit im Arbeitsvertrag geht jedoch nicht ins Leere, sondern hat zur Konsequenz, dass in den ersten sechs Monaten die Grundkündigungsfrist von regelmäßig vier Wochen zum 15. oder Monatsende auf bis zu zwei Wochen (in Tarifverträge teilweise bis auf einen Tag) gekürzt werden kann.
5. „In dem Kündigungsschreiben muss ein Kündigungsgrund angegeben werden.“
Die inhaltlichen Anforderungen an ein wirksames Kündigungsschreiben sind denkbar einfach. Es muss nur der Wille zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkennbar zum Ausdruck kommen. Die Angabe des Grundes für die Kündigung bedarf es im Kündigungsschreiben nicht. Eine Kündigung durch den Arbeitgeber muss daher nur wie folgt lauten:„Sehr geehrte Frau / Sehr geehrter Herr, hiermit kündigen wir das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich unter Einhaltung der maßgeblichen Kündigungsfrist zum nächst zulässigen Termin. Dies ist nach unserer Berechnung der __.__.____.“
Etwas anderes gilt nur im Falle der Kündigung gegenüber einer schwangeren Arbeitnehmerin und der Kündigung des Ausbildungsverhältnisses nach der Probezeit. In diesen Fällen muss der Arbeitgeber im Kündigungsschreiben selbst die Kündigungsgründe angeben.
In allen anderen Fällen muss der Arbeitgeber erst im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses Farbe bekennen und die Gründe für die sachliche Rechtfertigung des Arbeitsverhältnisses angeben. Lediglich im Falle einer außerordentlichen Kündigung hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, den Arbeitnehmer auch außergerichtlich zur Darlegung der Kündigungsgründe aufzufordern.
6. „Bei Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrags verhängt die Agentur für Arbeit eine Sperrzeit.“
Regelmäßig kommt es vor, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer über den Inhalt eines Aufhebungsvertrages grundsätzlich einig sind, dessen Unterzeichnung jedoch daran scheitert, dass der Arbeitnehmer die Verhängung einer Sperrzeit beim Arbeitslosengeldbezug befürchtet.
In vielen Fällen ist diese Befürchtung mittlerweile unberechtigt. Nach § 159 Abs. 1 SGB III wird eine Sperrzeit dann nicht verhängt, wenn der Arbeitnehmer für den Abschluss des Aufhebungsvertrages einen wichtigen Grund hat, er insoweit also gerechtfertigt ist. Die Agentur für Arbeit hat ihre diesbezügliche Dienstanweisung zu Beginn des Jahres 2017 zu Gunsten der Arbeitnehmer geändert. Hiernach sind Aufhebungsverträge nunmehr immer dann sperrzeitneutral, wenn
- eine Kündigung durch den Arbeitgeber mit Bestimmtheit in Aussicht gestellt worden ist,
- die drohende Arbeitgeberkündigung auf betriebliche oder personenbezogene (nicht aber verhaltensbedingte) Gründe gestützt würde,
- im Falle der Arbeitgeberkündigung die Kündigungsfrist eingehalten würde,
- der Arbeitnehmer nicht unkündbar war
- und eine Abfindung in Höhe von bis zu maximal 0,5 Monatsgehältern für jedes Jahr des Arbeitsverhältnisses an den Arbeitnehmer gezahlt wird.
Eine Sperrzeit droht daher in Zukunft grundsätzlich nur noch in Fällen, in denen dem Aufhebungsvertrag eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers zugrunde liegt, oder der Arbeitnehmer eine höhere Abfindung als 0,5 Monatsgehälter für jedes Beschäftigungsjahr erhalten soll.
7. „Minijobber / Geringfügig Beschäftigte / 450 EUR Kräfte sind doch keine richtigen Arbeitnehmer.“
Minijobber sind geringfügig Beschäftigte, deren monatlicher Verdienst 450 EUR nicht übersteigt (daneben gibt es noch die Zeitgeringfügigkeit, die dann vorliegt, wenn die Beschäftigung auf nicht mehr als zwei Monate oder 50 Arbeitstage beschränkt ist).
Die geringfüge Beschäftigung hat nur Auswirkungen im Sozialversicherungsrecht und Steuerrecht. Minijobber müssen keine Beträge zur gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung zahlen. Von der Rentenversicherungspflicht können sie sich befreien lassen. Der Arbeitgeber trägt einen pauschalen Beitrag zur Kranken- und Rentenversicherung. Zudem ist eine Pauschalierung der Lohnsteuer, des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer möglich.
Arbeitsrechtlich hat die Qualifizierung als geringfügige Beschäftigung jedoch keine Auswirkungen. Minijobber sind keine Arbeitnehmer zweiter Klasse, sondern genießen alle Rechte und Pflichten wie allen anderen Arbeitnehmer des Betriebes auch. Sie haben insbesondere Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und bezahlten Urlaub. Darüber hinaus zählen sie auch bei Schwellenwerten für die Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften mit.
8. „Arbeitsverträge sind nur wirksam, wenn sie unterschrieben worden sind.“
Das Arbeitsrecht kennt nur gesetzliche Formvorschriften für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. So bedürfen Kündigung und Aufhebungsvertrag der Schriftform, d.h. sie sind nur wirksam bei einer eigenhändigen Unterschrift.
Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses ist hingegen auch formlos möglich. Ein Arbeitsvertrag kann daher auch wirksam mündlich geschlossen werden. Im Regelfall genügt sogar die bloße Arbeitsaufnahme durch den Arbeitnehmer, dass ein Arbeitsverhältnis zustande kommt.
Vorsicht ist aus Arbeitgebersicht nur bei befristeten Arbeitsverträgen geboten. Insoweit gilt es nämlich zu beachten, dass die Abrede über die Befristung des Arbeitsverhältnisses (nicht der Arbeitsvertrag selbst) schriftlich erfolgen muss. Wird diese Formvorschrift nicht beachtet, fängt der Arbeitnehmer beispielsweise vor Unterschrift das Arbeiten an, kommt grundsätzlich ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zustande.
9. „Wenn man nicht arbeitet, hat man auch keinen Anspruch auf Urlaub.“
Urlaub dient der Erholung von der Arbeit. Daher wäre es eigentlich logisch, dass man nur dann einen Anspruch auf Urlaub erwirbt, wenn man auch tatsächlich seine Arbeitsleistung erbringt.
Doch die Rechtslage ist eine andere: Auch während eines ruhenden Arbeitsverhältnisses entsteht jedes Kalenderjahr ein neuer Anspruch auf Erholungsurlaub. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn der Arbeitnehmer längere Zeit arbeitsunfähig erkrankt oder in Elternzeit ist. Lediglich im Falle der Elternzeit hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, durch einseitige Erklärung den Urlaubsanspruch für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel zu kürzen. In allen anderen Fällen kann der Arbeitgeber keine Gegenmaßnahmen ergreifen, sondern allenfalls darauf hoffen, dass der Urlaubsanspruch infolge Zeitablauf verfällt (15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres).
10. „Während einer Krankschreibung hat man das Bett zu hüten.“
Während der Arbeitsunfähigkeit darf der Arbeitnehmer sich nicht genesungswidrig verhalten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der krankgeschriebene Arbeitnehmer quasi vom normalen sozialen Leben ausgeschlossen ist und strikt das Bett zu hüten hat.
Er hat (nur) alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte. Welches Verhalten einer schnellen Genesung des Arbeitnehmers entgegenstehen könnte, bestimmt nicht der Arbeitgeber, sondern der behandelnde Arzt. Denn welche Tätigkeiten den Heilungsprozess verzögern oder gefährden können, richtet sich nach dem diagnostizierten Krankheitsbild. In vielen Fällen dürfte es daher sogar für eine Genesung förderlich sein, wenn der Arbeitnehmer seine Wohnung verlässt und am sozialen Leben teilnimmt.