Sachverhalt
Das BAG legte dem EuGH im Rahmen
Dem Verfahren vor dem BAG lag die Klage einer 1968 geborenen Frau zugrunde, in welcher diese welche eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wegen Altersdiskriminierung forderte.
Die Beklagte, ein Assistenzdienst der Menschen mit Behinderungen in verschiedenen Bereichen des Lebens rund um das Thema Persönliche Assistenz Beratung, Unterstützung sowie Assistenzleistungen anbietet, suchte im Jahr 2018 im Rahmen einer Stellenausschreibung eine Assistentin für eine 28-järige Studentin. Nach dem Inhalt der Ausschreibung sollten die Bewerberinnen „am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein“. Hierauf hatte sich die zum Zeitpunkt der Bewerbung etwa 50-jährige Klägerin beworben, jedoch eine Absage erhalten. Durch die Ablehnung sah sie sich wegen ihres Alters diskriminiert und forderte eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Der in diesem Zusammenhang erhobenen Klage wurde durch das Arbeitsgericht teilweise stattgegeben. Auf die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten wurde die Klage durch das Landesarbeitsgericht vollständig abgewiesen. Mit der Revision verfolgte die Klägerin ihr Begehren auf Zahlung einer Entschädigung weiter.
Vorlagefrage an den EuGH
Das Vorabentscheidungsersuchen des BAG betrifft die Auslegung unionsrechtlicher Bestimmungen und die Frage, ob diese dahingehend ausgelegt werden können, „dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt werden kann“.
Der EuGH stellt in seinem Urteil vom 07.12.2023 fest, dass die Absage gegenüber der Klägerin aufgrund ihres Alters erfolgte und damit eine unmittelbare Diskriminierung vorlag. Die in der Stellenbeschreibung festgelegte Altersanforderung sei jedoch im Hinblick auf den Schutz des Rechts auf Selbstbestimmung des betreffenden Menschen mit Behinderung notwendig und gerechtfertigt. Der EuGH betont in seiner Entscheidung, dass es nach den deutschen Rechtsvorschriften ausdrücklich vorgesehen sei, den individuellen Wünschen von Menschen mit Behinderungen bei der Erbringung von Leistungen der persönlichen Assistenz zu entsprechen:
Gemäß § 78 SGB IX werden Assistenzleistungen für Menschen mit Behinderung zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltages einschließlich der Tagesstrukturierung erbracht. Sie umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen. Sie beinhalten die Verständigung mit der Umwelt in diesen Bereichen.
Dabei ist gemäß § 8 SGB IX ein Wunsch und Wahlrecht einzuräumen. Mithin ist bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten zu entsprechen (Absatz 1) und den Leistungsberechtigten ist durch Leistungen, Dienste und Einrichtungen möglichst viel Raum zu eigenverantwortlicher Gestaltung ihrer Lebensumstände zu lassen und deren Selbstbestimmung zu fördern (Absatz 3).
Der EuGH führt weiter aus: Leistungsberechtigte müssen die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, wie wo und mit wem sie leben wollen. Es lässt sich vernünftigerweise erwarten, dass jemand, der derselben Altersgruppe wie der Mensch mit Behinderung angehört, sich leichter in dessen persönliches Umfeld einfügt. Angesichts dessen, dass die persönliche Assistenz alle Lebensbereiche betreffe und die assistenzleistende Person zwangsläufig in die Privat- und Intimsphäre der assistenznehmenden Person eingreife, ist den berechtigten Wünschen und subjektiven Bedürfnissen der jeweiligen assistenznehmenden Personen Rechnung zu tragen.
Mithin sei die Beschränkung der Bewerber auf eine gewisse Altersgruppe und die sich hieraus ergebende Ungleichbehandlung gerechtfertigt.
Ausblick
Nach der Entscheidung des EuGH auf die Vorlagefrage BAG, geht das Verfahren nun zurück an dieses. Dort wird das BAG die Revision der Klägerin und die begehrte Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zurückweisen.
Konsequent – Das Bundesarbeitsgericht bestätigt in seiner Entscheidung vom 31.01.2023, Az. 9 AZR 456/20 ständige Rechtsprechung: Dreijahresfrist für Urlaubsabgeltung bleibt
Im vergangenen Jahr entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 20.12.2022, Az. 9 AZR 266/20) – in Umsetzung einer EuGH-Entscheidung in deutsches Recht – dass gesetzlicher Urlaub, der in einem intakten Arbeitsverhältnis nicht genommen wurde, nicht ohne vorherigen Hinweis des Arbeitgebers verfallen darf. Danach müssen Arbeitgeber in Wahrnehmung ihrer Informationspflicht ihre Arbeitnehmer/innen auf deren Urlaubsansprüche hinweisen und gegebenenfalls warnen, dass diese verfallen.
Mit der damaligen Entscheidung weckte das BAG bei einigen Arbeitnehmern die Hoffnung, dass die Verjährungsfrist auch bei Abgeltungsansprüchen wegfallen würde. Gleichzeitig bestand seitens einiger Arbeitgeber die Befürchtung einer Klageflut durch Arbeitnehmer/innen, welche eine Abgeltung des nicht genommenen Urlaub aus – unter Umständen seit Jahren – beendeten Arbeitsverhältnissen verlangen.
Das Urteil des BAG vom 31.01.2023, Az. 9 AZR 456/20 hatte insoweit vor allem klarstellende Wirkung; Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers, nicht genommenen Urlaub nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten, unterliegt der dreijährigen Verjährungsfrist.
Anders als der Urlaubanspruch, welcher den wichtigen Erholungszweck des Arbeitnehmers während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses verfolgt, ist der Urlaubabgeltungsanspruch auf dessen finanzielle Kompensation beschränkt. Die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei der Inanspruchnahme von Urlaub, endet mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Sachverhalt
Die Beklagte betreibt eine Flugschule. Sie beschäftigte den Kläger seit dem 9. Juni 2010 als Ausbildungsleiter, ohne ihm seinen jährlichen Urlaub von 30 Arbeitstagen zu gewähren. Unter dem 19. Oktober 2015 verständigten sich die Parteien darauf, dass der Kläger in der Folgezeit als selbstständiger Dienstnehmer für die Beklagte tätig werden sollte. Mit der im August 2019 erhobenen Klage verlangte der Kläger ua. Abgeltung von Urlaub aus seiner Beschäftigungszeit vor der Vertragsänderung. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Entscheidung
Die Revision des Klägers hatte beim Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg, soweit er die Beklagte auf Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2010 bis 2014 in Höhe von 37.416,50 Euro in Anspruch nimmt. Bezogen auf Urlaubsabgeltung für das Jahr 2015 blieb sie erfolglos.
Der Senat hat am 20. Dezember 2022 (- 9 AZR 266/20 – Pressemitteilung Nr. 48/22) entschieden, dass Urlaubsansprüche verjähren können, die dreijährige Verjährungsfrist jedoch erst am Ende des Kalenderjahres beginnt, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch informiert und ihn im Hinblick auf Verfallfristen aufgefordert hat, den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Hat der Arbeitgeber diesen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, kann der nicht erfüllte gesetzliche Urlaub aus möglicherweise mehreren Jahren im laufenden Arbeitsverhältnis weder nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen noch nach § 195 BGB verjähren und ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten.
Der Urlaubsabgeltungsanspruch unterliegt seinerseits der Verjährung. Die dreijährige Verjährungsfrist für den Abgeltungsanspruch beginnt in der Regel am Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es auf die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten ankommt. Die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bildet eine Zäsur. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist anders als der Urlaubsanspruch nicht auf Freistellung von der Arbeitsverpflichtung zu Erholungszwecken unter Fortzahlung der Vergütung gerichtet, sondern auf dessen finanzielle Kompensation beschränkt. Die strukturell schwächere Stellung des Arbeitnehmers, aus der der EuGH die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei der Inanspruchnahme von Urlaub ableitet, endet mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Bei einer verfassungs- und unionsrechtskonformen Anwendung der Verjährungsregelungen kann die Verjährungsfrist nicht beginnen, solange eine Klageerhebung aufgrund einer gegenteiligen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zumutbar ist.
Von dem Kläger konnte bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 19. Oktober 2015 nicht erwartet werden, seinen Anspruch auf Abgeltung des bis dahin nicht gewährten Urlaubs aus den Jahren 2010 bis 2014 gerichtlich durchzusetzen. Der Senat ging zu diesem Zeitpunkt noch davon aus, dass Urlaubsansprüche mit Ablauf des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums unabhängig von der Erfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten automatisch verfielen. Erst nachdem der EuGH mit Urteil vom 6. November 2018* neue Regeln für den Verfall von Urlaub vorgegeben hatte, war der Kläger gehalten, Abgeltung für die Urlaubsjahre von 2010 bis 2014 gerichtlich geltend zu machen.
Demgegenüber ist der Anspruch des Klägers auf Abgeltung von Urlaub aus dem Jahr 2015 verjährt. Schon auf Grundlage der früheren Rechtsprechung musste der Kläger erkennen, dass die Beklagte Urlaub aus diesem Jahr, in dem das Arbeitsverhältnis der Parteien endete, abzugelten hatte. Die dreijährige Verjährungsfrist begann deshalb Ende des Jahres 2015 und endete mit Ablauf des Jahres 2018. Der Kläger hat die Klage erst im Jahr 2019 erhoben.
Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 31. Januar 2023.
Der Europäische Gerichtshof hat mit zwei spektakulären Entscheidungen vom 22.09.2022 wieder Chaos (oder Leben – je nach Betrachter) ins Urlaubsrecht gebracht:
Nach der Entscheidung in der Rechtssache C-120/21 (BAG) soll der Anspruch auf erworbenen bezahlten Jahresurlaub nach Ablauf einer Frist von drei Jahren nicht verjähren, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen. In den beiden Rechtssachen C-518/20, C-727/20 (BAG) hat der EuGH nunmehr entschieden, dass auch bei Langzeit- , bzw. Dauererkrankten der Urlaub nur verfällt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch auszuüben, insbesondere durch eine entsprechende Information.
Ausgangslage
Der Anspruch auf Erholungsurlaub verfällt grundsätzlich nach § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG mit Ablauf des Kalenderjahres. Unter bestimmten Voraussetzungen kann er in das folgende Kalenderjahr übertragen werden, ist dann aber bis spätestens 31.03. zu nehmen. Soweit das Gesetz. 2019 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Rechtsprechung des EuGH übernommen, dass der Urlaub nur dann verfallen soll, wenn der Arbeitnehmer zuvor durch den Arbeitgeber über 1.) das Bestehen des Anspruchs und dessen Umfang, 2.) über die rechtzeitige Urlaubnahme und 3.) den Verfall zum Jahresende informiert wurde. Offen war danach, ob erstens der Urlaubsanspruch- wie andere Ansprüche auch – der regelmäßigen und damit dreijährigen Verjährungsfrist unterliegt und zweitens, ob Langzeiterkrankten auch eine solche Mitteilung gemacht werden muss, da das BAG hier bereits eine verlängerte 15monatige Übertragungsfrist angenommen hat. Insbesondere mutet es seltsam an, jemanden dazu aufzufordern, Urlaub zu nehmen, der wegen Erkrankung hierzu gar nicht in der Lage ist.
1. Ohne Information verjährt Urlaub nicht
In der erstgenannten Entscheidung war die Klägerin vom 1.11.1996 bis 31.7.2017 bei der Beklagten beschäftigt. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte die Klägerin für die von ihr zwischen 2013 und 2017 nicht genommenen 101 Tage bezahlten Jahresurlaubs eine finanzielle Vergütung. Die Beklagte lehnte es ab, den Jahresurlaub abzugelten. Der von der Klägerin am 6.2.2018 erhobene Klage wurde im ersten Rechtszug teilweise stattgegeben. Hinsichtlich der Ansprüche, die sich auf die für die Jahre 2013 bis 2016 nicht genommenen Urlaubstage beziehen, wurde die Klage abgewiesen. Das LAG entschied daraufhin in der 2. Instanz, dass die Klägerin für den im Zeitraum von 2013 bis 2016 nicht genommenen Jahresurlaub Anspruch auf Abgeltung von 76 weiteren Tagen habe. Die Beklagte habe nicht dazu beigetragen, dass die Klägerin ihren Urlaub für diese Jahre zur gebotenen Zeit habe nehmen können, sodass die Ansprüche nicht verjährt seien. Gegen diese Entscheidung wurde Revision eingelegt. Daraufhin hat das BAG das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage vorgelegt.
Der bezahlte Jahresurlaub sei nach Auffassung des EuGH ein in Art. 31 II EU-GRCharta verankertes Grundrecht. In der EU-GRCharta verankerte Grundrechte dürften nur unter Einhaltung strenger Bedingungen eingeschränkt werden. Diese Einschränkungen müssten gesetzlich vorgesehen sein, den Wesensgehalt des betreffenden Rechts achten sowie unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sein und von der EU anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen tatsächlich entsprechen. Zwar verfolge die Verjährungsvorschriften ein legitimes Ziel, nämlich die Gewährleistung der Rechtssicherheit. Dieses Interesse sei indes dann nicht mehr berechtigt, wenn der Arbeitgeber sich dadurch, dass er davon abgesehen habe, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich wahrzunehmen, selbst in eine Situation gebracht habe, in der er mit solchen Anträgen konfrontiert werde, und aus der er zulasten des Arbeitnehmers Nutzen ziehen könnte. Vorliegend sei es Sache des Arbeitgebers, gegen späte Anträge wegen nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs dadurch Vorkehrungen zu treffen, dass er seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachkomme, womit die Rechtssicherheit gewährleistet werde, ohne dass das in der EU-GRCharta verankerte Grundrecht eingeschränkt würde.
2. Auch Erkrankte müssen zur Urlaubnahme aufgefordert werden
Das BAG legte dem EuGH weitere zwei Vorabentscheidungsersuchen vor. Im ersten Vorabentscheidungsersuchen ist in einem Rechtsstreit zwischen XP und Fraport streitig, ob der bei Fraport beschäftigte Frachtfahrer XP, der infolge einer schweren Behinderung seit dem 1.12.2014 eine Rente wegen voller, aber nicht dauerhafter Erwerbsminderung (zuletzt bis zum 31.08.2022 verlängert) bezieht, Anspruch auf 34 Tage bezahlten Jahresurlaub aus dem Jahr 2014 zustehen. Diese Urlaubstage hat XP aufgrund seines Gesundheitszustands nicht in Anspruch nehmen können. Fraport war seiner Obliegenheit nicht nachgekommen, an der Gewährung und Inanspruchnahme des Jahresurlaubes mitzuwirken.
Im zweiten Vorabentscheidungsersuchen macht die Arbeitnehmerin AR, die beim St. Vincenz-Krankenhaus angestellt und seit ihrer Erkrankung im Jahr 2017 arbeitsunfähig ist, die Feststellung geltend, dass ihr 14 Tage bezahlter Jahresurlaub aus dem Jahr 2017 zustehen. In beiden Fällen berufen sich die Arbeitgeber auf den Verfall des Urlaubs nach Ablauf von 15 Monaten ab Ende des jeweiligen Urlaubsjahres.
Der EuGH hat entschieden, dass ein Verfall des Urlaubs in diesem Fall Unionsrecht widersprechen würde. Zwar seien Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich anhand der auf Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeitszeiträume zu berechnen. Hiervon sei aber eine Ausnahme bei arbeitsunfähigen Arbeitnehmern zu machen. Das Eintreten einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit sei grundsätzlich nicht vorhersehbar und vom Willen des Arbeitnehmers unabhängig. Es könne allerdings „besondere Umstände“ geben, die eine Ausnahme von der Regel, dass Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht erlöschen können, rechtfertigen, um die negativen Folgen einer unbegrenzten Ansammlung von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub zu vermeiden. Daher stehe Unionsrecht einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegen, die die Möglichkeit, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränke, dass sie einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehe, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlösche. Eine solche Ausnahme sei aber dann nicht gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber seiner Obliegenheit nicht nachgekommen sei, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Urlaub tatsächlich zu nehmen. In diesem Fall müsse der Arbeitgeber die sich daraus ergebenen Folgen tragen. Ein anderes Ergebnis mache auch der Schutz der Interessen des Arbeitgebers nicht erforderlich, da nur der Urlaubsanspruch des Bezugszeitraumes betroffen sei, in dem die volle Erwerbsminderung oder Krankheit eingetreten sei. Es bestehe daher nicht die Gefahr einer unbeschränkten Ansammlung von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub.
Einordnung
Wie schon Polonius, der ein System hinter Hamlets Verwirrtheit zu erkennen glaubte, erscheinen uns diese Entscheidungen des EuGH in ihrer rechtlichen Überhöhung des Urlaubsanspruchs irgendwie konsequent. Überhöhung, weil es sachlich kein Argument gibt, den Urlaub gegenüber z.B. Lohnansprüchen, die normal verjähren können, zu privilegieren. Der EuGH wird in seinem missionarischen Eifer aber auch inkonsequent: denn nach ständiger Rechtsprechung des EuGH wird mit dem Anspruch auf Jahresurlaub nämlich der Zweck verfolgt, dass sich der Arbeitnehmer durch bezahlten Urlaub tatsächlich zu erholen. Jede Maßnahme also, insbesondere der Abkauf von Urlaubsansprüchen, die darauf abzielt, den Erholungszweck zu verhindern, ist daher rechtswidrig. Dann muss sich der EuGH aber fragen lassen, wie sich dieser Grundsatz damit in Einklang bringen lassen soll, dass bei Erkrankten Urlaubsansprüche erhalten bleiben sollen, die voraussichtlich nie mehr der Erholung dienen können oder dass hier Anreize für Arbeitnehmer geschaffen werden, Urlaub jahrelang nicht zu nehmen, um sich einen späteren Ausstieg vergolden zu lassen. Letztlich forciert der EuGH damit die eigentlich unerwünschte Kapitalisierung des Urlaubsanspruchs.
Praxistipp
Es bleibt nichts anderes übrig: einmal im Jahr müssen die Arbeitnehmer und zwar alle einen „Urlaubskontoauszug“ erhalten: 1. offener Urlaub, 2. die Aufforderung, diesen zu nehmen und 3. der Hinweis, dass der Urlaub sonst verfällt. Das kann auf einer Lohnabrechnung geschehen, muss aber individualisiert werden. Wichtig auch: der Zugang muss bewiesen werden. Bei Langzeiterkrankten, die keine Lohnabrechnung erhalten, sollte der Hinweis schriftlich erfolgen. Und „Altfälle“? Wer es richtig machen will, zählt ALLE Urlaubsansprüche der Vergangenheit, die vermeintlich verfallen sind, zusammen und führt diese einmalig in einem Hinweis auf, mit dem Hinweis, dass diese spätestens am 31.03. verfallen werden. Dann sollte der Urlaub aber auch genommen werden können. Nichts tun, kann gut gehen, muss es aber nicht. Gerne helfen wir Ihnen weiter.
Einmal mehr äußerte sich der EuGH zum Urlaubsrecht und stellt damit die deutsche Rechtslehre vor einige Schwierigkeiten.
Sachverhalt:
Die Beteiligten stritten darüber, ob die Erben von dem ehemaligen Arbeitgeber des Erblassers die Abgeltung von Urlaubsansprüchen in Geld verlangen dürfen, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers beendet wird.
Rechtlich unproblematisch ist die Situation, dass Erben eines Arbeitnehmers, der erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verstirbt, einen Abgeltungsanspruch für Resturlaub, der wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr in natura genommen werden konnte, gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber geltend machen können (BAG, Urteil vom 22.09.2015 – 9 AZR 170/14). Dieser Urlaubsabgeltungsanspruch ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Vermögen des Arbeitnehmers entstanden und kann folglich gem. § 1922 BGB im wegen der Universalsukzession auf die Erben übergehen.
Stirbt der Arbeitnehmer jedoch noch während des laufenden Arbeitsverhältnisses, ist ein Urlaubsabgeltungsanspruch noch nicht entstanden und kann daher auch nicht Teil der Erbmasse sein. Darüber hinaus vertrat die deutsche höchstrichtliche Rechtsprechung bislang die Auffassung, dass der Erholungszweck des Urlaubs nach dem Tod des Arbeitnehmers nicht mehr erreicht werden könne (so noch BAG, Urteil vom 12.03.2013 – 9 AZR 532/11).
Anders entschied jedoch der EuGH am 06.11.2018 (C-569/16, C-570/16). Nach seiner Rechtsprechung können die Erben, wenn der Arbeitnehmer während des laufenden Arbeitsverhältnisses verstirbt, eine finanzielle Abgeltung des noch nicht genommenen Urlaubs von dem Arbeitgeber verlangen. Neben dem Erholungszweck misst der EuGH dem Urlaubsanspruch damit auch bereits vor Umwandlung in einen Abgeltungsanspruch einen Vergütungszweck bei. Die Folge ist damit, dass das deutsche Erbrecht (§ 1922 BGB) insoweit unionsrechtswidrig und daher unanwendbar ist. Für die Rechtslehre ein verstörendes Ergebnis, das allein zweckorientiert anmutet.
Dem BAG blieb gar nichts anderes übrig, als diese Rechtsprechung zu übernehmen. So geschehen bereits im Urteil vom 22.01.2019 (9 AZR 10/17).
Praxishinweis:
Diese Rechtsprechung gilt jedoch nur für den gesetzlichen Mindesturlaub. Arbeitsvertragliche Regelungen für vertraglich darüber hinaus gewährten Urlaub sollten jederzeit möglich sein, müssen aber ausdrücklich vereinbart werden.
Bereits mit dem Beitrag vom 01.03.2019 hatten wir über die Verhandlung berichtet. Nunmehr ist die Entscheidung veröffentlicht:
Arbeitgeber in der Europäischen Union müssen die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer systematisch erfassen. Hierzu verpflichtet die Arbeitszeitrichtlinie und die Grundrechtecharta der Europäischen Union, so der EuGH in Luxemburg.
Nur so lasse sich überprüfen, ob zulässige Arbeitszeiten überschritten würden. Und das garantiere die in EU-Richtlinien und in der EU-Grundrechtecharta zugesicherten Arbeitnehmerrechte.
Die Deutsche Bank unterlag damit der Klage aus Spanien. (Rechtssache C-55/18) Grund ist allerdings auch die Rechtslage in Spanien, auf die sich die Deutsche Bank berief. Der Gerichtshof stellt fest, dass ohne ein System, mit dem die tägliche Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers gemessen werden kann, weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden könne.
Auswirkungen auf Deutschland
Die in Deutschland vorgegebene, grundsätzliche Erfassung nur von Mehrarbeit im Arbeitszeitgesetz reiche danach auch nicht aus. So sei es für die Arbeitnehmer praktisch unmöglich, ihre Rechte – etwa auf wöchentliche Höchstarbeitszeit oder vorgesehene Ruhezeiten – durchzusetzen. Deshalb verpflichtete der EuGH mit seinem Urteil nun die EU-Mitgliedstaaten, ein System zur systematischen Erfassung der Arbeitszeiten zu bestimmen, an das sich die Arbeitgeber halten müssen.
Das Urteil wird große Auswirkungen auf den Arbeitsalltag auch in Deutschland haben, da Arbeitszeiten nach wie vor von vielen Arbeitgebern systematisch nicht erfasst werden.
Nach Ansicht des Generalanwalts beim EuGH sollen Arbeitgeber aus Gründen des Unionsrechts verpflichtet sein, die tägliche Arbeitszeit aller Arbeitnehmer zu dokumentieren.
Hintergrund
Wie lange dürfen Arbeitnehmer täglich arbeiten? Welche Ruhezeit ist nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit einzuhalten? Wann und wie lange müssen Ruhepausen gemacht werden? Diese und weitere Fragen bzgl. der Arbeitszeit werden in der sog. Arbeitszeitrichtlinie (2003/88)EG) geregelt. Mit Erlass dieser europaweit einheitlichen Mindestvorgaben bezweckte die EU, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeitszeitgestaltung zu gewährleisten.
Der deutsche Gesetzgeber hat diese europäischen Vorgaben (unter anderem) im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) umgesetzt.
Eine generelle Pflicht zur Erfassung der täglichen Arbeitszeiten der Arbeitnehmer sieht das Arbeitszeitgesetz nicht vor. Nach § 16 Abs. 2 ArbZG ist der Arbeitgeber lediglich verpflichtet, die über 8 Stunden hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer sowie eine etwaige Arbeitszeit an Sonn- und Feiertage zu dokumentieren. Lediglich die Arbeitszeit von Kraftfahrern ist generell, d.h. von der ersten Stunde an, aufzuzeichnen, § 21a Abs. 7 ArbZG. Dies gilt nach § 17 Abs. 1 Mindestlohngesetz (MiLoG) auch für die Arbeitszeiten von geringfügigen Beschäftigten außerhalb von Privathaushalten (sog. Minijobbern) und Arbeitnehmern in Branchen, die in den Anwendungsbereich des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz fallen (z.B. Baugewerbe, Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, Personenbeförderungsgewerbe, Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, Gebäudereinigungsgewerbe, Fleischwirtschaft). Die Arbeitszeitaufzeichnungen sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Bei einem Verstoß gegen diese Dokumentations- und Aufbewahrungspflicht droht ein Bußgeld bis zu 15.000 EUR bzw. 30.000 EUR.
Abgesehen von diesen Sonderregeln sind Unternehmen nach geltender Rechtslage nicht verpflichtet, die werktägliche Arbeitszeiten ihrer sozialversicherungspflichtigen Mitarbeiter generell zu dokumentieren. Ob dies auch zukünftig der Fall sein wird, erscheint aufgrund eines Schlussantrags des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof fraglich.
Beim EuGH anhängige Rechtssache C-55/18
Mit dem beim Europäischen Gerichtshof aufgrund eines Vorabentscheidungsverfahren anhängigen Rechtsstreit wollen spanische Gewerkschaften gegenüber einer Deutschen Bank Tochter durchsetzen, dass ein System zur Erfassung der von den Arbeitnehmern geleisteten täglichen effektiven Arbeitszeit eingeführt wird.
Im Rahmen dieses Rechtsstreits hat am 31.01.2019 der Generalanwalt seinen sog. Schlussantrag veröffentlicht. Hierbei handelt es sich um eine Art Rechtsgutachten und Entscheidungsvorschlag für die zuständigen Richter. Der Generalanwalt kommt hierbei zu dem Ergebnis, dass Unternehmen aufgrund der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) verpflichtet seien, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit für Vollzeitarbeitnehmer einzuführen, die sich nicht ausdrücklich individuell oder kollektiv zur Ableistung von Überstunden verpflichtet hätten und die keine mobilen Arbeitnehmer, Arbeitnehmer in der Handelsmarine oder Arbeitnehmer im Eisenbahnsektor seien. Jedoch stehe es den Mitgliedsstaaten frei, auf welche Art und Weise sie eine Verpflichtung zur Erhebung der effektiven täglichen Arbeitszeit vorsehen.
Zur Begründung verweist der Generalanwalt darauf, dass nur durch eine Verpflichtung der Arbeitgeber zur umfassenden Arbeitszeiterfassung gewährleistet sei, dass die unionsrechtlichen Arbeitszeitvorgaben eingehalten und auch überprüft werden können. Ohne umfassende Arbeitszeitdokumentationen könnten weder das Ausmaß tatsächlich geleisteter Arbeit und die Lage der Arbeitszeiten objektiv und sicher festgestellt werden noch zwischen Regelarbeitszeit und Überstunden unterschieden werden. Die Kontrolle der Arbeitszeitvorgaben durch die zuständigen Behörden sowie der Rechtsschutz des einzelnen Arbeitnehmers wären daher ohne Arbeitszeitaufzeichnungen wesentlich erschwert.
Praxishinweis
Die Richter des Europäischen Gerichtshofs sind bei ihrer Entscheidungsfindung nicht an die Schlussanträge des Generalanwalts gebunden. Allerdings folgt das Gericht den Entscheidungsvorschlägen häufig. In diesem Fall wäre der deutsche Gesetzgeber zum Handeln verpflichtet. Denn das deutsche ArbZG wird den vom Generalanwalt aufgestellten Anforderungen nicht gerecht. Es sieht (bisher) keine generelle Pflicht zur umfassenden Arbeitszeiterfassung, also von der ersten Stunde an, vor.
Doch auch auf die Unternehmen kämen erhebliche Arbeiten zu. Umfassende Arbeitszeiterfassungssysteme müssten eingeführt bzw. vorhandene Systeme um eine Komponente erweitert werden, durch welche die arbeitsschutzrechtliche Arbeitszeit dokumentiert wird. Sofern die Arbeitszeitaufzeichnungen elektronisch erfolgen sollen, wäre hierbei ein etwaig bestehender Betriebsrat zu beteiligen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG).
Mithilfe dieser umfassenden Arbeitszeitaufzeichnungen des Arbeitgebers könnte der einzelne Arbeitnehmer zukünftig eine Überstundenvergütung wesentlich einfacher durchsetzen, denn er hätte einen Beleg für seine geleisteten Arbeitszeiten. Sollte der Arbeitgeber keine Arbeitszeitaufzeichnungen vornehmen, würde dies wohl im Rahmen eines Überstundenprozesses zu einer Beweislastumkehr bzw. Beweiserleichterung zugunsten des Arbeitnehmers führen.
Wie der Europäische Gerichtshof letztlich entscheidet, werden Sie auch im Rahmen des Blogs erfahren. Wir halten Sie auf dem Laufenden!