Das sogenannte „Home-Office“ ist derzeit in aller Munde. Wegen der nach wie vor hohen Corona-Zahlen fordern Politiker eine „Pflicht“ für Arbeitgeber, „soweit möglich“ Home-Office zu ermöglichen. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) fordert eine Verpflichtung zum Home-Office durch die Bundesländer. Er halte es »durchaus für geboten, eine Pflicht zum Homeoffice seitens des Bundes im Verordnungswege zu regeln«, sagte Weil der SPD-Parteizeitung »Vorwärts« (Spiegel-online, 18.01.2021). Bündnis 90/Die Grünen haben am 14.01.2021 einen Antrag in den Bundestag eingebracht, dass u.a. eine befristete Corona-Arbeitsschutzverordnung im Rahmen des § 18 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Arbeitsschutzgesetzes erlassen werden möge, die Unternehmen während der pandemischen Notlage verpflichtet, ihren Beschäftigten Homeoffice zu ermöglichen, soweit es die betrieblichen Anforderungen in Hinblick auf die Tätigkeit zulassen. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung sei mit Bußgeld zu bewehren.

Die Debattenlage ist derzeit gekennzeichnet von viel Theaterdonner und politischen Blendgranaten. Zeit also, sich der Problematik differenziert zu nähern. Die derzeitige Debatte leidet aber unter drei grundsätzlichen Problemen, die wir hier vorab kurz anreißen möchten: Zunächst einmal ist die Verwendung des Begriffs „Home-Office“ äußerst ungenau. Zum zweiten bestehen in diesem Zusammenhang zahlreiche rechtliche Unsicherheiten, die seitens des Gesetzgebers zu klären wären, um für alle Beteiligten die Arbeit von zu Hause verlässlich zu ermöglichen. Schließlich halten wir die Einführung einer „Pflicht zum Home-Office“ im Verordnungswege für den falschen Weg.

Vorab in eigener Sache

Wir arbeiten in unserer Kanzlei bereits seit März 2020 hybrid, haben also die Anwesenheit in der Kanzlei halbiert: So sind immer nur höchstens vier MitarbeiterInnen gleichzeitig in der Kanzlei anwesend, der Rest arbeitet im „Home-Office“, besser gesagt mobil. Hierbei kam uns aber entgegen, dass wir die technischen Voraussetzungen bereits vor gut vier Jahren geschaffen haben. Der finanzielle und organisatorische Aufwand, der im März 2020 noch zu betreiben war, war sehr übersichtlich. Mit dem mobilen Arbeiten haben wir seit nun 10 Monaten sehr gute Erfahrungen gemacht. Mit anderen Worten: Wir stehen dem sogenannten „Home-Office“ daher grundsätzlich sehr positiv gegenüber.

Unklare Begrifflichkeiten

Im Zuge der Diskussion um Einschränkung von Kontakten wird immer wieder die Möglichkeit des „Home-Office“ gefordert. Dabei werden hier aber munter die Begriffe „Home-Office“, „Telearbeit“ und „mobiles Arbeiten“ miteinander vermischt. Unter einem „Home-Office“ versteht man rechtlich die Zuweisung eines festen Arbeitsplatzes in der eigenen Häuslichkeit (Home-Office = Büro daheim). „Mobiles Arbeiten“ wiederum ist die ortsungebundene Arbeit, gegebenenfalls unter Nutzung telekommunikativer Anbindungen. Wo in diesem Fall außerhalb des Betriebs gearbeitet wird, entscheidet also der Arbeitnehmer eigenständig. Ist der Arbeitnehmer mit einem Computer ausgestattet, spricht man von Telearbeit.

Bei der Zuweisung des Arbeitsplatzes zu Hause (=Home-Office) ist der Arbeitgeber für die Einhaltung der Vorgaben der Arbeitsstättenverordnung verantwortlich. Die Räumlichkeiten müssen u. a. eine ausreichende (künstliche) Beleuchtung, Tageslicht und eine zumutbare Mindestraumgröße für dauerhaften Aufenthalt (Richtwert: ca. 8-10 m2) aufweisen. Neben telekommunikativer Anbindung und technischer Ausstattung treten zahlreiche Aspekte des Gesundheitsschutzes, welche bei der Einrichtung zu beachten sind. Büromöbel müssen bestimmte ergonomische Normen erfüllen und auch die Belüftung stellt ein relevantes Raumkriterium dar. Neben der telekommunikativen Anbindung musste Arbeitgeber grundsätzlich auch die Kosten für die entsprechende mobiliare Ausstattung des Home-Office tragen und organisieren. Die Einhaltung muss darüber hinaus auch vom Arbeitgeber regelmäßig überprüft werden, weswegen dem Arbeitgeber dann auch Zutrittsrechte zu häuslichen Wohnung gestattet werden müssten.

Demgegenüber unterliegt mobiles Arbeiten nicht den Regelungen der Arbeitsstättenverordnung. Das ist daher sehr viel einfacher umzusetzen, als ein „Home-Office“. Es scheint uns, dass zahlreiche Debattenbeiträge zwar „Home-Office“ sagen, stattdessen aber „mobiles Arbeiten“ meinen.

Zahlreiche offene Rechtsfragen

Unabhängig davon, dass offensichtlich schon bei den Begrifflichkeiten geschludert wird, ist bislang nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber die seit Jahren bestehenden und bekannten Rechtsprobleme angeht. Lediglich für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung wurde Ende 2020 eine Gesetzesänderung auf den Weg gebracht. Noch offen ist die Frage, wer die Kosten für Home-Office/mobiles Arbeiten zu tragen hat (Hardware, Software, Möbel, Ausstattung, anteiliger Stromverbrauch und Miete, etc). und wie – insbesondere bei mobiler Arbeit – der Daten- und Geheimnisschutz gewährleistet wird (man stelle sich nur das Arbeiten in der Bahn oder im Flugzeug vor). Soll mobiles Arbeiten auch ohne telekommunikative Anbindung möglich sein (ich nehme mir einen Schwung Papier mit nach Hause, Originale oder Kopien?) oder nur mit Laptop? Kann ich den Arbeitgeber dann zwingen, entsprechende Laptops anzuschaffen und Server zu installieren, die das möglich machen? Das wären dann aber schnell Investitionskosten im fünfstelligen Bereich.

Zu beantworten ist ferner die Frage, ob der Arbeitgeber, der zur Ermöglichung eines „Home-Office“ gezwungen werden soll, dann auch die erforderlichen Kontroll- und Zutrittsrechte eingeräumt erhält, um jederzeit prüfen zu können, ob der Arbeitsplatz zu Hause den Vorschriften entspricht (es darf hier an die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 GG erinnert werden). Ebenso offen sind Haftungsfragen: Wie hat der mobil Arbeitende seinen Arbeitsplatz z.B. vor computerbegeisterten Kindern zu schützen? Wer haftet in diesem Fall für Schäden? Wie ist der Umgang mit den Waschkörben voller Papier zu regeln? Die derzeit geltenden Regelungen lösen diesen Fall nur sehr unbefriedigend. Für Detailinteressierte dürfen wir auf die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Referentenentwurf zum „Mobile Arbeit-Gesetz) vom Dezember 2020 hinweisen, an der wir mitgearbeitet haben (https://brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2020/dezember/stellungnahme-der-brak-2020-86.pdf).

Bislang mussten diese Fragen vertraglich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geregelt werden, weil gesetzliche Leitlinien fehlen. Sie müssen aber vom Gesetzgeber geregelt werden, wenn dieser Arbeitgeber zu mobile Arbeit/Home-Office verpflichten will.

Keine Regelung durch Verordnung

Der Vorschlag des niedersächsischen Ministerpräsidenten Weil und der Fraktion der Grünen, das Recht zum Home-Office im Wege der Verordnung durchzusetzen, ist falsch und offensichtlich bereits Wahlkampfgetöse. Zwar sieht das Arbeitsschutzgesetz eine Verordnungsermächtigung vor. Mit viel Fantasie ließe sich zwar womöglich auch als eine Maßnahme des Arbeitsschutzes eine Verpflichtung zum mobilen Arbeiten zur Vermeidung von Gefährdungen am eigentlichen, betrieblichen Arbeitsplatz vorstellen. Allerdings löst diese Verordnung keine einzige der oben skizzierten Rechtsfragen. Diese Verordnung müsste zudem bis in die eigene Wohnung reichen, das dürfte wegen Art. 13 GG nicht mehr über eine Verordnung funktionieren.

Darüber hinaus würde eine solche Verordnung in bestehende Arbeitsverträge eingreifen: In den Arbeitsverträgen ist der Arbeitsort in aller Regel verbindlich im Betrieb festgelegt. Sofern diese weder das ortsungebundene Arbeiten, noch das Arbeiten an einem festen Arbeitsplatz in der eigenen Häuslichkeit vorsehen, ist eine Vertragsänderung grundsätzlich nur einvernehmlich möglich. Hier kann nach unserer Überzeugung lediglich durch ein Gesetz eingegriffen werden.

Aus unserer täglichen Beratung wissen wir, dass es sehr häufig nicht am Willen zu häuslicher Arbeit in Pandemiezeiten fehlt, sondern an Unsicherheiten, die aus der Gesetzeslage herrühren. Es wäre eine Menge gewonnen, wenn diese – im Übrigen seit Jahren bekannten – Problemfälle nunmehr gelöst würden.

Nach Ansicht des Generalanwalts beim EuGH sollen Arbeitgeber aus Gründen des Unionsrechts verpflichtet sein, die tägliche Arbeitszeit aller Arbeitnehmer zu dokumentieren.

Hintergrund

Wie lange dürfen Arbeitnehmer täglich arbeiten? Welche Ruhezeit ist nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit einzuhalten? Wann und wie lange müssen Ruhepausen gemacht werden? Diese und weitere Fragen bzgl. der Arbeitszeit werden in der sog. Arbeitszeitrichtlinie (2003/88)EG) geregelt. Mit Erlass dieser europaweit einheitlichen Mindestvorgaben bezweckte die EU, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeitszeitgestaltung zu gewährleisten.

Der deutsche Gesetzgeber hat diese europäischen Vorgaben (unter anderem) im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) umgesetzt.

Eine generelle Pflicht zur Erfassung der täglichen Arbeitszeiten der Arbeitnehmer sieht das Arbeitszeitgesetz nicht vor. Nach § 16 Abs. 2 ArbZG ist der Arbeitgeber lediglich verpflichtet, die über 8 Stunden hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer sowie eine etwaige Arbeitszeit an Sonn- und Feiertage zu dokumentieren. Lediglich die Arbeitszeit von Kraftfahrern ist generell, d.h. von der ersten Stunde an, aufzuzeichnen, § 21a Abs. 7 ArbZG. Dies gilt nach § 17 Abs. 1 Mindestlohngesetz (MiLoG) auch für die Arbeitszeiten von geringfügigen Beschäftigten außerhalb von Privathaushalten (sog. Minijobbern) und Arbeitnehmern in Branchen, die in den Anwendungsbereich des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz fallen (z.B. Baugewerbe, Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, Personenbeförderungsgewerbe, Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, Gebäudereinigungsgewerbe, Fleischwirtschaft). Die Arbeitszeitaufzeichnungen sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Bei einem Verstoß gegen diese Dokumentations- und Aufbewahrungspflicht droht ein Bußgeld bis zu 15.000 EUR bzw. 30.000 EUR.

Abgesehen von diesen Sonderregeln sind Unternehmen nach geltender Rechtslage nicht verpflichtet, die werktägliche Arbeitszeiten ihrer sozialversicherungspflichtigen Mitarbeiter generell zu dokumentieren. Ob dies auch zukünftig der Fall sein wird, erscheint aufgrund eines Schlussantrags des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof fraglich.

Beim EuGH anhängige Rechtssache C-55/18

Mit dem beim Europäischen Gerichtshof aufgrund eines Vorabentscheidungsverfahren anhängigen Rechtsstreit wollen spanische Gewerkschaften gegenüber einer Deutschen Bank Tochter durchsetzen, dass ein System zur Erfassung der von den Arbeitnehmern geleisteten täglichen effektiven Arbeitszeit eingeführt wird.  

Im Rahmen dieses Rechtsstreits hat am 31.01.2019 der Generalanwalt seinen sog. Schlussantrag veröffentlicht. Hierbei handelt es sich um eine Art Rechtsgutachten und Entscheidungsvorschlag für die zuständigen Richter. Der Generalanwalt kommt hierbei zu dem Ergebnis, dass Unternehmen aufgrund der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) verpflichtet seien, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit für Vollzeitarbeitnehmer einzuführen, die sich nicht ausdrücklich individuell oder kollektiv zur Ableistung von Überstunden verpflichtet hätten und die keine mobilen Arbeitnehmer, Arbeitnehmer in der Handelsmarine oder Arbeitnehmer im Eisenbahnsektor seien. Jedoch stehe es den Mitgliedsstaaten frei, auf welche Art und Weise sie eine Verpflichtung zur Erhebung der effektiven täglichen Arbeitszeit vorsehen.  

Zur Begründung verweist der Generalanwalt darauf, dass nur durch eine Verpflichtung der Arbeitgeber zur umfassenden Arbeitszeiterfassung gewährleistet sei, dass die unionsrechtlichen Arbeitszeitvorgaben eingehalten und auch überprüft werden können. Ohne umfassende Arbeitszeitdokumentationen könnten weder das Ausmaß tatsächlich geleisteter Arbeit und die Lage der Arbeitszeiten objektiv und sicher festgestellt werden noch zwischen Regelarbeitszeit und Überstunden unterschieden werden. Die Kontrolle der Arbeitszeitvorgaben durch die zuständigen Behörden sowie der Rechtsschutz des einzelnen Arbeitnehmers wären daher ohne Arbeitszeitaufzeichnungen wesentlich erschwert.

Praxishinweis

Die Richter des Europäischen Gerichtshofs sind bei ihrer Entscheidungsfindung nicht an die Schlussanträge des Generalanwalts gebunden. Allerdings folgt das Gericht den Entscheidungsvorschlägen häufig. In diesem Fall wäre der deutsche Gesetzgeber zum Handeln verpflichtet. Denn das deutsche ArbZG wird den vom Generalanwalt aufgestellten Anforderungen nicht gerecht. Es sieht (bisher) keine generelle Pflicht zur umfassenden Arbeitszeiterfassung, also von der ersten Stunde an, vor.

Doch auch auf die Unternehmen kämen erhebliche Arbeiten zu. Umfassende Arbeitszeiterfassungssysteme müssten eingeführt bzw. vorhandene Systeme um eine Komponente erweitert werden, durch welche die arbeitsschutzrechtliche Arbeitszeit dokumentiert wird. Sofern die Arbeitszeitaufzeichnungen elektronisch erfolgen sollen, wäre hierbei ein etwaig bestehender Betriebsrat zu beteiligen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG).

Mithilfe dieser umfassenden Arbeitszeitaufzeichnungen des Arbeitgebers könnte der einzelne Arbeitnehmer zukünftig eine Überstundenvergütung wesentlich einfacher durchsetzen, denn er hätte einen Beleg für seine geleisteten Arbeitszeiten. Sollte der Arbeitgeber keine Arbeitszeitaufzeichnungen vornehmen, würde dies wohl im Rahmen eines Überstundenprozesses zu einer Beweislastumkehr bzw. Beweiserleichterung zugunsten des Arbeitnehmers führen.

Wie der Europäische Gerichtshof letztlich entscheidet, werden Sie auch im Rahmen des Blogs erfahren. Wir halten Sie auf dem Laufenden!