Muss der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen die Gehaltsabrechnungen per Post nach Hause schicken??
Leitsatz des BAG Urt. v. 28.01.2028, Az. 9 AZR 48/24: „Der gesetzliche Anspruch auf Erteilung einer Entgeltabrechnung begründet eine Holschuld, die der Arbeitgeber grundsätzlich dadurch erfüllen kann, dass er die Abrechnung in Textform in ein passwortgeschütztes digitales Mitarbeiterpostfach einstellt.“
Sachverhalt
Die Klägerin ist in einem Einzelhandelsbetrieb der Beklagten als Verkäuferin beschäftigt. Zwischen den Parteien besteht Streit über die Erteilung von Entgeltabrechnungen über ein digitales Mitarbeiterpostfach, dessen Einführung und Anwendung eine zwischen dem Konzernverbund, dem die Beklagte angehört und dem Konzernbetriebsrat geschlossene Konzernbetriebsvereinbarung („KBV Mitarbeiterpostfach“) regelt.
Die KBV Mitarbeiterpostfach sieht vor, dass die Beklagte ihren Mitarbeitern die jeweiligen Entgeltabrechnungen nicht mehr in Papierform, sondern ausschließlich digital über einen Cloud-Service zur Verfügung stellt. Zu diesem Zweck stellt die Beklagte in ihren Betriebsräumen Rechner zur Verfügung, an welchen Arbeitnehmer während ihrer Arbeitszeit Zugriff auf das von der Beklagten betriebene Online-Portal haben. Die hierüber erteilten Entgeltabrechnungen können so individuell und jeweils passwortgeschützt abgerufen werden, ohne dass für die Arbeitnehmer die Schaffung einer privaten IT-Infrastruktur erforderlich ist.
Hiergegen wendet sich die Klägerin und vertritt dabei die Auffassung, ihr Anspruch auf Erteilung von Entgeltabrechnungen nach § 108 Abs. 1 GewO sei durch die Bereitstellung elektronischer Entgeltabrechnungen im digitalen Mitarbeiterpostfach nicht erfüllt. Einer Verwendung des Mitarbeiterpostfaches als Empfangsvorrichtung habe sie widersprochen. Insoweit beruft sie sich auf § 108 Abs. 1 S. 1 GewO.
§ 108 GewO lautet auszugsweise.
„(1) Dem Arbeitnehmer ist bei Zahlung des Arbeitsentgelts eine Abrechnung in Textform zu erteilen. Die Abrechnung muss mindestens Angaben über Abrechnungszeitraum und Zusammensetzung des Arbeitsentgelts enthalten. Hinsichtlich der Zusammensetzung sind insbesondere Angaben über Art und Höhe der Zuschläge, Zulagen, sonstige Vergütungen, Art und Höhe der Abzüge, Abschlagszahlungen sowie Vorschüsse erforderlich.
(…)“
Entscheidung
Nachdem die Klage in erster Instanz zunächst zurückgewiesen wurde, gab das mit der Berufung befasste LAG Niedersachsen der Klage statt. Die hiergegen durch die Beklagte gerichtete Revision war insoweit erfolgreich, als dass das Urteil des LAG aufgehoben wurde. Die Sache wurde durch das BAG zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.
Das BAG kommt in seiner Entscheidung zu dem Schluss, dass der Arbeitgeber, welcher Entgeltabrechnungen erteilt, indem er diese in ein digitales Mitarbeiterpostfach einstelle, seine Pflichten aus § 108 Abs. 1 GewO erfülle. Durch das Bereitstellen der Entgeltabrechnung in einem individuellen, jeweils passwortgeschützten Mitarbeiterpostfach wahre der Arbeitgeber grundsätzlich die von § 108 Abs. 1 S. 1 GewO vorgeschriebene Textform. Bei dem Anspruch auf Abrechnung des Entgelts von Arbeitnehmern handelt es sich um eine sog. Holschuld. Diese könne der Arbeitgeber durch die digitale Bereitstellung erfüllen, ohne dass er für den Zugang der Abrechnung bei den Beschäftigten verantwortlich sei.
Das BAG erkennt auch sonst keine Rechtsverstöße. Weder wird durch die KBV Mitarbeiterpostfach unverhältnismäßig in die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eingegriffen, noch sind (in dem konkreten Fall) datenschutzrechtliche Bedenken aufgetreten.
Trotzdem hat sich der Senat an einer abschließenden Entscheidung gehindert gesehen, da sich anhand der in der Vorinstanz getroffenen Feststellungen nicht beurteilen lasse, ob das digitale Mitarbeiterpostfach durch die mit dem Konzernbetriebsrat getroffene Konzernbetriebsvereinbarung wirksam eingeführt worden ist und somit als technisches Medium für die Erfüllung der Abrechnungsansprüche genutzt werden darf. Voraussetzung hierfür wäre die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats zur Ausübung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. (BAG Urt. v. 28.01.2025, 9 AZR 48/24.)
Für die Praxis:
Sollte die KBV Mitarbeiterpostfach nicht in die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrates fallen, wird das LAG der Klägerin in der Sache trotz der Feststellungen des BAG stattgeben müssen. Dieser Umstand macht die vorliegende Entscheidung aber nicht weniger wichtig. Gerade für Arbeitgeber ist die vorliegende Entscheidung des 9. Senat sowie die darin enthaltenen Grundsätze interessant und auch erfreulich.
Denn das BAG geht mit der Entscheidung einen weiteren Schritt in Richtung Digitalisierung und Entbürokratisierung.