03.08.2023

BAG: Kein Verwertungsverbot eines Überwachungsvideos im Kündigungsstreit trotz Datenschutzbedenken

Sachverhalt

Der Kläger war bei der Beklagten, einem großen metallverarbeitenden Betrieb (Gießerei), zuletzt als Teamleiter beschäftigt.

Gestützt auf den Vorwurf, der Kläger habe einen Arbeitszeitbetrug zu Lasten der Beklagten begangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos, hilfsweise fristgemäß. Der Kläger habe unter anderem eine sog. Mehrarbeitsschicht am 02.06.2018 nicht geleistet in der Absicht, dennoch die Vergütung dafür zu beanspruchen.

Nach seinem eigen Vorbringen hat der Kläger an diesem Tag das Werksgelände betreten.

Vor Ausspruch der Kündigung wurden die Aufzeichnungen einer durch ein Piktogramm ausgewiesenen und auch sonst nicht zu übersehenden Videokamera an einem Tor zum Werksgelände, nach einem anonymen Hinweis auf regelmäßigen Arbeitszeitbetrug durch Mitarbeitende der beklagten Gießerei, ausgewertet. Diese ergaben, dass der Kläger das Werksgelände, wie nach seinem eigenen Vorbringen zwar betreten, jedoch noch vor Schichtbeginn wieder verlassen hatte.

Mit der gegen die Kündigung erhobenen Klage machte der Kläger u.a. geltend, er habe am 02.06.2018 gearbeitet. Die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung unterlägen einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot und dürften daher im Kündigungsschutzprozess nicht berücksichtigt werden.

Entscheidung

Die Vorinstanzen hatten der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgericht hatte bis auf einen Antrag betreffend ein Zwischenzeugnis Erfolg, so dass die Sache durch das BAG an das LAG Niedersachen zurückverwiesen wurde.

Das LAG musste – dies folgt aus den einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts sowie des nationalen Verfahrens- und Verfassungsrechts – nicht nur den Vortrag der Beklagten zum Verlassen der Werkgeländes vor Beginn der Mehrarbeitsschicht zu Grunde legen, sondern ggf. auch die betreffende Sequenz aus der Videoüberwachung in Augenschein nehmen. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) entsprach.

Eine Verarbeitung der betreffenden personenbezogenen Daten des Klägers durch die Gerichte für Arbeitssachen ist jedenfalls dann nicht ausgeschlossen, wenn die Datenerhebung wie hier offen erfolgt und vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht. Zudem sei in einem solchen Fall grundsätzlich irrelevant, wie lange der Arbeitgeber mit der erstmaligen Einsichtnahme in das Bildmaterial zugewartet und es bis dahin vorgehalten hat.

Das BAG konnte hingegen offenlassen, ob ausnahmsweise aus Gründen der Generalprävention ein Verwertungsverbot bei vorsätzlichen Pflichtverstößen in Betracht komme, wenn eine offene Überwachungsmaßnahme eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung hervorrufe.

Praxishinweis

Durch die vorliegende Entscheidung entwickelt das BAG seine bisherige Rechtsprechung zu Fragen der prozessualen Verwertbarkeit in konsequenter Linie weiter.

Die durch das LAG Niedersachsen angeführte Argumentation, wonach eine prozessuale Verwertung der Videoaufzeichnungen das allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers in erheblicher Weise verletze hat sich das BAG nicht angeschlossen.

Auf dieser Grundlage hatte das BAG in vorhergehenden Entscheidungen bereits anerkannt, dass die Verwertung eines „Zufallsfunds“ aus einer gerechtfertigten verdeckten Videoüberwachung zulässig sein kann. In einem späteren Fall einer zulässigen offenen Videoüberwachung lehnte es ein Verwertungsverbot von Sequenzen, die vorsätzliche Handlungen eines Arbeitnehmers zulasten des Eigentums des Arbeitgebers zeigten, wegen Verstößen gegen Löschungspflichten ab, solange die Rechtsverfolgung durch den Arbeitgeber materiell-rechtlich möglich ist.

Das BAG betonte bereits in früheren Entscheidungen, dass Datenschutz kein Täterschutz darstelle und ein Beweisverwertungsverbot nur bei gravierenden Verstößen gegen datenschutzrechtliche Vorgaben angenommen werden könne – insoweit überrascht die Entscheidung nicht.