18.02.2022

Verfall von Urlaub bei Langzeiterkrankten

In den vergangenen Jahren hat das BAG in mehreren Entscheidungen zum Verfall von Urlaubstagen die Arbeitgeber ganz schön ins Schwitzen gebracht.

Durfte man früher davon ausgehen, dass vom Arbeitnehmer nicht angetretener Urlaub allein mit Ablauf des 31.12. eines Jahres oder spätestens mit Ablauf des 31.03. des Folgejahres verfällt, belehrte zunächst der EuGH und dem folgend auch das BAG die Arbeitgeber eines besseren:

Er erlegt den Arbeitgebern Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten auf. Nicht genommener Urlaub verfällt danach nicht mehr automatisch zum Jahresende – oder bei Übertragung zum Ende des ersten Quartals des Folgejahres -, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht im laufenden Urlaubsjahr darauf hingewiesen hat, wieviel Urlaub ihm noch zusteht und ihn dazu aufgefordert hat, diesen auch zu nehmen versehen mit dem Hinweis, dass er andernfalls verfällt.

Bei Langzeiterkrankten gilt bereits seit Jahren nach der Rechtsprechung des EuGH, dass wegen der Arbeitsunfähigkeit nicht genommener Urlaub erst nach 15 Monaten verfällt, mithin erst mit Ablauf des 31.03. des übernächsten Jahres.

Die Kombination dieser beiden Konstellationen beschäftigte das BAG im vergangenen Jahr in folgender Fallgestaltung.

Sachverhalt:

Die Parteien streiten über die Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2015 bis 2017. Der Kläger war vom 01.11.2001 bis 31.12.2019 bei der Beklagten beschäftigt. Vom 18.11.2015 bis 31.12.2019 war er krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Er hatte Anspruch auf 30 Urlaubstage pro Jahr. 2015 gewährte die Beklagte 21 Urlaubstage, in den Jahren 2016 und 2017 keinen Urlaub. Die Beklagte hat den Kläger nicht aufgefordert, Urlaub zu nehmen und auch nicht darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraums verfallen kann. Die Klage auf Urlaubsabgeltung haben das ArbG und das LAG abgewiesen.

Entscheidung:

Im Hinblick auf die Urlaubsabgeltung für 2016 und 2017 weist das BAG die Klage ab. Nach Auffassung des BAG sind die Urlaubsansprüche des Klägers aus 2016 am 31.03.2018 verfallen und die Urlaubsansprüche aus 2017 am 31.03.2019. § 7 III BUrlG sei unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass der bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern über das Ende des Urlaubsjahres und des Übertragungszeitraums hinaus aufrechterhaltene Urlaubsanspruch zu dem im Folgejahr entstandenen Urlaubsanspruch hinzutrete und bei fortlaufender Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres verfalle. Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 III BUrlG setze nach unionsrechtskonformer Auslegung jedoch voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordere, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteile, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraums verfalle, wenn er ihn nicht beantrage. Diese Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers bestünden zwar auch, wenn und solange der Arbeitnehmer arbeitsunfähig sei. Der Arbeitgeber könne nämlich den arbeitsunfähigen Arbeitnehmer rechtzeitig entsprechend den gesetzlichen Vorgaben unterrichten und ihn auffordern, den Urlaub bei Wiedergenesung vor Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums rechtzeitig zu beantragen. Die Befristung des Urlaubsanspruchs sei allerdings nicht von der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten abhängig, wenn es – was erst im Nachhinein feststellbar sei – objektiv unmöglich gewesen wäre, den Arbeitnehmer durch Mitwirkung des Arbeitgebers in die Lage zu versetzen, den Urlaubsanspruch zu realisieren. Dies sei der Fall, wenn der Arbeitnehmer durchgehend bis zum 31.03. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgende Kalenderjahr arbeitsunfähig sei.

Im Hinblick auf die Abgeltung für 2015 setzt das Gericht das Verfahren wegen eines anderweitig anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH nach § 148 ZPO analog aus. Bereits mit Beschluss vom 7.7.2020 hat der Senat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern einem Verfall 15 Monaten nach Ende des Urlaubsjahres entgegenstünden, soweit der vor (!) der langfristigen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers entstandene und nicht genommene Urlaub betroffen sei. Die Antwort des EuGH hierauf steht noch aus.

Praxishinweis:

Mit der vorliegenden Entscheidung stellt der Senat klar, dass es für Urlaubsansprüche, die (vollständig) während der langfristigen Arbeitsunfähigkeit entstanden sind, bei der vom EuGH bereits seit langem entschiedenen und vom BAG übernommenen Verfall 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres auch dann verbleibt, wenn der Arbeitgeber die Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten während dieser Zeit nicht erfüllt. Das ist völlig überzeugend, da solche Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten keine Bedeutung für die Urlaubserteilung haben, da die Urlaubsnahme bereits aufgrund dauernder Arbeitsunfähigkeit ausgeschlossen ist.

In der Praxis ist allerdings zu bedenken, dass diese Betrachtung im Nachhinein zwar sehr einfach ist. Allerdings wissen Arbeitgeber im laufenden (Urlaubs-)Jahr in der Regel nicht, ob der Arbeitnehmer wirklich das gesamte Kalenderjahr über arbeitsunfähig krank sein wird.

Daher ist Arbeitgebern dringend anzuraten, ganz schematisch jedes Jahr und bei jedem Arbeitnehmer ihrer Aufforderungs- und Hinweisobliegenheit hinsichtlich des Urlaubsverfalls nachzukommen.