Die wichtigsten Schwellenwerte im Arbeitsrecht
Eine der Besonderheiten und Herausforderungen des Arbeitsrechts ist, dass kein einheitliches Arbeitsgesetzbuch existiert; das Arbeitsrecht ist vielmehr geprägt durch eine für den juristischen Laien schier unüberblickbaren Vielzahl von Einzelgesetzen. Erschwerend kommt in diesem Zusammenhang dazu, dass viele Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien von dem Erreichen bestimmer Schwellenwerte abhängig sind, die nicht in sich stimmig sind, sondern stattdessen eher einem systemlosen Flickenteppich gleichen.
Im Folgenden haben wir Ihnen daher einen Überblick über die wichtigsten Schwellenwerte im Arbeitsrecht erstellt, der Ihnen als erste Orientierungshilfe dienen soll.
Bitte beachten Sie, dass die Schwellenwerte nicht immer gleich berechnet werden. Meistens stellen die Regelungen auf „in der Regel beschäftigte Arbeitnehmer“ ab, d.h. es ist die durchschnittliche Belegschaftsstärke entscheidend. Zum Teil kommt es jedoch auch auf eine Stichtagsberechnung an. In manchen Gesetzen werden Arbeitnehmer pro Kopf berechnet, wohingegen andere Gesetze Teilzeitkräfte nur anteilig mitzählen. Ob Auszubildende, Fremdgeschäftsführer und andere besondere Arbeitnehmergruppen mitzuzählen sind, wird ebenso uneinheitlich beantwortet. Zuletzt hat sogar der Betriebsbegriff in verschiedenen Gesetzen einen unterschiedlichen Bedeutungsgehalt. Sie sehen, dass der nachfolgende Überblick keine qualifizierte Rechtsberatung im Einzelfall ersetzen kann.
Anzahl Mitarbeiter | abgestellt wird auf | Arbeitsrechtliche Konsequenz | Gesetzliche Vorschrift |
1 | Betrieb | Abhängig von den Anforderungen der zuständigen Berufgenossenschaft kann Bestellung eines Betriebsarztes oder einer FAchkraft für Arbeitssicherheit erforderlich sein | §§ 2 ff. ASiG |
2 | Betrieb | Bestellung eines Ersthelfers | § 26 DGUV 1 |
5 | Betrieb / Dienststelle | Wahl eines Betriebsrats / Personalrats ist möglich Größe Betriebsrat ist von Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer abhängig (§ 9 BetrVG) | § 1 BetrVG, Art. 12 Abs. 1 BayPVG |
5 schwerbehinderte / gleichgestellte Menschen | Betrieb | Wahl einer Schwerbehindertenvertretung ist möglich | § 177 SGB IX |
5 minderjährige Arbeitnehmer oder Auszubildende unter 25 Jahren | Betrieb | Wahl einer Jugend- und Auszubildendenvertretung ist möglich | § 60 BetrVG |
mehr als 5; besondere Zählweise: (siehe nächste Spalte) | Betrieb | Kündigungsschutz für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor dem 01.01.2004 begonnen hat | § 23 Abs. 1 KSchG |
mehr als 10; besondere Zählweise: 0-20 Wochenstunden: 0,5 20,01-30 Wochenstunden: 0,75 ab 30,01 Wochenstunden: 1; Minijobber, mitarbeitender Ehepartner, gekündigter Arbeitnehmer zählen mit; Azubis, Arbeitgeber und Vertretungsorgane zählen nicht mit | Betrieb | Kündigungsschutz: Nach sechsmonatigen Bestehen eines Arbeitsverhältnisses ist eine ordentliche Kündigung nur noch aus verhaltens-, personenbedingten oder betriebsbedingten Kündigung möglich | § 23 Abs. 1 KSchG |
10 leitende Angestellte | Betrieb | Bildung eines Sprecherausschusses ist möglich | § 1 SprAuG |
11 | Arbeitsstätte | Einrichtung eines Pausenraums | 4.1 ASR A 4.2 |
mehr als 15 | Unternehmen | Anspruch auf Pflegezeit | § 3 PflegeZG |
mehr als 15 | Unternehmen | Anspruch auf unbefristete Teilzeit | § 8 TzBfG |
mehr als 15 | Unternehmen | Anspruch auf befristete Teilzeit während Elternzeit | § 15 Abs. 7 BEEG |
20, soweit sie personenbezogener Daten automatisiert verarbeiten (=Bildschirmarbeitsplätze) | Unternehmen | Bestellung eines Datenschutzbeauftragten | § 38 BDSG |
20 besondere Zählweise: Es zählen nur Mitarbeiter mit mehr als 18 Wochenstunden | Unternehmen | Beschäftigungspflicht schwerbehinderter Menschen, ggf. Ausgleichsabgabe | § 154 SGB IX |
20 | Unternehmen | Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten | § 22 SGB VII |
mehr als 20 Zählweise wie bei § 23 KSchG | Betrieb | Bildung eines Arbeitsschutzausschusses | § 11 ASiG |
mehr als 20 | Betrieb | Mitbestimmung des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen | § 99 BetrVG |
mehr als 20 | Betrieb | Mitbestimmung des Betriebsrats bei Betriebsänderungen (Interessenausgleich und Sozialplan) | §§ 111, 112 BetrVG |
mehr als 20 (Fremdgeschäftsführer zählen mit) | Betrieb | Pflicht zu Erstattung einer Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit bei Entlassung von mehr als 5 Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen in Betrieben mit mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmer | § 17 KSchG |
mehr als 25 | Unternehmen | Anspruch auf Familienpflegezeit | § 2 Abs. 1 FPlZG |
bis maximal 30; besondere Zählweise: bis 10 Wochenstunden: 0,25 bis 20 Wochenstunden: 0,5 bis 30 Wochenstunden: 0,75 ab 30,01 Wochenstunden: 1 | Unternehmen | Anspruch des Arbeitgebers auf teilweise Erstattung der Lohnfortzahlungskosten; ab 31 Arbeitnehmer (-) | § 1 AAG |
mehr als 45 | Unternehmen | Anspruch auf Brückenteilzeit (=befristete Teilzeit für 1-5 Jahre); prozentuale Zumutbarkeitsgrenze für Arbeitgber mit 46 bis 200 Arbeitnehmer | § 9a TzBfG |
bis 50 | Unternehmen | Erlaubnisfreie Arbeitnehmerüberlassung zur Vermeidung von Kurzarbeit oder Entlassung bis zu 12 Monate (vorherige Anzeige bei Agentur für Arbeit erforderlich) | § 1a AÜG |
60 | Betrieb | Pflicht zur Erstattung einer Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit in Betrieben mit mehr als 60 bis 500 Arbeitnehmern bei Entlassung von 10 % oder mehr als 25 Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen | § 17 KSchG |
mehr als 100 | Betrieb | Betriebsrat kann Betriebsausschüsse und Arbeitsgruppen bilden | §§ 28, 29 BetrVG |
mehr als 100 | Unternehmen | Pflicht zur Bildung eines Wirtschaftsausschusses, wenn Betriebsrat besteht | § 106 BetrVG |
200 | Betrieb | Freistellung eines Betriebsratsmitglieds | § 38 BetrVG |
201 | Betrieb | Betriebsrat bildet Betriebsausschuss zur Führung der laufenden Geschäfte | § 27 BetrVG |
300 | Unternehmen | Betriebsrat kann bei Betriebsänderungen einen Berater hinzuziehen | § 111 BetrVG |
ab 500 | Betrieb | Pflicht zur Erstattung einer Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit bei Entlassung von mindestens Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen | § 17 KSchG |
mehr als 500 | Betrieb | Betriebsrat kann die Aufstellung von Personalauswahl-Richtlinien | § 95 BetrVG |
mehr als 500 | Unternehmen | 1/3 des Aufsichtsrates (KGaA, AG, GmbH, Gen) ist mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen | § 1 DrittelbG |
mehr als 500 | Unternehmen | Bericht zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit, Aufforderung zu betrieblichen Prüfverfahren zur Einhaltung der Entgeltgleichheit | §§ 17-22 EntgeltTranspG |
mehr als 1000 | Unternehmen | Gründung eines Europäischen Betriebsrats ist möglich | § 3 EBRG |
mehr als 2000 | Unternehmen | Aufsichtsrat (KGaA, AG, GmbH, Gen) ist zur Hälfe mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen | § , 7 MitbestG |
Leiharbeitnehmer sind dann bei den vorgenannten Schwellenwere mitzuzählen, wenn diese „in der Regel“ im Unternehmen/Betrieb beschäftigt sind (vgl. § 14 Abs. 2 S. 5, 6 AÜG: zeitliche Grenze von 6 Monaten). Mit anderen Worten: Wenn ein Dauerarbeitsplatz mit einem Leiharbeitnehmer besetzt ist, zählt dieser zur Belegschaftsstärke. Dies gilt insbesondere auch bei der Frage, ob das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet.