18.09.2020

Kopftuchverbot: Entschädigung wegen Diskriminierung

Das BAG hat einer neuen Entscheidung die Vorinstanzen bestätigt, die einer erfolglosen Bewerberin eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung wegen ihrer Religion zugesprochen haben (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. August 2020 – 8 AZR 62/19).

Sachverhalt

Die Klägerin ist Diplom-Informatikerin; sie bezeichnet sich als gläubige Muslima und trägt als Ausdruck ihrer Glaubensüberzeugung ein Kopftuch. Die Klägerin bewarb sich beim beklagten Land im Rahmen eines Quereinstiegs mit berufsbegleitendem Referendariat für eine Beschäftigung als Lehrerin in den Fächern Informatik und Mathematik in der Integrierten Sekundarschule (ISS), dem Gymnasium oder der Beruflichen Schule. Das beklagte Land lud sie zu einem Bewerbungsgespräch ein. Im Anschluss an dieses Gespräch, bei dem die Klägerin ein Kopftuch trug, sprach sie ein Mitarbeiter der Zentralen Bewerbungsstelle auf die Rechtslage nach dem sog. Berliner Neutralitätsgesetz an.

Dieses lautet in § 2: Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in den öffentlichen Schulen nach dem Schulgesetz dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt nicht für die Erteilung von Religions- und Weltanschauungsunterricht.

Die Klägerin erklärte daraufhin, sie werde das Kopftuch auch im Unterricht nicht ablegen. Nachdem ihre Bewerbung erfolglos geblieben war, nahm die Klägerin das beklagte Land auf Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG in Anspruch. 

Die Entscheidung:

Die Klägerin könne nach § 15 II AGG wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot nach § 8 I AGG die Zahlung einer Entschädigung i.H.v. 5.159,88 EUR verlangen. Sie habe als erfolglose Bewerberin eine unmittelbare Benachteiligung i.S.v. § 3 I AGG erfahren. Der Umstand, dass ein Mitarbeiter der Zentralen Bewerbungsstelle die Klägerin auf die Rechtslage nach dem sog. Berliner Neutralitätsgesetz angesprochen und die Klägerin daraufhin erklärt habe, sie werde das Kopftuch auch im Unterricht nicht ablegen, begründe die Vermutung, dass die Klägerin wegen der Religion benachteiligt wurde. Die Benachteiligung sei nicht nach § 8 I AGG gerechtfertigt. Eine Regelung, die – wie § 2 Berliner Neutralitätsgesetz – das Tragen eines sog. islamischen Kopftuchs durch eine Lehrkraft im Dienst ohne weiteres, d.h. schon wegen der bloßen abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität in einer öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule, verbiete, führe zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Religionsfreiheit nach Art. 4 GG, sofern das Tragen des Kopftuchs – wie hier im Fall der Klägerin – nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen sei. § 2 Berliner Neutralitätsgesetz sei in diesen Fällen daher verfassungskonform dahin auszulegen, dass das Verbot des Tragens des Kopftuchs nur im Fall einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gelte. Eine solche konkrete Gefahr habe das beklagte Land indes nicht dargetan. Die Entscheidung des LAG über die Höhe der Entschädigung halte im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Kontrolle stand.

Hinweise

Diese Entscheidung war zu erwarten, nachdem das Bundesverfassungsgericht mit dem umstrittenen Beschluss vom 27.01.2015 entschieden hat, dass ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen von Lehrkräften in öffentlichen Schulen sei mit der Religionsfreiheit gem. Art. 4 GG nicht vereinbar. An dieser Rechtsprechung kam das BAG wegen § 31 I BVerfGG nicht vorbei. Auch wenn diese Entscheidung nicht für private Arbeitgeber gilt, so zeigt sie deutlich, wie schnell die Haftungsfolge des § 15 II AGG eingreift. Aber auch bei privaten Arbeitgebern ist ein „Kopftuchverbot“ unzulässig, wenn es nicht konsequent und generell die öffentliche Bekundung religiöser oder weltanschaulicher Überzeugungen untersagt.