20.08.2020

Mindestlohn für Einsatz in der häuslichen 24-Stunden-Betreuung

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg hat der Klage einer im Rah­men einer „24-Stun­den-Pfle­ge zu Hause“ ein­ge­setz­ten Ar­beit­neh­me­rin auf Zah­lung zu­sätz­li­cher Ver­gü­tung im We­sent­li­chen statt­ge­ge­ben. Die Be­ru­fung des Ar­beit­ge­bers auf die ver­ein­bar­te Be­gren­zung der Ar­beits­zeit auf un­rea­lis­ti­sche 30 Stun­den pro Woche sei treu­wid­rig, wenn eine um­fas­sen­de Be­treu­ung ver­ein­bart sei und der Ar­beit­ge­ber die Ar­beits­zeit nicht wei­ter or­ga­ni­siert habe (Urteil vom 17.08.2020 – 21 Sa 1900/19). Das Urteil zeigt exemplarisch die massiven arbeitsrechtlichen Probleme der 24-Stunden-Betreuung von Pflegebedürftigen zu Hause.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine bulgarische Staatsangehörige, wurde auf Vermittlung einer deutschen Agentur, die mit dem Angebot „24 Stunden Pflege zu Hause“ wirbt, von ihrem in Bulgarien ansässigen Arbeitgeber nach Deutschland entsandt, um eine hilfsbedürftige 96-jährige Dame zu betreuen. In dem Arbeitsvertrag der Klägerin war eine Arbeitszeit von 30 Stunden wöchentlich vereinbart. In dem Betreuungsvertrag mit der zu versorgenden Dame waren eine umfassende Betreuung mit Körperpflege, Hilfe beim Essen, Führung des Haushalts und Gesellschaftleisten und ein Betreuungsentgelt für 30 Stunden wöchentlich vereinbart. Die Klägerin war gehalten, in der Wohnung der zu betreuenden Dame zu wohnen und zu übernachten.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin Vergütung für 24 Stunden täglich über mehrere Monate gefordert. Sie argumentiert, sie sei in dieser Zeit von 6.00 Uhr morgens bis etwa 22.00/23.00 Uhr im Einsatz gewesen und habe sich auch nachts bereithalten müssen, falls sie benötigt werde. Sie habe deshalb für die gesamte Zeit einen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn (nach deutschem Recht). Der Arbeitgeber hat die behaupteten Arbeitszeiten bestritten und sich auf die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit berufen.

Die Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin den geforderten Mindestlohn ausgehend von einer täglichen Arbeitszeit von 21 Stunden zugesprochen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Berufung des Arbeitgebers auf die vereinbarte Begrenzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden sei treuwidrig, wenn eine umfassende Betreuung zugesagt sei und die Verantwortung sowohl für die Betreuung als auch die Einhaltung der Arbeitszeit der Klägerin übertragen werde. Es sei Aufgabe des Arbeitgebers, so das LAG, die Einhaltung von Arbeitszeiten zu organisieren, was hier nicht geschehen sei. Die angesetzte Zeit von 30 Stunden wöchentlich sei für das zugesagte Leistungsspektrum im vorliegenden Fall unrealistisch. Die zuerkannte vergütungspflichtige Zeit ergebe sich daraus, dass neben der geleisteten Arbeitszeit für die Nacht von vergütungspflichtigem Bereitschaftsdienst auszugehen sei. Da es der Klägerin jedoch zumutbar gewesen sei, sich in einem begrenzten Umfang von geschätzt drei Stunden täglich den Anforderungen zu entziehen, sei eine vergütungspflichtige Arbeitszeit von täglich 21 Stunden anzunehmen

Praxishinweise:

Das Urteil zeigt exemplarisch die erheblichen arbeitsrechtlichen Probleme dieser Betreuungsform. Ein Arbeitsvertrag mit nur 30 Wochenstunden kann dem Sinn dieser 24-Stunden-Betreuung nicht gerecht werden. Viele Angehörige wünschen sich aber, dass jemand „rund-um-die-Uhr“ für ihre Angehörigen da ist, um eine Heimunterbringung zu vermeiden. Das führt aber dazu, dass dieser Einsatz auch zu bezahlen ist, wodurch diese Betreuung kaum mehr zu bezahlen ist. Nicht beleuchtet wurden vom LAG die Probleme, die dieser Betreuung zudem im Arbeitszeitrecht begegnen: für eine Ruhezeit von 11 Stunden täglich, Höchstarbeitszeit von 10 Stunden bei entsprechendem Ausgleich oder auch nur Mindestpausen nach deutschem Recht lässt die 24-Stunden-Betreuung keinen Raum. Im entschiedenen Fall wurde zwar ein bulgarisches Unternehmen verurteilt, weit verbreitet ist aber auch der Fall, dass die Betreuungskräfte von den Familien selbst angestellt werden oder, noch schlimmer, als selbständige Honorarkraft eingesetzt werden. Hierbei dürfte es sich aber in aller Regel um Scheinselbständigkeit handeln mit erheblichem finanziellen Risiko für die Familien. Je nach Konstellation könnte auch noch eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung hinzukommen.

Sie sehen, diese Art der Betreuung, so attraktiv sie auch sein mag, ist ein arbeitsrechtliches Minenfeld. Rechtlich sicher dürfte nur ein Vertrag mit einem Pflegedienst sein, der einen täglichen Wechsel von drei Betreuungskräften garantiert. Das dürfte aber kaum zu bezahlen sein. Wir sehen den Gesetzgeber in der Verantwortung, einen verlässlichen rechtlichen Rahmen für die „rund-um-die-Uhr-Betreuung“ zu schaffen. Bevor das nicht geschehen ist, kann diese Betreuungsform nicht empfohlen werden.