Bundesgerichtshof muss entscheiden: Schmerzensgeld für unnötig hinausgezögerten Tod?
Ein langes Leben wünschen sich viele – aber nicht um jeden Preis. Wann die Zeit zum Sterben gekommen ist, müssen Mediziner erkennen. Nun soll erstmals ein Arzt für sinnlos verlängertes Leiden geradestehen.
Der Sachverhalt:
Ein Münchner Senior ist 82 Jahre alt geworden. Nach Meinung seiner Hinterbliebenen zu alt. Der Sohn ist der Auffassung, dass sein dementer Vater bereits mit 80 Jahren „am Ende war“: Im Pflegeheim bewegungsunfähig im Bett, außerstande, sich mitzuteilen, von Krankheiten gebeutelt, hält den alten Mann bis 2011 die künstliche Ernährung per Magensonde am Leben. Eine sinnlose Quälerei, meint der Sohn: „Er durfte nicht sterben.“ Mit dem Tod des Vaters hat der Sohn alles geerbt – auch die Ansprüche: Vom behandelnden Hausarzt will er mindestens 100.000 Euro Schmerzensgeld wegen „fortgesetzter Körperverletzung“ und mehr als 52.000 Euro Schadenersatz. So viel sollen seit Anfang 2010 Behandlung und Pflege gekostet haben. Begründet wird diese Forderung mit den ärztlichen Grundsätzen der Sterbebegleitung, die eine Änderung des Behandlungszieles für geboten halten, wenn lebenserhaltende Maßnahmen Leiden nur verlängern würden oder die Änderung des Behandlungsziels dem Willen des Patienten entspricht. Dem Arzt wird daher vorgeworfen, nicht mit dem Betreuer, der den Demenzkranken wegen der damaligen Abwesenheit des Sohnes zu Seite stand, über den Einsatz der Magensonde gesprochen zu haben.
Schmerzensgeld für unnötig verlängertes Leid?
Der Bundesgerichtshof steht nun vor einer schwer lösbaren Frage: Kann einem Menschen Schmerzensgeld zustehen, weil ein Arzt sein Leiden unnötig verlängert hat? Bisher ist diese Frage durch das höchste Bundesgericht nicht beantwortet worden. Das Oberlandesgericht München als Vorinstanz kam zu dem Ergebnis, dass die Sondenernährung zumindest in den letzten knapp zwei Jahren der reinen Lebenserhaltung diente und damit eine zweifelhafte Behandlung war. Der Hausarzt sei zwar nicht verpflichtet gewesen, die Behandlung selbst abzubrechen, er hätte aber den Betreuer ansprechen und mit diesem sehr gründlich erörtern müssen, ob die Magensonde weiterhin eingesetzt bleibt, so das Urteil der Vorinstanz.
Keine Patientenverfügung
Ein weiteres Problem stellt sich, da der Münchner hatte keine Patientenverfügung hatte. Der Betreuer ist dem Willen des Patienten verpflichtet. Aber was dieser gewollt hätte, lässt sich nicht mehr klären. Zwar sprach das Münchner Gericht dem Sohn Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro zu. Nach dessen Ansicht aber zu wenig und legte daher Revision ein, um die Grundsatz-Frage vors oberste Zivilgericht zu bringen. Auch der Hausarzt wehrt sich gegen das OLG-Urteil.
Wann der BGH eine Entscheidung verkündet, ist offen. Das Gericht in Karlsruhe teilte mit, dass erst ein Verkündungstermin gefunden werden müsse und das Urteil wohl erst in einigen Wochen falle. Die Bundesrichter ließen in der mündlichen Verhandlung aber durchblicken, dass sie zumindest Zweifel an dem Urteil des OLG haben.
Der Fall bewegt sich in einem sehr sensiblen Bereich. Der Mensch hat zwar das Recht, über das Ende lebenserhaltender Maßnahmen zu entscheiden. Fraglich ist aber, ob durch das Weiterleben überhaupt ein juristischer Schaden entstehen kann. Um nicht das Dilemma dieser Abwägung zu geraten, kann nur geraten werden, rechtzeitig vorzusorgen und für konkrete Situationen wie Wachkoma, Organversagen oder eben Demenz präzise Behandlungsanweisungen niederzuschreiben. Hätte eine Patientenverfügung vorgelegen, wäre der Prozess überflüssig.