Mit Urteil vom 17.04.2019 – 5 AZR 331/18 – hat das Bundesarbeitsgericht die Anforderungen an eine wirksame Geltendmachung zur Wahrung von Ausschlussfristen präzisiert sowie klargestellt, dass eine Hemmung des Laufs der ersten Stufe einer Ausschlussfrist nicht in Betracht kommt.
Hintergrund
Ausschlussfristen (auch Verfallfristen genannt) sollten aus Sicht des Arbeitgebers zwingend in jedem Arbeitsvertrag enthalten sein. Sie bewirken, dass Ansprüche automatisch verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist auf eine bestimmte Art und Weise geltend gemacht werden. Im Arbeitsvertrag kann die Geltendmachungsfrist auf bis zu drei Monate begrenzt werden; in Tarifverträge kann sogar eine noch kürzere Frist vorgesehen werden. Der Arbeitgeber kann durch die Vereinbarung von Ausschlussfristen somit sein finanzielles Risiko begrenzen (3 Monate statt mindestens 3 jähriger Verjährungsfrist!) und schnell Rechtssicherheit erlangen.
Es wird zwischen ein- und zweistufigen Ausschlussfristen unterschieden: Eine einstufige Ausschlussfrist sieht vor, dass Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist von z. B. drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der jeweils anderen Vertragspartei in einer bestimmten Form geltend gemacht wurden. Eine zweistufige Ausschlussfrist verbindet die Frist für die förmliche Geltendmachung mit einer daran anschließenden Klagefrist.
Sachverhalt
Der Arbeitnehmer hatte zusätzlich zum Grundgehalt Anspruch auf eine leistungsabhängige Prämie. Die leistungsabhängige Vergütung war zum 31. März des jeweiligen Folgejahres zahlbar. Der Arbeitsvertrag sah zudem eine zweistufige Ausschlussfrist vor, nach der Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht und nach Ablehnung innerhalb von drei Monaten gerichtlich geltend gemacht werden müssen.
Dem Arbeitnehmer wurden für die Jahre 2014 und 2015 die Prämie nicht ausbezahlt. Mit seiner am 17.2.2017 zugestellten Klage verlangt er die Prämien für diese Jahre. Nach Ansicht des Arbeitgebers sind die Ansprüche wegen Nichteinhaltung der Ausschlussfristen verfallen. Der Arbeitnehmer ist hingegen der Auffassung, dass die Ausschlussfristklausel unwirksam sei. Jedenfalls sei es dem Beklagten nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Ausschlussfrist zu berufen. Der Geschäftsführer habe ihn immer wieder hingehalten. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht hatten die Klage wegen Versäumung der Ausschlussfrist abgewiesen.
Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) wies die hiergegen erhobene Revision zurück. Es kam auch zu dem Ergebnis, dass die Prämienansprüche mangels rechtzeitiger Geltendmachung verfallen sind.
Die Erfurter Richter stellten zunächst (wie bereits in seinem Urteil vom 30.01.2019 – 5 AZR 43/18) klar, dass die Ausschlussfristenregelung nicht deshalb unwirksam ist, weil Ansprüche auf dem gesetzlichen Mindestlohn nicht ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich herausgenommen wurden. Da der Arbeitsvertrag des betroffenen Arbeitnehmers bereits vor Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes am 16.08.2014 abgeschlossen wurde, könne die entsprechende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urt. v. 18.09.2019 – 9 AZR 162/18) auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden.
Die Anforderungen an eine wirksame Geltendmachung präzisierte das BAG wie folgt:
Selbst wenn ein Arbeitnehmer – wie vorliegend – die Höhe seines Zahlungsanspruchs noch nicht im Einzelnen kennt, kann und muss er nach Ansicht des BAG seinen Anspruch zumindest dem Grunde nach geltend machen, um die Ausschlussfrist zu wahren.
Auch verwies das BAG darauf, dass in der bloßen Auflistung von Gesprächsthemen in einem Dokument vom 23.11.2015 noch keine schriftliche Geltendmachung zu sehen ist. Hierzu sei nämlich Folgendes erforderlich:
„Zur Geltendmachung im Sinne von Ausschlussfristen gehört, die andere Seite zur Erfüllung des Anspruchs aufzufordern. Der Anspruchsinhaber muss unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er Inhaber einer bestimmten Forderung ist und auf deren Erfüllung besteht. Die Geltendmachung setzt voraus, dass der Anspruch seinem Grunde nach hinreichend deutlich bezeichnet und die Höhe des Anspruchs sowie der Zeitraum, für den er verfolgt wird, mit der für den Schuldner notwendigen Deutlichkeit ersichtlich gemacht wird; die Art des Anspruchs sowie die Tatsachen, auf die der Anspruch gestützt wird, müssen erkennbar sein.“
Zuletzt stellte das BAG noch klar, dass eine Hemmung des Laufs der ersten Stufe der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist zur schriftlichen Geltendmachung von Ansprüchen infolge etwaig schwebender Verhandlungen nicht in Betracht kommt. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 20.6.2018 –5 AZR 262/17) könne zwar bei schwebenden Vergleichsverhandlungen der Lauf der Ausschlussfrist zur gerichtlichen Geltendmachung für die Dauer dieser Verhandlung in entsprechender Anwendung § 203 S. 1 gehemmt sein, doch habe vorliegend der Arbeitnehmer bereits die erste Stufe der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist zur schriftlichen Geltendmachung der Ansprüche nicht eingehalten, so dass die Entscheidung vom 20.6.2018 zur zweiten Stufe einer vertraglichen Ausschlussfrist hierauf nicht übertragbar sei.
Praxishinweis
Arbeitgeber sollten überprüfen, ob in ihren Arbeitsverträgen Ausschlussfristen enthalten sind und falls ja, ob diese den aktuellen Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts genügen. Wenn dies der Fall ist, sollte als erste Reaktion auf eine finanzielle Forderung des Arbeitnehmers stets geprüft werden, ob nicht der behauptete Anspruch bereits aufgrund Nichtbeachtung der Ausschlussfrist entfallen ist.
Arbeitnehmer haben hingegen – sofern eine Ausschlussfrist auf ihr Arbeitsverhältnis Anwendung findet – im wohlverstandenen Eigeninteresse ihre Lohnabrechnungen regelmäßig auf Richtigkeit zu überprüfen. Sollte der Arbeitnehmer einen offenen Anspruch feststellen (z.B. aus geleisteten Überstunden) ist dieser zumindest per E-Mail beim Arbeitgeber geltend zu machen. Insofern ist jedoch zu beachten, dass bei der Geltendmachung zu viel Höflichkeit schaden kann! Aus der Geltendmachung muss unzweifelhaft hervorgehen, dass man auf die Erfüllung einer bestimmten Forderung besteht. Eine bloße Bitte um Überprüfung genügt hierfür nicht.
Das BAG hat in einer Entscheidung vom 14.11.2018 5 AZR 301/17 noch einmal bestätigt, dass der Arbeitnehmer auch dann alleiniger Schuldner der Lohnsteuer bleibt, wenn der Arbeitgeber zu wenig Lohnsteuer einbehalten hat. Darüber hinaus wendet das BAG die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zur Fälligkeit von Ausgleichsansprüchen von Gesamtschuldnern nicht auf Fälle der durch das Steuerrecht begründeten Gesamtschuld an, sondern entwickelt einen eigenen Ansatz zur Fälligkeit.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung nachentrichteter Lohnsteuer gegen einen bis Ende Juni 2014 bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer. Auf Grund zu gering abgeführter Lohnsteuer erhielt der Arbeitgeber im März 2015 Haftungsbescheide seitens des Finanzamts. Die darin festgesetzten Beträge zahlte er Ende April und Anfang Mai an das Finanzamt und forderte mit Schreiben vom 3.6.2015 den Arbeitnehmer zur Erstattung der nachentrichteten Lohnsteuer auf. Auf das Arbeitsverhältnis fand der BRTV für das Baugewerbe Anwendung, welcher eine Ausschlussfrist enthielt, wonach Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, sofern sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Der Zahlungsaufforderung des Arbeitgebers kam der Arbeitnehmer mit Verweis auf die Ausschlussfrist und einer möglichen Verjährung nicht nach, woraufhin der Arbeitgeber Klage erhob. Das ArbG hat die Klage abgewiesen, wohingegen das LAG den Beklagten zur Zahlung der nachentrichteten Lohnsteuer verurteilte.
Hintergrund
Schuldner der Lohnsteuer ist der Arbeitnehmer. Nach § 38 Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 EStG hat der Arbeitgeber die Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und abzuführen. Der Arbeitgeber haftet zwar für die Lohnsteuer. Soweit diese Haftung reicht, sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer jedoch Gesamtschuldner. Diesen können gegeneinander, im sogenannten „Innenverhältnis“, Ausgleichsansprüche zustehen. Grundsätzlich gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der Verjährung von Ausgleichsansprüchen in einer zivilrechtlich begründeten Gesamtschuld, dass die Frist mit dem Entstehen der Gesamtschuld zu laufen beginnt. Im Fall der Lohnsteuerabführung wäre dies also im jeweiligen Gehaltsmonat.
Entscheidung:
Der Arbeitgeber hat einen Erstattungsanspruch gegen den Arbeitnehmer in Höhe der nachentrichteten Lohnsteuer. Der Arbeitnehmer bleibt auch dann alleiniger Schuldner der Lohnsteuer, wenn der Arbeitgeber zu wenig Steuern einbehält und diese dann nachzahlen muss, es sei denn ein eindeutiger Parteiwille lässt Gegenteiles erkennen. Damit bestätigt das BAG seine bisherige Rechtsprechung.
Dem Anspruch steht auch nicht die tarifvertragliche Ausschlussfrist entgegen, welche mit Fälligkeit des Anspruchs zu laufen beginnt.
Der Erstattungsanspruch wird nach dieser Entscheidung erst nach der tatsächlichen Erfüllung der Lohnsteuerforderung gegenüber dem Finanzamt fällig und nicht bereits mit Entstehung der Steuerschuld als Gesamtschuld.
Die Anwendung der vom BGH aufgestellten Grundsätze würde nach Auffassung des BAG jedoch im Falle der Lohnsteuerschuld zu einer regelmäßigen Verschiebung der Lohnsteuerlast auf den Arbeitgeber führen, da selbst die Erteilung einer Auskunft durch das Finanzamt meist einen längeren Zeitraum beanspruche als etwaige Verfallfristen. Bei der Lohnsteuer beruhe die Gesamtschuld – anders als in den vom BGH entschiedenen Fällen – nicht auf zivilrechtlicher, sondern auf öffentlich-rechtlichen Grundlage. Anders als im Zivilrecht hingen hierbei die Fälligkeit und der Verfall eines Anspruchs nicht vom Verhalten des ausgleichberechtigten Arbeitgebers ab, sondern würden durch die Inanspruchnahme vonseiten des Finanzamts bestimmt. Für den Eintritt der Fälligkeit müsse aber der Gläubiger, also der Arbeitgeber, den Zahlungsanspruch der Höhe nach beziffern können. Dies sei aber erst mit Bestandskraft der Haftungsbescheide möglich. Folglich werde der Ausgleichsanspruch auch erst zu diesem Zeitpunkt fällig.
Zwischen Zahlung an das Finanzamt und Geltendmachung des Erstattungsanspruchs sind vorliegend keine zwei Monate vergangen, weshalb dieser nicht verfallen sei.
Praxishinweis:
Es ist zu begrüßen, dass das BAG hier eigene Ansätze zur Fälligkeit des Erstattungsanspruchs entwickelt hat. Bei Anwendung der Rechtsprechung des BGH wäre es in der Tat zu der bizarren Folge gekommen, dass wegen der kurzen Verfallfristen im Arbeitsrecht faktisch der Arbeitgeber allein die Lohnsteuer tragen müsste und keine Aussichten auf Korrektur etwaiger Fehler hätte.