Seit einigen Monaten beschäftigen die Sozialgerichte in Bayern zahllose Streitigkeiten wegen der Übernahme von Leistungen der häuslichen Krankenpflege bei Bewohnerinnen und Bewohnern in ambulant betreuten Wohngemeinschaften (sog. „Senioren-WGs“). Die AOK Bayern lehnt die Übernahme dieser Leistungen u.a. mit dem Hinweis auf die in den WGs tätigen Präsenzkräften ab und ist der Auffassung, dass Maßnahmen der einfachsten Behandlungspflege von diesen zu erbringen seien. Das Sozialgericht Landshut hat nun in drei Urteilen vom 18.06.2019 die AOK zur Leistung verpflichtet und hierbei einige Rechtsfragen geklärt. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig; es ist mit einer Berufung durch die AOK zu rechnen.
Hintergrund
Ambulant betreute Wohngemeinschaften im Sinne des Art. 2 Abs. 3 Satz 3 PfleWoqG dienen dem Zweck, pflegebedürftigen Menschen das Leben in einem gemeinsamen Haushalt und die Inanspruchnahme externer Pflege- oder Betreuungsleistungen gegen Entgelt zu ermöglichen.
Voraussetzungen für die Anerkennung als ambulant betreute Wohngemeinschaft sind: Die Selbstbestimmung der Mieterinnen und Mieter muss gewährleistet sein. Alle Mieterinnen und Mieter der ambulant betreuten Wohngemeinschaft bilden ein Gremium der Selbstbestimmung, in dem sie alle Angelegenheiten des Zusammenlebens sowie die Wahl der externen Dienstleister regeln. Pflege- und Betreuungsdienst sowie Art und Umfang der Leistungen müssen frei wählbar sein. Der Pflege- und Betreuungsdienst darf keine Büroräume in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft oder in enger räumlicher Verbindung haben. Der Pflege- und Betreuungsdienst ist Gast in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft. Die ambulant betreute Wohngemeinschaft muss baulich, organisatorisch und wirtschaftlich selbstständig sein. Sie darf nicht Teil einer stationären Einrichtung sein und es dürfen sich nicht mehr als zwei ambulant betreute Wohngemeinschaften der gleichen Initiatoren in unmittelbarer räumlicher Nähe befinden. Und: Es dürfen nicht mehr als zwölf Personen in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft leben. (Quelle: Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege: https://www.stmgp.bayern.de/pflege/ambulant-betreute-wohngemeinschaften/ ).
Eine Präsenzkraft übernimmt hierbei organisatorische, betreuende und das Gemeinschaftsleben fördernde Aufgaben, wie die Organisation gemeinsamer Besuche von Festen, Tanzveranstaltungen, Biergärten, Eisdielen, o.ä..
Eine Betreuungskraft erbringt Leistungen der psychosozialen Betreuung und Begleitung oder sonstiger vereinbarter Betreuungsleistungen.
Die Urteile des SG Landshut
In den Urteilen vom 18.06.2019 hat das SG Landshut die Voraussetzungen präzisiert, unter denen Leistungen der häuslichen Krankenpflege auch in ambulant betreuten Senioren-WGs von den Krankenkassen zu erbringen sind:
Zunächst kann eine ambulant betreute WG grundsätzlich ein „geeigneter Ort“ i.S.d. § 37 SGB V sein, weil sich die Bewohnerinnen und Bewohner hier regelmäßig wiederkehrend aufhalten und die verordneten Maßnahmen hier zuverlässig durchgeführt werden können.
Der Anspruch auf häusliche Krankenpflege war in den entschiedenen Fällen auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Einrichtung selbst zur Erbringung der medizinischen Behandlungspflege verpflichtet war. Das SG hat hierbei zum einen klar gestellt, dass in diesen WGs, soweit sie die o.g. Voraussetzungen erfüllen, kein gesetzlicher Anspruch auf diese Leistungen gegen den Träger bestehe. Sodann hat das SG die bestehenden Verträge sehr sorgfältig geprüft und hierbei festgestellt, dass in den entschiedenen Fällen auch kein vertraglicher Anspruch gegen die Einrichtung bestehe. Insbesondere hätten die Präsenzkräfte ganz andere Aufgaben, als die der medizinischen Behandlungspflege.
Praxistipp
Keinesfalls darf diesen Urteilen der Grundsatz entnommen werden, dass die Krankenkassen generell die Leistungen der Behandlungspflege in den Senioren-WGs zu übernehmen hätten. Vielmehr wird verdeutlicht, dass es auf die jeweilige Vertragsgestaltung ankommt. Nur, wenn hierdurch die Selbstbestimmung und die Wahlfreiheit der Bewohnerinnen und Bewohner sichergestellt ist und in den einzelnen Verträgen die jeweiligen Leistungen klar von einander abgegrenzt sind, kommt die Leistungserbringung durch die gesetzliche Krankenkasse in Betracht.
Wir empfehlen daher, bei der Vertragsgestaltung sehr sorgfältig zu sein:
Zunächst sollte sich das Gremium der Bewohnerinnen und Bewohner eine „WG-Satzung“ geben. Es ist auch Aufgabe des Gremiums, einen Betreuungsvertrag und den Vertrag mit der Präsenzkraft für die WG abzuschließen. Hierbei sollte ausdrücklich festgehalten werden, dass weder die Betreuungskraft noch die Präsenzkraft Pflegeleistungen nach dem SGB XI noch Leistungen der Behandlungspflege zu erbringen haben. Sache eines jeden einzelnen Bewohners ist es dann, den Mietvertrag mit dem Vermieter der Räumlichkeiten und den Pflegevertrag mit einem Pflegedienst der eigenen Wahl abzuschließen, wenn ein solcher erforderlich ist.
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Das BAG hat in einer Entscheidung vom 14.11.2018 5 AZR 301/17 noch einmal bestätigt, dass der Arbeitnehmer auch dann alleiniger Schuldner der Lohnsteuer bleibt, wenn der Arbeitgeber zu wenig Lohnsteuer einbehalten hat. Darüber hinaus wendet das BAG die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zur Fälligkeit von Ausgleichsansprüchen von Gesamtschuldnern nicht auf Fälle der durch das Steuerrecht begründeten Gesamtschuld an, sondern entwickelt einen eigenen Ansatz zur Fälligkeit.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung nachentrichteter Lohnsteuer gegen einen bis Ende Juni 2014 bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer. Auf Grund zu gering abgeführter Lohnsteuer erhielt der Arbeitgeber im März 2015 Haftungsbescheide seitens des Finanzamts. Die darin festgesetzten Beträge zahlte er Ende April und Anfang Mai an das Finanzamt und forderte mit Schreiben vom 3.6.2015 den Arbeitnehmer zur Erstattung der nachentrichteten Lohnsteuer auf. Auf das Arbeitsverhältnis fand der BRTV für das Baugewerbe Anwendung, welcher eine Ausschlussfrist enthielt, wonach Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, sofern sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Der Zahlungsaufforderung des Arbeitgebers kam der Arbeitnehmer mit Verweis auf die Ausschlussfrist und einer möglichen Verjährung nicht nach, woraufhin der Arbeitgeber Klage erhob. Das ArbG hat die Klage abgewiesen, wohingegen das LAG den Beklagten zur Zahlung der nachentrichteten Lohnsteuer verurteilte.
Hintergrund
Schuldner der Lohnsteuer ist der Arbeitnehmer. Nach § 38 Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 EStG hat der Arbeitgeber die Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und abzuführen. Der Arbeitgeber haftet zwar für die Lohnsteuer. Soweit diese Haftung reicht, sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer jedoch Gesamtschuldner. Diesen können gegeneinander, im sogenannten „Innenverhältnis“, Ausgleichsansprüche zustehen. Grundsätzlich gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der Verjährung von Ausgleichsansprüchen in einer zivilrechtlich begründeten Gesamtschuld, dass die Frist mit dem Entstehen der Gesamtschuld zu laufen beginnt. Im Fall der Lohnsteuerabführung wäre dies also im jeweiligen Gehaltsmonat.
Entscheidung:
Der Arbeitgeber hat einen Erstattungsanspruch gegen den Arbeitnehmer in Höhe der nachentrichteten Lohnsteuer. Der Arbeitnehmer bleibt auch dann alleiniger Schuldner der Lohnsteuer, wenn der Arbeitgeber zu wenig Steuern einbehält und diese dann nachzahlen muss, es sei denn ein eindeutiger Parteiwille lässt Gegenteiles erkennen. Damit bestätigt das BAG seine bisherige Rechtsprechung.
Dem Anspruch steht auch nicht die tarifvertragliche Ausschlussfrist entgegen, welche mit Fälligkeit des Anspruchs zu laufen beginnt.
Der Erstattungsanspruch wird nach dieser Entscheidung erst nach der tatsächlichen Erfüllung der Lohnsteuerforderung gegenüber dem Finanzamt fällig und nicht bereits mit Entstehung der Steuerschuld als Gesamtschuld.
Die Anwendung der vom BGH aufgestellten Grundsätze würde nach Auffassung des BAG jedoch im Falle der Lohnsteuerschuld zu einer regelmäßigen Verschiebung der Lohnsteuerlast auf den Arbeitgeber führen, da selbst die Erteilung einer Auskunft durch das Finanzamt meist einen längeren Zeitraum beanspruche als etwaige Verfallfristen. Bei der Lohnsteuer beruhe die Gesamtschuld – anders als in den vom BGH entschiedenen Fällen – nicht auf zivilrechtlicher, sondern auf öffentlich-rechtlichen Grundlage. Anders als im Zivilrecht hingen hierbei die Fälligkeit und der Verfall eines Anspruchs nicht vom Verhalten des ausgleichberechtigten Arbeitgebers ab, sondern würden durch die Inanspruchnahme vonseiten des Finanzamts bestimmt. Für den Eintritt der Fälligkeit müsse aber der Gläubiger, also der Arbeitgeber, den Zahlungsanspruch der Höhe nach beziffern können. Dies sei aber erst mit Bestandskraft der Haftungsbescheide möglich. Folglich werde der Ausgleichsanspruch auch erst zu diesem Zeitpunkt fällig.
Zwischen Zahlung an das Finanzamt und Geltendmachung des Erstattungsanspruchs sind vorliegend keine zwei Monate vergangen, weshalb dieser nicht verfallen sei.
Praxishinweis:
Es ist zu begrüßen, dass das BAG hier eigene Ansätze zur Fälligkeit des Erstattungsanspruchs entwickelt hat. Bei Anwendung der Rechtsprechung des BGH wäre es in der Tat zu der bizarren Folge gekommen, dass wegen der kurzen Verfallfristen im Arbeitsrecht faktisch der Arbeitgeber allein die Lohnsteuer tragen müsste und keine Aussichten auf Korrektur etwaiger Fehler hätte.