Sachverhalt

Das BAG legte dem EuGH im Rahmen

Dem Verfahren vor dem BAG lag die Klage einer 1968 geborenen Frau zugrunde, in welcher diese welche eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wegen Altersdiskriminierung forderte.

Die Beklagte, ein Assistenzdienst der Menschen mit Behinderungen in verschiedenen Bereichen des Lebens rund um das Thema Persönliche Assistenz Beratung, Unterstützung sowie Assistenzleistungen anbietet, suchte im Jahr 2018 im Rahmen einer Stellenausschreibung eine Assistentin für eine 28-järige Studentin. Nach dem Inhalt der Ausschreibung sollten die Bewerberinnen „am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein“. Hierauf hatte sich die zum Zeitpunkt der Bewerbung etwa 50-jährige Klägerin beworben, jedoch eine Absage erhalten. Durch die Ablehnung sah sie sich wegen ihres Alters diskriminiert und forderte eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.

Der in diesem Zusammenhang erhobenen Klage wurde durch das Arbeitsgericht teilweise stattgegeben. Auf die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten wurde die Klage durch das Landesarbeitsgericht vollständig abgewiesen. Mit der Revision verfolgte die Klägerin ihr Begehren auf Zahlung einer Entschädigung weiter.

Vorlagefrage an den EuGH

Das Vorabentscheidungsersuchen des BAG betrifft die Auslegung unionsrechtlicher Bestimmungen und die Frage, ob diese dahingehend ausgelegt werden können, „dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt werden kann“.

Der EuGH stellt in seinem Urteil vom 07.12.2023 fest, dass die Absage gegenüber der Klägerin aufgrund ihres Alters erfolgte und damit eine unmittelbare Diskriminierung vorlag. Die in der Stellenbeschreibung festgelegte Altersanforderung sei jedoch im Hinblick auf den Schutz des Rechts auf Selbstbestimmung des betreffenden Menschen mit Behinderung notwendig und gerechtfertigt. Der EuGH betont in seiner Entscheidung, dass es nach den deutschen Rechtsvorschriften ausdrücklich vorgesehen sei, den individuellen Wünschen von Menschen mit Behinderungen bei der Erbringung von Leistungen der persönlichen Assistenz zu entsprechen:

Gemäß § 78 SGB IX werden Assistenzleistungen für Menschen mit Behinderung zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltages einschließlich der Tagesstrukturierung erbracht. Sie umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen. Sie beinhalten die Verständigung mit der Umwelt in diesen Bereichen.

Dabei ist gemäß § 8 SGB IX ein Wunsch und Wahlrecht einzuräumen. Mithin ist bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten zu entsprechen (Absatz 1) und den Leistungsberechtigten ist durch Leistungen, Dienste und Einrichtungen möglichst viel Raum zu eigenverantwortlicher Gestaltung ihrer Lebensumstände zu lassen und deren Selbstbestimmung zu fördern (Absatz 3).

Der EuGH führt weiter aus: Leistungsberechtigte müssen die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, wie wo und mit wem sie leben wollen. Es lässt sich vernünftigerweise erwarten, dass jemand, der derselben Altersgruppe wie der Mensch mit Behinderung angehört, sich leichter in dessen persönliches Umfeld einfügt. Angesichts dessen, dass die persönliche Assistenz alle Lebensbereiche betreffe und die assistenzleistende Person zwangsläufig in die Privat- und Intimsphäre der assistenznehmenden Person eingreife, ist den berechtigten Wünschen und subjektiven Bedürfnissen der jeweiligen assistenznehmenden Personen Rechnung zu tragen.

Mithin sei die Beschränkung der Bewerber auf eine gewisse Altersgruppe und die sich hieraus ergebende Ungleichbehandlung gerechtfertigt.

Ausblick

Nach der Entscheidung des EuGH auf die Vorlagefrage BAG, geht das Verfahren nun zurück an dieses. Dort wird das BAG die Revision der Klägerin und die begehrte Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zurückweisen.

Hintergrund

Infolge des enormen Fachkräftemangels in der Pflegebranche hatten in der Vergangenheit zahlreiche stationäre Pflegeeinrichtungen zur Deckung des Personalbedarfs auf selbstständige Pflegekräfte (Freiberufler / Honorarkräfte) zurückgegriffen. Nach Aussage mancher Pflegeheimbetreiber wäre andernfalls die Versorgung der Bewohner nicht mehr sichergestellt gewesen.

Pflegekräfte, die auf Honorarbasis tätig werden, sind häufig für eine Vielzahl von Auftraggebern, zeitlich auf Tage oder wenige Wochen befristet auf Basis individuell vereinbarter Einsätze und Dienste tätig. Oft werden sie über Agenturen vermittelt und arbeiten für einen vorher festgelegten Stundensatz, der üblicherweise deutlich über dem Arbeitsentgelt einer vergleichbar eingesetzten angestellten Pflegefachkraft liegt.

Die vom Bundessozialgericht entschiedenen Verfahren betreffen Tätigkeiten staatlich anerkannter Altenpfleger im Bereich der stationären Pflege in zur Versorgung durch die Pflegekassen zugelassenen Pflegeheimen, die sowohl im Tag-, als auch im Nacht- oder Wochenenddienst ausgeübt wurden.

Im Rahmen von Statusfeststellungs- bzw. Betriebsprüfungsverfahren hatte die Deutsche Rentenversicherung Bund Sozialversicherungspflicht angenommen, weil die Pflegekräfte in den Betrieb der Pflegeheime eingegliedert und weisungsgebunden gewesen seien. Zudem hätten die Pflegekräfte kein unternehmerisches Risiko zu tragen. Die dagegen gerichteten Klagen sind erfolglos geblieben.

Sachverhalt des Leitfalles

Eine nach dem SGB XI zugelassene Pflegeeinrichtung setzte wegen Personalmangels über einen längeren Zeitraum Honorarpflegekräfte ein. Aufgrund deren vermeintlichen Selbständigkeit führte das Heim keine Sozialversicherungsbeiträge für sie ab, sondern bezahlte lediglich jeweils die von den Honorarpflegekräften in Rechnung gestellten Leistungen. Im konkreten Fall hatte sich der auf Honorarbasis eingesetzte Pfleger (staatlich anerkannter Altenpfleger und Fachkraft für Leitungsaufgaben in der Pflege) bewusst für eine selbstständige/freiberufliche Tätigkeit entschieden, um seine Arbeitszeit frei bestimmen zu können und sich finanziell zu verbessern. Er arbeitete wochenweise in der betroffenen Einrichtung. Er trug hierbei seine eigene Berufskleidung sowie ein eigenes Namensschild. Außerdem füllte er seinen pflegerischen Verantwortungsbereich im Wesentlichen selbständig aus. Sein Honorar betrug zwischen 29 und 32,20 Euro und war damit etwa zweieinhalb Mal höher als die Vergütung angestellter Pflegekräfte.

Einen die Sozialversicherungspflicht eines Honorarpflegers bestätigenden Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund griff die Einrichtung schließlich an und zog durch alle Instanzen.

Entscheidung des BSG

Auch das Bundessozialgericht (Urteil vom 07.06.2019 – B 12 R 6/18 R) stellte fest, dass die Honorarpflegekraft gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV abhängig beschäftigt gewesen ist und daher der Sozialversicherungspflicht unterlag.

Zwar haben weder der Versorgungsauftrag einer stationären Pflegeeinrichtung noch die Regelungen über die Erbringung stationärer Pflegeleistungen nach dem SGB XI oder das Heimrecht des jeweiligen Landes eine zwingende übergeordnete Wirkung hinsichtlich des sozialversicherungsrechtlichen Status von in stationären Einrichtungen tätigen Pflegefachkräften. Regulatorische Vorgaben sind jedoch bei der Gewichtung der Indizien zur Beurteilung der Versicherungspflicht zu berücksichtigen. Sie führen im Regelfall zur Annahme einer Eingliederung der Pflegefachkräfte in die Organisations- und Weisungsstruktur der stationären Pflegeeinrichtung. Unternehmerische Freiheiten sind bei der konkreten Tätigkeit in einer stationären Pflegeeinrichtung kaum denkbar.

Selbstständigkeit kann nur ausnahmsweise angenommen werden. Hierfür müssen gewichtige Indizien sprechen. Bloße Freiräume bei der Aufgabenerledigung, zum Beispiel ein Auswahlrecht der zu pflegenden Personen oder bei der Reihenfolge der einzelnen Pflegemaßnahmen, reichen hierfür nicht.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze führten im konkreten Fall führten insbesondere die nachfolgenden, tatsächlichen Arbeitsumstände zur Annahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Der Betriebsablauf folgte einem Dienstplan mit Schichtzeiten, in die sich die „Honorarpflegekraft“ einordnete. Auch wenn der Dienstplan eine Auswahl von Einsatzzeiten vorsah, die ausschließlich für Honorarkräfte vorgesehen waren und längere Einsätze ermöglichten, waren sie insoweit gleichwohl in die Abläufe der betrieblichen Organisation einbezogen. Auch innerhalb des Schichtdienstes war die „Honorarpflegekraft“ in die strukturierten Betriebsabläufe eingegliedert. Die Arbeits- und Verbrauchsmittel wurden der „Honorarpflegekraft“ im Wesentlichen gestellt. Zur Überwachung war eine verantwortliche Pflegefachkraft eingesetzt. Die „Honorarpflegekraft“ hatte – nicht anders als beim Pflegeheim angestellte Pflegefachkräfte – ihre Arbeitskraft eingesetzt und hatte innerhalb der betrieblich vorgegebenen Ordnung – verglichen mit angestellten Pflegefachkräften – keine ins Gewicht fallenden Freiheiten hinsichtlich Gestaltung und Umfang ihrer Arbeitsleistung innerhalb des einzelnen Dienstes. Auch trug die „Honorarpflegekraft“ kein nennenswertes Unternehmerrisiko. Da es lediglich auf eine Betrachtung der konkreten Tätigkeit ankommt, ist das einzig in Betracht kommende Risiko der „Honorarpflegekraft“, von der Einrichtung keine weiteren Folgeaufträge zu bekommen, für die Frage ihres Status in der konkreten Tätigkeit irrelevant.

Das Bundessozialgericht stellte zudem ausdrücklich klar, dass an dieser Beurteilung auch ein Mangel an Pflegefachkräften nichts ändere: Die sowohl der Versichertengemeinschaft als auch den einzelnen Versicherten dienenden sozialrechtlichen Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht seien auch in Mangelberufen nicht zu suspendieren, um eine Steigerung der Attraktivität des Berufs durch eine von Sozialversicherungsbeiträgen „entlastete“ und deshalb höhere Entlohnung zu ermöglichen.

Praxishinweis

Das Urteil des Bundessozialgerichts schafft Rechtsklarheit – jedoch nicht im Sinne der betroffenen stationären Pflegeeinrichtungen und der auf selbstständiger Basis arbeitenden Pflegekräfte.

Es reiht sich nahtlos an die nur wenige Tage zurückliegende Entscheidung zur Sozialversicherungspflicht von Honorarärzten in stationären Klinikbetrieben ein (BSG, Urteil v. 04.06.2019 -B 12 R 11/18 R, vgl. hierzu https://www.leschnig.de/2019/06/07/absage-fuer-honoraraerzte-in-krankenhaeusern/).

Als Ergebnis kann kurz und knapp festgehalten werden: Honorarpfleger in stationären Pflegeeinrichtungen sind tabu – der Personalmangel in der Pflege kann die allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Regelungen nicht aushebeln!

Für Träger stationärer Pflegeeinrichtungen besteht dringender Handlungsbedarf. Denn als Sanktionen drohen nicht nur hohe Nachzahlungen an das Finanzamt und die Sozialversicherungsträger inklusive Säumniszuschläge/Zinsen für mindestens die zurückliegenden vier Jahre, sondern auch die Gefahr, ins Visier der Strafermittlungsbehörden zu geraten. Denn nach § 266a des Strafgesetzbuches (StGB) handelt es sich beim vorsätzlichen Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer um eine Straftat.

Neubeauftragungen von Honorarpfleger haben daher strikt zu unterbleiben. Laufende Verträge mit selbstständigen Pflegern sind schnellstmöglich zu kündigen. Hierdurch ist das Risiko für betroffene Pflegeheime jedoch nicht vollständig gebannt. Denn es steht zu befürchten, dass Betriebsprüfer infolge des BSG-Urteils zukünftig ein Augenmerk auf bereits abgeschlossene, noch nicht verjährte Beschäftigungen von Honorarpflegern legen.  Vertrauensschutz, etwa infolge von beanstandungsfreien Betriebsprüfungen in der Vergangenheit, steht einem solchen Vorgehen nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung nicht entgegen, es sei denn in einem früheren Prüfbescheid ist explizit die Beschäftigung eines Honorarpflegers thematisiert worden.

Das Fachkräfteproblem in der Pflegebranche wird durch das Urteils des Bundessozialgerichts noch verschlimmert. Kurzfristig haben Pflegeheime nur die Möglichkeit auf das sichere, aber teure Mittel der Arbeitnehmerüberlassung zurückzugreifen oder verwaltungsaufwendige und risikobehaftete kurzfristige Arbeitsverträge zu schließen. Langfristig bleibt zu hoffen, dass sich der Gesetzgeber endlich dieses Problems ernsthaft annimmt und die rechtlichen Rahmenbedingungen an die tatsächlichen Gegebenheiten anpasst.

Quelle: Terminvorschau/-bericht des BSG unter https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2019/2019_06_07_B_12_R_06_18_R.html