Wird der Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, hat der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von bis zu sechs Wochen.

Bei einer erneuten Arbeitsunfähigkeit „infolge derselben Krankheit“ entsteht der Entgeltfortzahlungsanspruch erst nach einer bestimmten Wartezeit neu (§ 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG).

Schon seit jeher hatte das BAG in Anlehnung an die Rechtsprechung des BSG zum Krankengeld die Auffassung vertreten, dass von „derselben Krankheit“ auch dann auszugehen sei, wenn der Arbeitnehmer während einer attestierten Arbeitsunfähigkeit aus anderer Ursache erkrankt und damit länger arbeitsunfähig bleibt (sog. „Einheit des Verhinderungsfalls“).

Beispiel:

Vom 1.6. bis 28.6. ist Arbeitnehmer aufgrund einer Mandelentzündung arbeitsunfähig erkrankt.

Am 26.6. (also während der bestehenden Mandelentzündung) erleidet der Arbeitnehmer beim Treppensteigen ein Kreuzbandriss und ist infolgedessen arbeitsunfähig bis 30.9.

= Einheit des Verhinderungsfalls, trotz zwei unterschiedlicher Erkrankungen nur einmal Entgeltfortzahlung für sechs Wochen und zwar beginnend mit der ersten Erkrankung, also 1.6. bis 12.7.

Diese einschränkende Rechtsprechung lief bisher in vielen Fällen leer. Denn nach bisheriger Rechtsprechung war es für die Annahme einer Neuerkrankung und somit der Begründung eines neuen sechswöchigen Entgeltfortzahlungsanspruchs ausreichend, dass der Arbeitnehmer zwischen dem Ende der ersten Arbeitsunfähigkeit und dem Beginn der erneuten Arbeitsunfähigkeit für wenige Stunden genesen war, und zwar selbst dann, wenn diese außerhalb der Arbeitszeit lagen (so explizit BAG, Urt. vom 25.5.2016 – 5 AZR 318/15, NZA 2016, 1076 Rn. 12). Vereinfacht ausgedrückt: Eine Einheit des Verhinderungsfalls konnte in der Praxis letztlich nur dann angenommen werden, wenn sich die letzte Folge-AU-Bescheinigung für die erste Erkrankung und die Erstbescheinigung für die neue Erkrankung zumindest in einem Tag überschnitten.

Beispiel:

Arbeitnehmerin ist arbeitsunfähig infolge Rückenbeschwerden für sechs Wochen, wobei der Sechs-Wochen-Zeitraum an einem Freitag endet.  Samstag und Sonntag arbeitsfrei, Sonntagnachmittag beim Fußball zieht sich Arbeitnehmer einen Kreuzbandriss zu = keine Einheit des Verhinderungsfalls, Arbeitnehmer erwirbt wegen dieser neuen Erkrankung einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für sechs Wochen.

Von dieser Rechtsprechung ist das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 11.12.2019 – 5 AZR 505/18 nun zu Gunsten der Arbeitgeber abgerückt. Der zweite Leitsatz dieses Urteils lautet wie folgt:

Ein einheitlicher Verhinderungsfall ist regelmäßig hinreichend indiziert, wenn zwischen einer „ersten“ krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und einer dem Arbeitnehmer im Wege der „Erstbescheinigung“ attestierten weiteren Arbeitsunfähigkeit ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Hiervon ist auszugehen, wenn die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt.

Zu dieser Rechtsprechungsänderung sah sich das Bundesarbeitsgericht veranlasst, da „der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und kaum in der Lage ist, belastbare Indiztatsachen für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls vorzutragen.“

Wenn die ärztlich bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt, „ist es dem Arbeitgeber angesichts fehlender zwischenzeitlicher Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers nahezu unmöglich, konkrete Anhaltspunkte zur Erschütterung des Beweiswerts der ärztlichen Bescheinigungen vorzutragen. Es ist deshalb dem Arbeitnehmer auch unter Berücksichtigung seiner Sachnähe zuzumuten, seine Behauptung, es lägen voneinander zu trennende Verhinderungsfälle vor, durch konkreten Vortrag zu den Krankheitsursachen sowie zum Ende bzw. Beginn der jeweiligen Arbeitsunfähigkeit zu konkretisieren und hierfür gegebenenfalls vollen Beweis zu erbringen.“

Praxistipp:

Unter Berufung auf dieses Urteil können Arbeitgeber zukünftig in allen Fällen, in denen Arbeitnehmer während einer längeren ununterbrochenen krankheitsbedingten Fehlzeit eine neue Erstbescheinigung vorlegen, die Zahlung von Entgeltfortzahlung verweigern, sofern seit dem ersten Krankheitstag bereits mehr als sechs Wochen vergangen sind.

Der Arbeitnehmer ist dann gezwungen, seinen behaupteten Anspruch auf Entgeltfortzahlung notfalls gerichtlich durchsetzen. Der Ausgang dieses Prozesses dürfte maßgeblich davon abhängen, ob der Arbeitnehmer durch Zeugenvernahme der bescheinigungsausstellenden Ärzten nachweisen kann, dass im Zeitpunkt des Auftretens der neuen Erkrankung seine Ersterkrankung bereits vollständig ausgenesen gewesen ist.

Das Bundesarbeitsgericht stellt klar, dass während eines unbezahlten Sonderurlaubs kein Anspruch auf gesetzlichen Erholungsurlaub entsteht.

Hintergrund

Das Urlaubsrecht kommt nicht zur Ruhe. Nach Urteilen zu Verfall, Übertragbarkeit und Vererbbarkeit des Urlaubsanspruchs hat nun das Bundesarbeitsgericht auch seine Rechtsprechung zur Frage des Entstehens eines Urlaubsanspruchs während Zeiten eines unbezahlten Sonderurlaubs geändert – diesmal jedoch zu Gunsten der Arbeitgeberschaft!

Traten Arbeitgeber in der Vergangenheit an uns mit der Frage heran, ob und wie sie einem Wunsch eines Arbeitnehmers auf unbezahlten Sonderurlaub erfüllen können, lautete unsere Antwort bisher: „Dies ist leicht möglich. Probleme kann es jedoch mit dem gesetzlichen Mindesturlaub geben.“ Denn noch im Jahr 2014 hatte das Bundesarbeitsgericht entschieden (Urteil vom 06.05.2014 – 9 AZR 678/12), dass die Vereinbarung unbezahlten Sonderurlaubs das Entstehen gesetzlicher Urlaubsansprüche nicht hindere.

Diese Entscheidung stoß auf breiter Front auf Unverständnis und war rechtlichen Laien kaum zu vermitteln. Das Bundesarbeitsgericht gab hiermit der Arbeitnehmerschaft auch Steine statt Brot. Denn in vielen Fällen waren Arbeitgeber nach Aufklärung über die rechtlichen Risiken nicht mehr bereit, dem Wunsch nach Sonderurlaub nachzukommen.

Diese unbefriedigende Rechtslage hat nun jedoch das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 19.03.2019 – 9 AZR 315/17 beseitigt.

Sachverhalt

Eine Arbeitgeberin gewährte einer Arbeitnehmerin wunschgemäß in der Zeit vom 1. September 2013 bis zum 31. August 2014 unbezahlten Sonderurlaub, der einvernehmlich bis zum 31. August 2015 verlängert wurde. Nach Beendigung des Sonderurlaubs verlangte die Arbeitnehmerin die Gewährung des gesetzlichen Mindesturlaubs von 20 Arbeitstagen für das Jahr 2014. Sie vertrat hierbei die Auffassung, Urlaubsansprüche entstünden auch im ruhenden Arbeitsverhältnis. Eine Kürzung dieses Urlaubsanspruchs sei mangels einschlägiger Rechtsgrundlage im Falle eines Sonderurlaubs nicht zulässig. Das Landesarbeitsgericht folgte dieser Argumentation und sprach der Arbeitnehmerin für das Jahr 2014 den gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Urlaubstagen bei einer 5-Tage-Woche zu.

Entscheidung des BAG

Entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung kam das Bundesarbeitsgericht hingegen zu dem Ergebnis, dass die Arbeitnehmerin für das Jahr 2014 – währenddessen sie sich ununterbrochen im Sonderurlaub befunden hat – keinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub hat und begründet dies ausweislich der Pressemitteilung wie folgt:

Nach § 3 Abs. 1 BUrlG beläuft sich der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei einer gleichmäßigen Verteilung der Arbeit auf sechs Tage in der Woche auf 24 Werktage. Dies entspricht einem gesetzlichen Jahresurlaubsanspruch von 20 Tagen bei einer Fünftagewoche. Ist die Arbeitszeit eines Arbeitnehmers auf weniger oder mehr als sechs Arbeitstage in der Kalenderwoche verteilt, muss die Anzahl der Urlaubstage unter Berücksichtigung des für das Urlaubsjahr maßgeblichen Arbeitsrhythmus berechnet werden, um für alle Arbeitnehmer eine gleichwertige Urlaubsdauer zu gewährleisten

Diese Umrechnung hat das Bundesarbeitsgericht in Fällen des Sonderurlaubs, in dem die Arbeitszeit „0 Tage pro Woche“ beträgt, bisher nicht vorgenommen. Hieran hält das Bundesarbeitsgericht jedoch nunmehr ausdrücklich nicht mehr fest und stellt klar:

Befindet sich ein Arbeitnehmer im Urlaubsjahr ganz oder teilweise im unbezahlten Sonderurlaub, ist bei der Berechnung der Urlaubsdauer zu berücksichtigen, dass die Arbeitsvertragsparteien ihre Hauptleistungspflichten durch die Vereinbarung von Sonderurlaub vorübergehend ausgesetzt haben. Dies führt dazu, dass einem Arbeitnehmer für ein Kalenderjahr, in dem er sich durchgehend im unbezahlten Sonderurlaub befindet, mangels einer Arbeitspflicht kein Anspruch auf Erholungsurlaub zusteht (entsprechend einer Teilzeit Null).

Praxishinweis

Die vom Bundesarbeitsgericht vorgenommene Rechtsprechungsänderung ist ausdrücklich zu begrüßen. Die bisherige Rechtsprechung war mit dem gesunden Menschenverstand kaum zu vereinbaren.

Bei der zukünftigen Gewährung von Sonderurlaub (Sabbaticals) ist darauf zu achten, dass der betroffene Arbeitnehmer nicht nur einseitig von seiner Arbeitspflicht befreit, d.h. einseitig in den Sonderurlaub geschickt wird, sondern dass hierfür eine einvernehmliche (aus Beweisgründen) schriftliche Vereinbarung geschlossen wird. Denn das Bundesarbeitsgericht stellt offenbar maßgeblich auf den übereinstimmenden Willen der Arbeitsvertragsparteien zur vorübergehenden Suspendierung des Arbeitsvertragsparteien ab, der das Nichtentstehen eines Urlaubsanspruchs rechtfertige.

So hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom gleichen Tag entschieden (Urteil vom 19.03.2019 – 9 AZR 362/18), dass während Zeiten einer Elternzeit, in dem das Arbeitsverhältnis auch ruht, ein Urlaubsanspruch grundsätzlich weiterhin entstehe. Dies ist insofern konsequent, als die Elternzeit auf einer einseitigen Erklärung beruht, die keine Annahmeerklärung des Arbeitgebers bedarf. Dieser während der Elternzeit entstehende Urlaubsanspruch kann der Arbeitgeber jedoch nach § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG kürzen. Diese Kürzungsvorschrift ist – wie das Bundesarbeitsgericht entschieden hat –mit Unionsrecht vereinbar. Arbeitgeber haben jedoch darauf zu achten, dass sie von dieser Kürzungsmöglichkeit nur während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses Gebrauch machen können (Urteil vom 19.5.2015 – 9 AZR 725/13).

Die Rechtsprechungsänderung des BAG dürfte auch über den Fall des Sonderurlaubs hinaus Bedeutung haben. So müsste wohl auch die seit langem umstrittene Frage geklärt sein, ob auch ein Urlaubsanspruch in der Passivphase einer Altersteilzeit entstehe. Da eine Altersteilzeit grundsätzlich auf einer einvernehmlichen vertraglichen Regelung basiert, müsste die neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht auch für diesen Fall gelten, mit der Folge, dass in der passiven Phase einer Altersteilzeit kein Urlaubsanspruch entsteht. Zu diesem Ergebnis kam jüngst auch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf in seinem Urteil 13.07.2018 – 6 Sa 272/18. Da hiergegen beim Bundesarbeitsgericht die Revision anhängig ist (9 AZR 481/18), ist in naher Zukunft mit einer entsprechenden Klarstellung zu rechnen.