BAG, Beschluss vom 27.06.2019 – 2 ABR 2/19 (LAG Mecklenburg-Vorpommern)

Sachverhalt

Die Arbeitgeberin begehrt Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden wegen sexueller Belästigung einer Kollegin. Bei der Arbeitgeberin gilt eine Konzernbetriebsvereinbarung zum Schutz vor Diskriminierung, die eine Verschwiegenheitspflicht für alle vorsieht, die entsprechende Hinweise erhalten, solange und soweit der Betroffene sie nicht davon entbindet. Die betroffene Mitarbeiterin wandte sich unmittelbar nach den Vorfällen am 21./22.11. an ihren Vorgesetzten und eine Prokuristin, die den Hinweis auf Wunsch der Mitarbeiterin zunächst vertraulich behandelten. Ab dem 24.11. war die betroffene Mitarbeiterin, womöglich aufgrund der Vorfälle, arbeitsunfähig erkrankt. Am 14.12. teilte sie mit, sie wolle den Vorfall nun doch untersuchen lassen, und übermittelte am 15.12. einen schriftlichen Bericht zu dem Geschehen. Am 16.12. wurde der BR-Vorsitzende zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen angehört. Am 19.12. und erneut am 21.12. beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung des BR-Vorsitzenden. Diese verweigerte der Betriebsrat mit Schreiben vom 22.12. Das Arbeitsgericht hat dem Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin stattgegeben. Das LAG hat ihn auf die Beschwerde des Betriebsrats hin dann abgewiesen.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das BAG hat den Beschluss des LAG aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. Die Annahme des LAG, die Arbeitgeberin habe die Ausschlussfrist des § 626 II BGB für die Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 103 II BetrVG versäumt, sei rechtsfehlerhaft. Die Arbeitgeberin habe zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zunächst eine Anhörung des BR-Vorsitzenden abwarten dürfen. Zwar müsse die Anhörung i.d.R. innerhalb einer Woche erfolgen. Die erst am 16.12. durchgeführte Anhörung sei aber trotz früherer Kenntnis des Vorfalls möglicherweise nicht verspätet gewesen, da die Einhaltung der Regelfrist aufgrund besonderer Umstände unzumutbar gewesen sein könnte. Erfolge der Hinweis auf einen möglichen Kündigungssachverhalt mit der Bitte um Vertraulichkeit, könne dies eine Überschreitung der Regelfrist für die Anhörung grundsätzlich nur rechtfertigen, wenn ein berechtigtes Interesse des Hinweisgebers an der Vertraulichkeit bestehe und der Arbeitgeber eine angemessene kurze Frist gesetzt habe, innerhalb derer der Hinweisgeber sich über die Beibehaltung der Vertraulichkeit zu erklären habe. Im vorliegenden Fall sei die Fristsetzung aber möglicherweise deshalb entbehrlich gewesen, weil die Arbeitgeberin auf das Wohl und die berechtigten Interessen der betroffenen Arbeitnehmerin Rücksicht zu nehmen und sie vor Gesundheitsgefahren zu schützen habe. Sollte der Vorfall für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin ursächlich gewesen sein, habe die Arbeitgeberin darauf Rücksicht nehmen müssen. Zwar dürfe der Arbeitgeber auch in einem solchen Fall nicht beliebig lange zuwarten, bis sich der Hinweisgeber zur Entbindung von der Vertraulichkeit entschließe. Jedenfalls ein Zeitraum von drei Wochen zwischen der Mitteilung der Vorwürfe und der Aufhebung der Vertraulichkeit ist nach Ansicht des BAG bei einer auf den Vorfall zurückzuführenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit aber nicht zu beanstanden.

Praxishinweis

Das BAG führt seine Rechtsprechung zum Beginn der Ausschlussfrist des § 626 II BGB  fort und stellt klar, dass die Pflicht zur Vertraulichkeit unter bestimmten Voraussetzungen (berechtigtes Interesse des Hinweisgebers, Fristsetzung des Arbeitgebers) eine Überschreitung der Regelfrist für die Anhörung des Beschuldigten rechtfertigen kann. Arbeitgeber sollten aber selbst im Fall einer Vertraulichkeitsvereinbarung nicht beliebig lange mit der Anhörung des Beschuldigten zuwarten, sondern stets die Umstände des Einzelfalls abwägen. Denn das BAG hat ausdrücklich offengelassen, welche Frist für eine Entscheidung über die Entbindung von der Vertraulichkeit noch hinnehmbar ist.

Macht eine Pflegekraft in der Pflegedokumentation vorsätzlich Falschangaben und trägt ein, bei einer Patientin in der Wohnung gewesen zu sein, obwohl sie nur telefonischen Kontakt zur Patientin hatte, kann eine fristlose Kündigung nach einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Siegburg (Urteil vom 07.08.2019 – 3 Ca 992/19) gerechtfertigt sein. Schließlich muss der Arbeitgeber auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer vertrauen können.

Sachverhalt

Die Arbeitnehmerin war bei der Arbeitgeberin seit über 5 Jahren als Altenpflegerin beschäftigt. Sie wurde in dieser Zeit vom Arbeitgeber mehrfach abgemahnt, u.a. weil sie eine Patientin nicht richtig versorgt hatte und dies auch nicht richtig dokumentiert worden war.

Anfang April 2019 fuhr die Arbeitnehmerin nicht persönlich zu einer Patientin, um dieser die Nachttablette zu geben, sondern telefonierte lediglich mit ihr. Den Leistungsnachweis für den nächtlichen Besuch zeichnete die Arbeitnehmerin jedoch trotzdem ab und bestätigte auf dem Tagestourennachweis, die Patientin in der Zeit von 22:55 Uhr bis 23:06 Uhr versorgt zu haben. Die Arbeitgeberin kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis fristlos.

Entscheidung

Das Arbeitsgericht Siegburg wies die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage ab. Die fristlose Kündigung hielt es für gerechtfertigt.

Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich schon geeignet, einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darzustellen. Schließlich muss der Arbeitgeber auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer vertrauen können.

Überträgt der Arbeitgeber den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Erschwerend hinzu kann, dass die Klägerin trotz vorheriger Abmahnung vorsätzlich falsche Eintragungen gemacht hatte.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Quelle: Arbeitsgericht Siegburg Pressemitteilung 3/2019; http://www.lag-koeln.nrw.de/behoerde/presse/Pressemitteilungen/Arbeitsgericht-Siegburg/Pressemitteilung03-19.pdf