Das BAG hat einer neuen Entscheidung die Vorinstanzen bestätigt, die einer erfolglosen Bewerberin eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung wegen ihrer Religion zugesprochen haben (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. August 2020 – 8 AZR 62/19).

Sachverhalt

Die Klägerin ist Diplom-Informatikerin; sie bezeichnet sich als gläubige Muslima und trägt als Ausdruck ihrer Glaubensüberzeugung ein Kopftuch. Die Klägerin bewarb sich beim beklagten Land im Rahmen eines Quereinstiegs mit berufsbegleitendem Referendariat für eine Beschäftigung als Lehrerin in den Fächern Informatik und Mathematik in der Integrierten Sekundarschule (ISS), dem Gymnasium oder der Beruflichen Schule. Das beklagte Land lud sie zu einem Bewerbungsgespräch ein. Im Anschluss an dieses Gespräch, bei dem die Klägerin ein Kopftuch trug, sprach sie ein Mitarbeiter der Zentralen Bewerbungsstelle auf die Rechtslage nach dem sog. Berliner Neutralitätsgesetz an.

Dieses lautet in § 2: Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in den öffentlichen Schulen nach dem Schulgesetz dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt nicht für die Erteilung von Religions- und Weltanschauungsunterricht.

Die Klägerin erklärte daraufhin, sie werde das Kopftuch auch im Unterricht nicht ablegen. Nachdem ihre Bewerbung erfolglos geblieben war, nahm die Klägerin das beklagte Land auf Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG in Anspruch. 

Die Entscheidung:

Die Klägerin könne nach § 15 II AGG wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot nach § 8 I AGG die Zahlung einer Entschädigung i.H.v. 5.159,88 EUR verlangen. Sie habe als erfolglose Bewerberin eine unmittelbare Benachteiligung i.S.v. § 3 I AGG erfahren. Der Umstand, dass ein Mitarbeiter der Zentralen Bewerbungsstelle die Klägerin auf die Rechtslage nach dem sog. Berliner Neutralitätsgesetz angesprochen und die Klägerin daraufhin erklärt habe, sie werde das Kopftuch auch im Unterricht nicht ablegen, begründe die Vermutung, dass die Klägerin wegen der Religion benachteiligt wurde. Die Benachteiligung sei nicht nach § 8 I AGG gerechtfertigt. Eine Regelung, die – wie § 2 Berliner Neutralitätsgesetz – das Tragen eines sog. islamischen Kopftuchs durch eine Lehrkraft im Dienst ohne weiteres, d.h. schon wegen der bloßen abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität in einer öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule, verbiete, führe zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Religionsfreiheit nach Art. 4 GG, sofern das Tragen des Kopftuchs – wie hier im Fall der Klägerin – nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen sei. § 2 Berliner Neutralitätsgesetz sei in diesen Fällen daher verfassungskonform dahin auszulegen, dass das Verbot des Tragens des Kopftuchs nur im Fall einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gelte. Eine solche konkrete Gefahr habe das beklagte Land indes nicht dargetan. Die Entscheidung des LAG über die Höhe der Entschädigung halte im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Kontrolle stand.

Hinweise

Diese Entscheidung war zu erwarten, nachdem das Bundesverfassungsgericht mit dem umstrittenen Beschluss vom 27.01.2015 entschieden hat, dass ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen von Lehrkräften in öffentlichen Schulen sei mit der Religionsfreiheit gem. Art. 4 GG nicht vereinbar. An dieser Rechtsprechung kam das BAG wegen § 31 I BVerfGG nicht vorbei. Auch wenn diese Entscheidung nicht für private Arbeitgeber gilt, so zeigt sie deutlich, wie schnell die Haftungsfolge des § 15 II AGG eingreift. Aber auch bei privaten Arbeitgebern ist ein „Kopftuchverbot“ unzulässig, wenn es nicht konsequent und generell die öffentliche Bekundung religiöser oder weltanschaulicher Überzeugungen untersagt.

Zum 30.03.2020 tritt nun die Entschädigungsregelung in Kraft, die Eltern, die aufgrund der coronabedingten Schließung von Schulen und Kitas nicht arbeiten können (vgl. unseren Blogbeitrag vom 24.03.2020). Bundestag und Bundesrat haben jetzt u.a. die Änderung des Infektionsschutzgesetzes auf den Weg gebracht (BT-Drucksache 19/18111). Wir haben die Details.

Problem:

Eltern, die ihre Kinder aufgrund der Betretungsverbote von Schulen und Kindertagesstätten nun für längere Zeit betreuen müssen, hatten bislang keinen Anspruch auf Entgelt oder Entgeltersatzleistungen für diese Zeit. Die einzige Möglichkeit bisher war, dass Überstunden oder Urlaub abgebaut werden. Ansonsten waren die Eltern auf die Kulanz des Arbeitgebers angewiesen.

Die Neuregelung

Der Gesetzgeber hat § 56 Abs. 1a IfSG mit Wirkung ab 30.03.2020 eingefügt. Nach der Neufassung haben Eltern Anspruch auf Entschädigung ihres Verdienstausfalls, wenn

  • Einrichtungen zur Betreuung von Kindern oder Schulen von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten vorübergehend geschlossen oder deren Betreten untersagt werden
  • Kinder, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder behindert und auf Hilfe angewiesen sind, betreut werden müssen und
  • keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit besteht.

Der Anspruch besteht nicht während der Schulferien und soweit die Arbeitszeit von Sorgeberechtigten aufgrund der Anordnung von Kurzarbeit verkürzt ist.

Der Entschädigungsanspruch ist subsidiär und kann erst gewährt werden, wenn alle anderen Ansprüche auf bezahlte Freistellung ausgeschöpft sind. D.h. also, dass ein eventuell bestehendes Zeitguthaben aufgebraucht sein muss und andere Ansprüche auf Entgeltfortzahlung, z.B. aufgrund eines Tarifvertrags, einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung nicht oder nicht mehr bestehen.

Nach der Gesetzesbegründung ist eine zumutbare Betreuungsmöglichkeit beispielsweise gegeben (und damit die Entschädigung ausgeschlossen), wenn

  • ein Anspruch auf eine sogenannte Notbetreuung in der Kindertagesstätte oder der Schule besteht,
  • auf den anderen Elternteil zurückgegriffen werden kann oder andere hierzu bereite Familienmitglieder/Verwandte die Betreuung wahrnehmen können. Personen, die einer Risikogruppe angehören, gelten nicht als „zumutbare Betreuungsmöglichkeit“ im Sinne dieser Regelung,
  • die Möglichkeit des ortsflexiblen Arbeitens (z. B. Homeoffice) besteht und die Nutzung zumutbar ist.

Anspruchsberechtigte haben gegenüber der zuständigen Behörde bzw. auf Verlangen des Arbeitgebers auch diesem gegenüber darzulegen, dass eine zumutbare Betreuungsmöglichkeit für das Kind nicht besteht oder ggf. in welchem Umfang eine solche nicht besteht.

Die Entschädigung erfolgt nicht in voller Höhe des Verdienstausfalls, sondern nur in Höhe von 67 Prozent und für längstens sechs Wochen, für einen vollen Monat jedoch höchstens ein Betrag von 2.016 Euro.

In Unterfranken sind die Anträge auf Entschädigung bei der Regierung für Unterfranken zu stellen.

Für Fragen im Einzelfall stehen Ihnen die Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen unserer Kanzlei gerne zur Verfügung.