Sachverhalt:

Der Kläger ist bei dem beklagten Klinikum in Nordrhein-Westfalen als Techniker beschäftigt, dort befindet sich auch sein regelmäßiger Beschäftigungsort.

Auf Anordnung des Arbeitgebers nahm der Kläger vom 01. bis 05. November 2021 an einer Fortbildungsveranstaltung im Bundesland Hessen Teil. Nach dem Feiertagsgesetz des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen ist der 01. November „Allerheiligen“ gesetzlicher Feiertag – nicht dagegen in Hessen.

Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung, welcher bei Feiertagsarbeit einen Zeitzuschlag in Höhe von 35 % vorsieht.

Die Teilnahme an der Fortbildung wurde regulär vergütet, einen Feiertagszuschlag für die Stunden der Teilnahme an der Fortbildung für den 01. November 2021 gewährte das beklagte Klinikum nicht.

Nachdem der Klage des Klägers auf Feiertagszuschläge in erster Instanz durch das Arbeitsgericht Münster stattgegeben wurde, wies das Landesarbeitsgericht auf die Berufung der Beklagten die Klage ab.

Mit seiner Revision verfolgte der Kläger nunmehr seinen Anspruch vor dem Bundearbeitsgericht in Erfurt weiter – mit weitgehendem Erfolg.

Die Entscheidung:

Nach Auffassung des BAG stehen dem Kläger die geltend gemachten Feiertagszuschläge für die Stunden der Fortbildungsteilnahme am 01. November 2021 zu, dies ergibt die Auslegung der Tarifnorm.

Die tarifvertraglichen Regelungen über die Zahlung eines Zuschlages für Feiertagsarbeit knüpfen regelmäßig an die gesetzlichen Feiertage am Beschäftigungsort an. (…) Mithin bestimmt sich der Anspruch auf einen tariflichen Feiertagszuschlag grundsätzlich nach dem Ort, an dem der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen hat, vgl. BAG v. 1.8.2024 – 6 AZR 38/24, Rn. 22.

Insoweit ist auf den regelmäßigen Beschäftigungsort abzustellen, die nur vorübergehende Teilnahme an einer Fortbildung in einem anderen Bundesland vermag es nicht, den in NRW liegenden regelmäßigen Beschäftigungsort zu (auch nur vorübergehend) zu ändern.

Auf den tatsächlichen Beschäftigungsort am Tag des Einsatzes kommt es nicht an.

In der Praxis

Ähnliche Fragestellungen finden sich auch auf „kleinere Ebene“, betroffen sind hier häufig Pendler.

Beispielsweise ist in bayerischen Gemeinden, mit überwiegend katholischer Bevölkerung der 15. August „Mariä Himmelfahrt“ ein gesetzlicher Feiertag, in Gemeinden mit überwiegend evangelischer Bevölkerung hingegen nicht.

Das sog. „Territorialprinzip“ besagt, dass die gesetzlichen Feiertage am Ort der tatsächlichen Beschäftigung maßgeblich sind. D.h. dass der Arbeitnehmer sich nach den Feiertagsregelungen des Ortes richten muss, an dem er arbeitet, und nicht nach denen seines Wohnortes. Hiervon betroffen sind häufig Pendler.

Konsequent – Das Bundesarbeitsgericht bestätigt in seiner Entscheidung vom 31.01.2023, Az. 9 AZR 456/20 ständige Rechtsprechung: Drei­jah­res­frist für Urlaubs­ab­gel­tung bleibt

Im vergangenen Jahr entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 20.12.2022, Az. 9 AZR 266/20) – in Umsetzung einer EuGH-Entscheidung in deutsches Recht – dass gesetzlicher Urlaub, der in einem intakten Arbeitsverhältnis nicht genommen wurde, nicht ohne vorherigen Hinweis des Arbeitgebers verfallen darf. Danach müssen Arbeitgeber in Wahrnehmung ihrer Informationspflicht ihre Arbeitnehmer/innen auf deren Urlaubsansprüche hinweisen und gegebenenfalls warnen, dass diese verfallen.

Mit der damaligen Entscheidung weckte das BAG bei einigen Arbeitnehmern die Hoffnung, dass die Verjährungsfrist auch bei Abgeltungsansprüchen wegfallen würde. Gleichzeitig bestand seitens einiger Arbeitgeber die Befürchtung einer Klageflut durch Arbeitnehmer/innen, welche eine Abgeltung des nicht genommenen Urlaub aus – unter Umständen seit Jahren – beendeten Arbeitsverhältnissen verlangen.

Das Urteil des BAG vom 31.01.2023, Az. 9 AZR 456/20 hatte insoweit vor allem klarstellende Wirkung; Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers, nicht genommenen Urlaub nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten, unterliegt der dreijährigen Verjährungsfrist.

Anders als der Urlaubanspruch, welcher den wichtigen Erholungszweck des Arbeitnehmers während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses verfolgt, ist der Urlaubabgeltungsanspruch auf dessen finanzielle Kompensation beschränkt. Die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei der Inanspruchnahme von Urlaub, endet mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Sachverhalt

Die Beklagte betreibt eine Flugschule. Sie beschäftigte den Kläger seit dem 9. Juni 2010 als Ausbildungsleiter, ohne ihm seinen jährlichen Urlaub von 30 Arbeitstagen zu gewähren. Unter dem 19. Oktober 2015 verständigten sich die Parteien darauf, dass der Kläger in der Folgezeit als selbstständiger Dienstnehmer für die Beklagte tätig werden sollte. Mit der im August 2019 erhobenen Klage verlangte der Kläger ua. Abgeltung von Urlaub aus seiner Beschäftigungszeit vor der Vertragsänderung. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Entscheidung

Die Revision des Klägers hatte beim Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg, soweit er die Beklagte auf Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2010 bis 2014 in Höhe von 37.416,50 Euro in Anspruch nimmt. Bezogen auf Urlaubsabgeltung für das Jahr 2015 blieb sie erfolglos.

Der Senat hat am 20. Dezember 2022 (- 9 AZR 266/20 – Pressemitteilung Nr. 48/22) entschieden, dass Urlaubsansprüche verjähren können, die dreijährige Verjährungsfrist jedoch erst am Ende des Kalenderjahres beginnt, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch informiert und ihn im Hinblick auf Verfallfristen aufgefordert hat, den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Hat der Arbeitgeber diesen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, kann der nicht erfüllte gesetzliche Urlaub aus möglicherweise mehreren Jahren im laufenden Arbeitsverhältnis weder nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen noch nach § 195 BGB verjähren und ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten.

Der Urlaubsabgeltungsanspruch unterliegt seinerseits der Verjährung. Die dreijährige Verjährungsfrist für den Abgeltungsanspruch beginnt in der Regel am Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es auf die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten ankommt. Die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bildet eine Zäsur. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist anders als der Urlaubsanspruch nicht auf Freistellung von der Arbeitsverpflichtung zu Erholungszwecken unter Fortzahlung der Vergütung gerichtet, sondern auf dessen finanzielle Kompensation beschränkt. Die strukturell schwächere Stellung des Arbeitnehmers, aus der der EuGH die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei der Inanspruchnahme von Urlaub ableitet, endet mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Bei einer verfassungs- und unionsrechtskonformen Anwendung der Verjährungsregelungen kann die Verjährungsfrist nicht beginnen, solange eine Klageerhebung aufgrund einer gegenteiligen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zumutbar ist.

Von dem Kläger konnte bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 19. Oktober 2015 nicht erwartet werden, seinen Anspruch auf Abgeltung des bis dahin nicht gewährten Urlaubs aus den Jahren 2010 bis 2014 gerichtlich durchzusetzen. Der Senat ging zu diesem Zeitpunkt noch davon aus, dass Urlaubsansprüche mit Ablauf des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums unabhängig von der Erfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten automatisch verfielen. Erst nachdem der EuGH mit Urteil vom 6. November 2018* neue Regeln für den Verfall von Urlaub vorgegeben hatte, war der Kläger gehalten, Abgeltung für die Urlaubsjahre von 2010 bis 2014 gerichtlich geltend zu machen.

Demgegenüber ist der Anspruch des Klägers auf Abgeltung von Urlaub aus dem Jahr 2015 verjährt. Schon auf Grundlage der früheren Rechtsprechung musste der Kläger erkennen, dass die Beklagte Urlaub aus diesem Jahr, in dem das Arbeitsverhältnis der Parteien endete, abzugelten hatte. Die dreijährige Verjährungsfrist begann deshalb Ende des Jahres 2015 und endete mit Ablauf des Jahres 2018. Der Kläger hat die Klage erst im Jahr 2019 erhoben.

Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 31. Januar 2023.

Wird der Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, hat der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von bis zu sechs Wochen.

Bei einer erneuten Arbeitsunfähigkeit „infolge derselben Krankheit“ entsteht der Entgeltfortzahlungsanspruch erst nach einer bestimmten Wartezeit neu (§ 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG).

Schon seit jeher hatte das BAG in Anlehnung an die Rechtsprechung des BSG zum Krankengeld die Auffassung vertreten, dass von „derselben Krankheit“ auch dann auszugehen sei, wenn der Arbeitnehmer während einer attestierten Arbeitsunfähigkeit aus anderer Ursache erkrankt und damit länger arbeitsunfähig bleibt (sog. „Einheit des Verhinderungsfalls“).

Beispiel:

Vom 1.6. bis 28.6. ist Arbeitnehmer aufgrund einer Mandelentzündung arbeitsunfähig erkrankt.

Am 26.6. (also während der bestehenden Mandelentzündung) erleidet der Arbeitnehmer beim Treppensteigen ein Kreuzbandriss und ist infolgedessen arbeitsunfähig bis 30.9.

= Einheit des Verhinderungsfalls, trotz zwei unterschiedlicher Erkrankungen nur einmal Entgeltfortzahlung für sechs Wochen und zwar beginnend mit der ersten Erkrankung, also 1.6. bis 12.7.

Diese einschränkende Rechtsprechung lief bisher in vielen Fällen leer. Denn nach bisheriger Rechtsprechung war es für die Annahme einer Neuerkrankung und somit der Begründung eines neuen sechswöchigen Entgeltfortzahlungsanspruchs ausreichend, dass der Arbeitnehmer zwischen dem Ende der ersten Arbeitsunfähigkeit und dem Beginn der erneuten Arbeitsunfähigkeit für wenige Stunden genesen war, und zwar selbst dann, wenn diese außerhalb der Arbeitszeit lagen (so explizit BAG, Urt. vom 25.5.2016 – 5 AZR 318/15, NZA 2016, 1076 Rn. 12). Vereinfacht ausgedrückt: Eine Einheit des Verhinderungsfalls konnte in der Praxis letztlich nur dann angenommen werden, wenn sich die letzte Folge-AU-Bescheinigung für die erste Erkrankung und die Erstbescheinigung für die neue Erkrankung zumindest in einem Tag überschnitten.

Beispiel:

Arbeitnehmerin ist arbeitsunfähig infolge Rückenbeschwerden für sechs Wochen, wobei der Sechs-Wochen-Zeitraum an einem Freitag endet.  Samstag und Sonntag arbeitsfrei, Sonntagnachmittag beim Fußball zieht sich Arbeitnehmer einen Kreuzbandriss zu = keine Einheit des Verhinderungsfalls, Arbeitnehmer erwirbt wegen dieser neuen Erkrankung einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für sechs Wochen.

Von dieser Rechtsprechung ist das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 11.12.2019 – 5 AZR 505/18 nun zu Gunsten der Arbeitgeber abgerückt. Der zweite Leitsatz dieses Urteils lautet wie folgt:

Ein einheitlicher Verhinderungsfall ist regelmäßig hinreichend indiziert, wenn zwischen einer „ersten“ krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und einer dem Arbeitnehmer im Wege der „Erstbescheinigung“ attestierten weiteren Arbeitsunfähigkeit ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Hiervon ist auszugehen, wenn die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt.

Zu dieser Rechtsprechungsänderung sah sich das Bundesarbeitsgericht veranlasst, da „der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und kaum in der Lage ist, belastbare Indiztatsachen für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls vorzutragen.“

Wenn die ärztlich bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt, „ist es dem Arbeitgeber angesichts fehlender zwischenzeitlicher Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers nahezu unmöglich, konkrete Anhaltspunkte zur Erschütterung des Beweiswerts der ärztlichen Bescheinigungen vorzutragen. Es ist deshalb dem Arbeitnehmer auch unter Berücksichtigung seiner Sachnähe zuzumuten, seine Behauptung, es lägen voneinander zu trennende Verhinderungsfälle vor, durch konkreten Vortrag zu den Krankheitsursachen sowie zum Ende bzw. Beginn der jeweiligen Arbeitsunfähigkeit zu konkretisieren und hierfür gegebenenfalls vollen Beweis zu erbringen.“

Praxistipp:

Unter Berufung auf dieses Urteil können Arbeitgeber zukünftig in allen Fällen, in denen Arbeitnehmer während einer längeren ununterbrochenen krankheitsbedingten Fehlzeit eine neue Erstbescheinigung vorlegen, die Zahlung von Entgeltfortzahlung verweigern, sofern seit dem ersten Krankheitstag bereits mehr als sechs Wochen vergangen sind.

Der Arbeitnehmer ist dann gezwungen, seinen behaupteten Anspruch auf Entgeltfortzahlung notfalls gerichtlich durchsetzen. Der Ausgang dieses Prozesses dürfte maßgeblich davon abhängen, ob der Arbeitnehmer durch Zeugenvernahme der bescheinigungsausstellenden Ärzten nachweisen kann, dass im Zeitpunkt des Auftretens der neuen Erkrankung seine Ersterkrankung bereits vollständig ausgenesen gewesen ist.

Sinkt die Beschäftigtenzahl unter den Schwellenwert, ab dem die Bestellung eines Datenschutzbeauftragten nach dem BDSG verpflichtend ist, endet grundsätzlich automatisch der Sonderkündigungsschutz eines Datenschutzbeauftragten. Gleichzeitig beginnt der nachwirkende einjährige Sonderkündigungsschutz (BAG, Urteil vom 05.12.2019 – 2 AZR 223/19).

Hintergrund:

Bereits mit Urteil vom 27.07.2017 – 2 AZR 812/16 stellte das Bundesarbeitsgericht fest, dass ein Datenschutzbeauftragter nur dann Sonderkündigungsschutz genießt, wenn seine Bestellung gesetzlich vorgeschrieben ist.

§ 4f Abs. 1 BDSG in der bis zum 24.5.2018 geltenden Fassung (a.F.) schrieb vor, dass nicht-öffentliche Arbeitgeber einen Datenschutzbeauftragten zu bestellen hatten, sobald mehr als neun Personen ständig mit der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten beschäftigen wurden.

Wenn diese Voraussetzung erfüllt gewesen ist, war eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Datenschutzbeauftragten nach § 4f Abs. 3 Satz 5 BDSG a.F. unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorlagen, welche die verantwortliche Stelle zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigten. Gemäß § 4f Abs. 3 Satz 6 BDSG a.F. wirkte dieser Sonderkündigungsschutz für ein Jahr nach der Beendigung der Bestellung nach.

In seinem Urteil vom 05.12.2019 – 2 AZR 223/19 hatte sich das Bundesarbeitsgericht nun mit der Frage zu beschäftigen, wie sich ein Absinken der Beschäftigtenzahl unter den für die verpflichtende Bestellung eines Datenschutzbeauftragten maßgeblichen Schwellenwert auf die kündigungsrechtliche Stellung des Datenschutzbeauftragten auswirkt.

Sachverhalt:

Das BAG hatte über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung eines Datenschutzbeauftragten zu entscheiden. Der Arbeitnehmer arbeitete seit April 2010 bei einem australischen Bankinstitut als Director Institutional Banking. Im Juni 2010 wurde er von seinem Arbeitgeber gem. § 4f BDSG in der bis zum 24.5.2018 geltenden Fassung (im Folgenden aF) zum Datenschutzbeauftragten ernannt. Zu diesem Zeitpunkt waren in der Niederlassung neun Beschäftigte tätig, die alle ständig automatisiert personenbezogene Daten verarbeiteten, während in den Jahren vorher mehr Leute angestellt gewesen sind.

In den Jahren 2010 bis 2015 wurden in der betroffenen Niederlassung zwischen zehn und dreizehn, im Jahr 2016 neun Mitarbeiter beschäftigt.

Im April 2017 sprach der Arbeitgeber die ordentliche Kündigung gegenüber dem Arbeitnehmer aus. Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung beschäftigte die Beklagte in der Niederlassung insgesamt acht Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer war noch als Datenschutzbeauftragter bestellt. Eine Abberufung erfolgte vor Ausspruch der Kündigung nicht.

Das Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht erachteten die Kündigung als unwirksam, da der Arbeitnehmer aufgrund seiner Stellung als Datenschutzbeauftragter nach § 4f Abs. 3 Satz 5 BDSG a.F. ordentlich nicht kündbar sei. Die hiergegen gerichtete Revision des Arbeitgebers war vor dem Bundesarbeitsgericht erfolgreich.

Gründe:

Das BAG kam – entgegen der Vorinstanzen – zu dem Ergebnis, dass die Kündigung nicht wegen des Sonderkündigungsschutzes gem. § 4f Abs. 3 Satz 5 BDSG aF unwirksam ist.

Zwar sei die Bestellung zum Datenschutzbeauftragten nicht bereits deshalb unwirksam, da dem Arbeitnehmer als Geschäftsleiter möglicherweise die notwendige Zuverlässigkeit für dieses Amt gefehlt habe. Denn aus dem BDSG a.F. folge grundsätzlich nicht die Nichtigkeit der Bestellung bei fehlender Zuverlässigkeit des Datenschutzbeauftragten.

Der Kläger kann sich jedoch nicht auf den Sonderkündigungsschutz eines Datenschutzbeauftragten berufen, da der Arbeitgeber bei Zugang der Kündigung nicht in der Regel mehr als neun Personen ständig mit der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten beschäftigte und somit die Bestellung eines Datenschutzbeauftragten nicht mehr gesetzlich vorgeschrieben gewesen ist.

Ein Absinken der Beschäftigtenzahl unter den Schwellenwert des § 4f Abs. 1 Satz 4 BDSG aF während der Tätigkeit als Beauftragter für den Datenschutz führt dazu, dass dessen Sonderkündigungsschutz nach § 4f Abs. 3 Satz 5 BDSG aF entfällt, ohne dass es eines Widerrufs der Bestellung durch den Arbeitgeber bedarf.

Endet durch ein Unterschreiten des Schwellenwerts des § 4f Abs. 1 Satz 4 BDSG aF die Funktion als verpflichtender Beauftragter für den Datenschutz, beginnt der nachwirkende Sonderkündigungsschutz des § 4f Abs. 3 Satz 6 BDSG aF. Es handelt sich auch insoweit um eine Abberufung im Sinne der Bestimmung.

Vor diesem Hintergrund konnte die Erfurter Richter nicht selbst entscheiden, ob die Kündigung im Ergebnis wirksam gewesen ist. Dem Kläger könnte nämlich ein nachwirkender Kündigungsschutz nach § 4f Abs. 3 Satz 6 BDSG aF zustehen, abhängig davon, zu welchen Zeitpunkt die Beschäftigtenzahl unter den Schwellenwert des § 4f Abs. 1 Satz 4 BDSG aF gesunken ist. Da hierzu bisher keine Feststellungen getroffen wurden, wurde der Rechtsstreit an das LAG zurückzuverweisen.

Praxistipp:

Besondere Praxisrelevanz erhält das Urteil aufgrund einer zum 26.11.2019 eingetretenen Gesetzesänderung.

Mit dem zweiten Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die DSGVO wurde in § 38 Abs. 1 S. 1 BDSG die maßgebliche Personenzahl, ab der verpflichtend ein Datenschutzbeauftragter zu benennen ist, von 10 auf 20 Mitarbeiter angehoben, die ständig mit der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten betraut sind.

Infolgedessen dürften Datenschutzbeauftragte in Kleinbetrieben, mit mehr als 10, aber weniger als 20 Bildschirmarbeitsplätzen in Anwendung des besprochenen BAG-Urteils mit Inkrafttreten der Gesetzesänderung ihren Sonderkündigungsschutz verloren haben. Dieser Kündigungsschutz wirkt nun bis zum 26.11.2020 nach.

Etwas anderes könnte jedoch in Betrieben gelten,

-deren Kerntätigkeit in der Durchführung von Verarbeitungsvorgängen besteht, welche aufgrund ihrer Art, ihres Umfangs und/oder ihrer Zwecke eine umfangreiche regelmäßige und systematische Überwachung von betroffenen Personen erforderlich machen,

oder

-deren Kerntätigkeit in der umfangreichen Verarbeitung sog. sensitiver Daten (Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie die Verarbeitung von genetischen Daten, biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person, Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung ) oder von personenbezogenen Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten gemäß Artikel 10 besteht.

Denn in diesem Fällen besteht nach Art. 37 DSGVO eine Pflicht zur Bestellung eines Datenschutzbeauftragten. In diesen Fällen genießen Datenschutzbeauftragten auch in Betrieben mit weniger als 20 Mitarbeitern, die ständig mit der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten betraut sind, Sonderkündigungsschutz.

BAG, Beschluss vom 27.06.2019 – 2 ABR 2/19 (LAG Mecklenburg-Vorpommern)

Sachverhalt

Die Arbeitgeberin begehrt Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden wegen sexueller Belästigung einer Kollegin. Bei der Arbeitgeberin gilt eine Konzernbetriebsvereinbarung zum Schutz vor Diskriminierung, die eine Verschwiegenheitspflicht für alle vorsieht, die entsprechende Hinweise erhalten, solange und soweit der Betroffene sie nicht davon entbindet. Die betroffene Mitarbeiterin wandte sich unmittelbar nach den Vorfällen am 21./22.11. an ihren Vorgesetzten und eine Prokuristin, die den Hinweis auf Wunsch der Mitarbeiterin zunächst vertraulich behandelten. Ab dem 24.11. war die betroffene Mitarbeiterin, womöglich aufgrund der Vorfälle, arbeitsunfähig erkrankt. Am 14.12. teilte sie mit, sie wolle den Vorfall nun doch untersuchen lassen, und übermittelte am 15.12. einen schriftlichen Bericht zu dem Geschehen. Am 16.12. wurde der BR-Vorsitzende zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen angehört. Am 19.12. und erneut am 21.12. beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung des BR-Vorsitzenden. Diese verweigerte der Betriebsrat mit Schreiben vom 22.12. Das Arbeitsgericht hat dem Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin stattgegeben. Das LAG hat ihn auf die Beschwerde des Betriebsrats hin dann abgewiesen.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das BAG hat den Beschluss des LAG aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. Die Annahme des LAG, die Arbeitgeberin habe die Ausschlussfrist des § 626 II BGB für die Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 103 II BetrVG versäumt, sei rechtsfehlerhaft. Die Arbeitgeberin habe zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zunächst eine Anhörung des BR-Vorsitzenden abwarten dürfen. Zwar müsse die Anhörung i.d.R. innerhalb einer Woche erfolgen. Die erst am 16.12. durchgeführte Anhörung sei aber trotz früherer Kenntnis des Vorfalls möglicherweise nicht verspätet gewesen, da die Einhaltung der Regelfrist aufgrund besonderer Umstände unzumutbar gewesen sein könnte. Erfolge der Hinweis auf einen möglichen Kündigungssachverhalt mit der Bitte um Vertraulichkeit, könne dies eine Überschreitung der Regelfrist für die Anhörung grundsätzlich nur rechtfertigen, wenn ein berechtigtes Interesse des Hinweisgebers an der Vertraulichkeit bestehe und der Arbeitgeber eine angemessene kurze Frist gesetzt habe, innerhalb derer der Hinweisgeber sich über die Beibehaltung der Vertraulichkeit zu erklären habe. Im vorliegenden Fall sei die Fristsetzung aber möglicherweise deshalb entbehrlich gewesen, weil die Arbeitgeberin auf das Wohl und die berechtigten Interessen der betroffenen Arbeitnehmerin Rücksicht zu nehmen und sie vor Gesundheitsgefahren zu schützen habe. Sollte der Vorfall für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin ursächlich gewesen sein, habe die Arbeitgeberin darauf Rücksicht nehmen müssen. Zwar dürfe der Arbeitgeber auch in einem solchen Fall nicht beliebig lange zuwarten, bis sich der Hinweisgeber zur Entbindung von der Vertraulichkeit entschließe. Jedenfalls ein Zeitraum von drei Wochen zwischen der Mitteilung der Vorwürfe und der Aufhebung der Vertraulichkeit ist nach Ansicht des BAG bei einer auf den Vorfall zurückzuführenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit aber nicht zu beanstanden.

Praxishinweis

Das BAG führt seine Rechtsprechung zum Beginn der Ausschlussfrist des § 626 II BGB  fort und stellt klar, dass die Pflicht zur Vertraulichkeit unter bestimmten Voraussetzungen (berechtigtes Interesse des Hinweisgebers, Fristsetzung des Arbeitgebers) eine Überschreitung der Regelfrist für die Anhörung des Beschuldigten rechtfertigen kann. Arbeitgeber sollten aber selbst im Fall einer Vertraulichkeitsvereinbarung nicht beliebig lange mit der Anhörung des Beschuldigten zuwarten, sondern stets die Umstände des Einzelfalls abwägen. Denn das BAG hat ausdrücklich offengelassen, welche Frist für eine Entscheidung über die Entbindung von der Vertraulichkeit noch hinnehmbar ist.

Mit Urteil vom 17.04.2019 – 5 AZR 331/18 – hat das Bundesarbeitsgericht die Anforderungen an eine wirksame Geltendmachung zur Wahrung von Ausschlussfristen präzisiert sowie klargestellt, dass eine Hemmung des Laufs der ersten Stufe einer Ausschlussfrist nicht in Betracht kommt.  

Hintergrund

Ausschlussfristen (auch Verfallfristen genannt) sollten aus Sicht des Arbeitgebers zwingend in jedem Arbeitsvertrag enthalten sein. Sie bewirken, dass Ansprüche automatisch verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist auf eine bestimmte Art und Weise geltend gemacht werden. Im Arbeitsvertrag kann die Geltendmachungsfrist auf bis zu drei Monate begrenzt werden; in Tarifverträge kann sogar eine noch kürzere Frist vorgesehen werden. Der Arbeitgeber kann durch die Vereinbarung von Ausschlussfristen somit sein finanzielles Risiko begrenzen (3 Monate statt mindestens 3 jähriger Verjährungsfrist!) und schnell Rechtssicherheit erlangen.

Es wird zwischen ein- und zweistufigen Ausschlussfristen unterschieden: Eine einstufige Ausschlussfrist sieht vor, dass Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist von z. B. drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der jeweils anderen Vertragspartei in einer bestimmten Form geltend gemacht wurden. Eine zweistufige Ausschlussfrist verbindet die Frist für die förmliche Geltendmachung mit einer daran anschließenden Klagefrist.

Sachverhalt

Der Arbeitnehmer hatte zusätzlich zum Grundgehalt Anspruch auf eine leistungsabhängige Prämie. Die leistungsabhängige Vergütung war zum 31. März des jeweiligen Folgejahres zahlbar. Der Arbeitsvertrag sah zudem eine zweistufige Ausschlussfrist vor, nach der Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht und nach Ablehnung innerhalb von drei Monaten gerichtlich geltend gemacht werden müssen.

Dem Arbeitnehmer wurden für die Jahre 2014 und 2015 die Prämie nicht ausbezahlt. Mit seiner am 17.2.2017 zugestellten Klage verlangt er die Prämien für diese Jahre. Nach Ansicht des Arbeitgebers sind die Ansprüche wegen Nichteinhaltung der Ausschlussfristen verfallen. Der Arbeitnehmer ist hingegen der Auffassung, dass die Ausschlussfristklausel unwirksam sei. Jedenfalls sei es dem Beklagten nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Ausschlussfrist zu berufen. Der Geschäftsführer habe ihn immer wieder hingehalten. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht hatten die Klage wegen Versäumung der Ausschlussfrist abgewiesen.

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) wies die hiergegen erhobene Revision zurück. Es kam auch zu dem Ergebnis, dass die Prämienansprüche mangels rechtzeitiger Geltendmachung verfallen sind.

Die Erfurter Richter stellten zunächst (wie bereits in seinem Urteil vom 30.01.2019 – 5 AZR 43/18) klar, dass die Ausschlussfristenregelung nicht deshalb unwirksam ist, weil Ansprüche auf dem gesetzlichen Mindestlohn nicht ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich herausgenommen wurden. Da der Arbeitsvertrag des betroffenen Arbeitnehmers bereits vor Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes am 16.08.2014 abgeschlossen wurde, könne die entsprechende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urt. v. 18.09.2019 – 9 AZR 162/18) auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden.  

Die Anforderungen an eine wirksame Geltendmachung präzisierte das BAG wie folgt:

Selbst wenn ein Arbeitnehmer – wie vorliegend – die Höhe seines Zahlungsanspruchs noch nicht im Einzelnen kennt, kann und muss er nach Ansicht des BAG seinen Anspruch zumindest dem Grunde nach geltend machen, um die Ausschlussfrist zu wahren.

Auch verwies das BAG darauf, dass in der bloßen Auflistung von Gesprächsthemen in einem Dokument vom 23.11.2015 noch keine schriftliche Geltendmachung zu sehen ist. Hierzu sei nämlich Folgendes erforderlich:

„Zur Geltendmachung im Sinne von Ausschlussfristen gehört, die andere Seite zur Erfüllung des Anspruchs aufzufordern. Der Anspruchsinhaber muss unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er Inhaber einer bestimmten Forderung ist und auf deren Erfüllung besteht. Die Geltendmachung setzt voraus, dass der Anspruch seinem Grunde nach hinreichend deutlich bezeichnet und die Höhe des Anspruchs sowie der Zeitraum, für den er verfolgt wird, mit der für den Schuldner notwendigen Deutlichkeit ersichtlich gemacht wird; die Art des Anspruchs sowie die Tatsachen, auf die der Anspruch gestützt wird, müssen erkennbar sein.“

Zuletzt stellte das BAG noch klar, dass eine Hemmung des Laufs der ersten Stufe der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist zur schriftlichen Geltendmachung von Ansprüchen infolge etwaig schwebender Verhandlungen nicht in Betracht kommt.  Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 20.6.2018 –5 AZR 262/17) könne zwar bei schwebenden Vergleichsverhandlungen der Lauf der Ausschlussfrist zur gerichtlichen Geltendmachung für die Dauer dieser Verhandlung in entsprechender Anwendung § 203 S. 1 gehemmt sein, doch habe vorliegend der Arbeitnehmer bereits die erste Stufe der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist zur schriftlichen Geltendmachung der Ansprüche nicht eingehalten, so dass die Entscheidung vom 20.6.2018 zur zweiten Stufe einer vertraglichen Ausschlussfrist hierauf nicht übertragbar sei.

Praxishinweis

Arbeitgeber sollten überprüfen, ob in ihren Arbeitsverträgen Ausschlussfristen enthalten sind und falls ja, ob diese den aktuellen Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts genügen. Wenn dies der Fall ist, sollte als erste Reaktion auf eine finanzielle Forderung des Arbeitnehmers stets geprüft werden, ob nicht der behauptete Anspruch bereits aufgrund Nichtbeachtung der Ausschlussfrist entfallen ist.

Arbeitnehmer haben hingegen – sofern eine Ausschlussfrist auf ihr Arbeitsverhältnis Anwendung findet – im wohlverstandenen Eigeninteresse ihre Lohnabrechnungen regelmäßig auf Richtigkeit zu überprüfen. Sollte der Arbeitnehmer einen offenen Anspruch feststellen (z.B. aus geleisteten Überstunden) ist dieser zumindest per E-Mail beim Arbeitgeber geltend zu machen. Insofern ist jedoch zu beachten, dass bei der Geltendmachung zu viel Höflichkeit schaden kann! Aus der Geltendmachung muss unzweifelhaft hervorgehen, dass man auf die Erfüllung einer bestimmten Forderung besteht. Eine bloße Bitte um Überprüfung genügt hierfür nicht.

Hintergrund

Nahezu jede Betriebsratsarbeit beinhaltet eine Verarbeitung personenbezogener Daten. Es verwundert daher nicht, dass Arbeitgeber bisweilen versuchen, betriebsverfassungsrechtlichen Ansprüchen datenschutzrechtliche Bedenken entgegenzusetzen. In diesen Konstellationen stellt sich die spannende Frage, wie Datenschutzrecht (v.a. Europäische Datenschutzgrundverordnung, kurz: DSGVO; Bundesdatenschutzgesetz: BDSG) und Betriebsverfassungsrecht in Einklang gebracht werden kann.

BAG bisher: Betriebsrat = datenschutzrechtlich Teil des Arbeitgebers als verantwortliche Stelle

Das Bundesarbeitsgericht vertrat bislang in ständiger Rechtsprechung (z.B. Urteil vom 11.11.1997 – 1 ABR 21/97, Urteil vom 07.02.2012 – 1 ABR 46/10) die Auffassung, dass der Betriebsrat nicht selbst für die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben verantwortlich sei; der Betriebsrat sei vielmehr Teil des Arbeitgebers als datenschutzrechtlich verantwortliche Stelle. Infolgedessen stünden einer Übermittlung personenbezogener Daten an den Betriebsrat keine Bedenken in den Bezug auf den Datenschutz entgegen.

In datenschutzrechtlicher Hinsicht wurde der Betriebsrat daher mit anderen Worten wie eine „Abteilung“ des Arbeitgebers angesehen. Aufgrund seiner gesetzlichen Rolle als unabhängiger Interessenvertreter der Belegschaft wurden dieser „Abteilung“ jedoch in Bezug auf den Datenschutz Sonderrechte eingeräumt. So unterlag der Betriebsrat bisher nicht der Kontrolle des betrieblichen Datenschutzbeauftragten. Auch hatte der Arbeitgeber keine Handhabe, auf den Betriebsrat einzuwirken, um die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben im Rahmen der Betriebsratsarbeit sicherzustellen.    

DSGVO: Betriebsrat eigener Verantwortlicher iSd Art. 4 Nr. 7 DSGVO?

Seit Inkrafttreten der DSGVO ist fraglich, ob an dieser Rechtsprechung festgehalten werden kann. Grund hierfür ist, dass die DSGVO eine gegenüber dem bisherigen BDSG weitergehende Definition des datenschutzrechtlich Verantwortlichen enthält. Nach Art. 4 Nr. 7 DSGVO richten sich die datenschutzrechtlichen Vorgaben nun an jede „Stelle“, die „über die Zwecke und die Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten entscheidet.“ Ob dies beim Betriebsrat der Fall ist, ist eine der Streifragen, die seit Inkrafttreten der DSGVO in Rechtsprechung und Literatur intensiv diskutiert werden.

Während das LAG Niedersachsen, Beschluss vom 22.10.2018 – 12 TaBV 23/18  und das LAG Hessen, Beschluss vom 10.12.2018 – 16 TaBV 130/18 den Betriebsrat auch unter Geltung der DSGVO weiterhin als Teil der verantwortlichen Stelle Arbeitgeber ansehen, ist das LAG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.12.2018 – 4 TaBV 19/17 sowie die Mehrzahl der Landesdatenschutzaufsichtsbehörden (vgl. z.B. Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI) Baden-Württemberg 34. Tätigkeitsbericht 2018, S. 37 f.) der Ansicht, dass der Betriebsrat selbst Verantwortlicher im Sinne des Art. 4 Nr. 7 DSGVO sei, da er eigenständig über die Zwecke und Mittel seiner Datenverarbeitung entscheide, und der Arbeitgeber gerade nicht entscheiden kann, auf welche Art und Weise der Betriebsrat personenbezogene Daten verarbeitet.

Konsequenzen einer eigenen Verantwortlichkeit des Betriebsrats

Sollte der Betriebsrat zukünftig tatsächlich als eigener Verantwortlicher im Sinne der DSGVO angesehen werden, hätte dies weitreichende Konsequenzen:

Der Betriebsrat selbst wäre Adressat sämtlicher datenschutzrechtlicher Verpflichtungen und Vorgaben. Er müsste daher selbst Maßnahmen zur Umsetzung der Vorgaben aus der DSGVO ergreifen, beispielsweise müsste er die betroffenen Mitarbeiter über seine Datenverarbeitung informieren (Art. 13, 14 DSGVO), er müsste ein eigenes Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten führen (Art. 30 DSVGO), die Betroffenenrechte auf Auskunft etc. müsste der Betriebsrat selbst erfüllen, er müsste ein eigenes Löschkonzepte entwerfen etc.

Infolge der eigenen Verantwortlichkeit hätte der Betriebsrat bzw. hätten einzelne Betriebsratsmitglieder auch für Datenschutzverstöße zu haften; ihnen gegenüber könnte möglicherweise sogar ein Bußgeld ausgesprochen werden. Kurzum: Auf den Betriebsrat käme eine datenschutzrechtliche Revolution zu!

Für den Arbeitgeber wäre eine Einordnung des Betriebsrats als eigenständiger Verantwortlicher zwar insoweit vorteilhaft, als er zukünftig nicht mehr für Datenschutzverstöße aus dem Bereich des Betriebsrats haftbar gemacht werden könnte. Doch hätte eine solche Entwicklung auch für den Arbeitgeber eine nicht unerhebliche finanzielle Schattenseite:  

Bekanntlich hat der Arbeitgeber die erforderlichen Kosten der Betriebsratsarbeit zu tragen.  Sollte der Betriebsrat tatsächlich selbst für die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben verantwortlich sein, müsste der Arbeitgeber auch die im Zusammenhang mit der Erfüllung dieser Pflichten entstehenden Kosten tragen. Zu denken wäre insofern an Schulungskosten und Kosten für externe Rechts-/IT-Beratung.

BAG, Beschluss vom 09.04.2019 – 1 ABR 51/17: Betriebsrat muss zumindest bei sensitiven Daten selbst Schutzmaßnahmen ergreifen

Vor diesem Hintergrund wäre es zu begrüßen, dass diese Streitfrage möglichst zeitnah geklärt wird.

Im Rahmen seines Beschlusses vom 09.04.2019 – 1 ABR 51/17 hat das Bundesarbeitsgericht indes die Frage, ob der Betriebsrat selbst Verantwortlicher im Sinne der DSGVO ist, ausdrücklich offen gelassen und lediglich klargestellt, dass der Betriebsrat jedenfalls selbst verpflichtet ist, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wenn er besondere personenbezogene Daten nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO bzw. § 26 Abs. 3 BDSG (sog. sensitive Daten, insbesondere Gesundheitsdaten) verarbeitet.

Praxistipp

Die Betriebsparteien müssen daher zunächst weiterhin mit dieser unklaren Rechtslage leben. Sie können jedoch selbst Abhilfe schaffen, indem sie im Rahmen einer Betriebsvereinbarung zum Beschäftigtendatenschutz bei der Betriebsratsarbeit verbindliche Regeln zur datenschutzrechtlichen Stellung des Betriebsrats und dessen Datenverarbeitung aufstellen. Art. 88 Abs. 1 DSGVO sieht nämlich vor, dass die Betriebsparteien durch Kollektivvereinbarungen spezifischere Vorschriften zur Gewährleistung des Datenschutzes im Beschäftigungskontext aufstellen können.

In einer solchen Betriebsvereinbarung kann beispielsweise vorgesehen werden, dass der Betriebsrat weiterhin Teil der verantwortlichen Stelle des Arbeitgebers ist und fortan der Kontrolle des betrieblichen Datenschutzbeauftragten unterliegt. Auch kann geregelt werden, dass der Betriebsrat berechtigt ist, die bestehenden Datenschutzstrukturen des Arbeitgebers mit zu nutzen.

Sollten Sie insofern Hilfe benötigen, stehen wir Ihnen jederzeit gerne mit Rat und Tat zur Seite.

Im Rahmen des Blogs werden wir Sie über die weitere Entwicklung in dieser Angelegenheit auf dem Laufenden halten.

Das Bundesarbeitsgericht stellt klar, dass während eines unbezahlten Sonderurlaubs kein Anspruch auf gesetzlichen Erholungsurlaub entsteht.

Hintergrund

Das Urlaubsrecht kommt nicht zur Ruhe. Nach Urteilen zu Verfall, Übertragbarkeit und Vererbbarkeit des Urlaubsanspruchs hat nun das Bundesarbeitsgericht auch seine Rechtsprechung zur Frage des Entstehens eines Urlaubsanspruchs während Zeiten eines unbezahlten Sonderurlaubs geändert – diesmal jedoch zu Gunsten der Arbeitgeberschaft!

Traten Arbeitgeber in der Vergangenheit an uns mit der Frage heran, ob und wie sie einem Wunsch eines Arbeitnehmers auf unbezahlten Sonderurlaub erfüllen können, lautete unsere Antwort bisher: „Dies ist leicht möglich. Probleme kann es jedoch mit dem gesetzlichen Mindesturlaub geben.“ Denn noch im Jahr 2014 hatte das Bundesarbeitsgericht entschieden (Urteil vom 06.05.2014 – 9 AZR 678/12), dass die Vereinbarung unbezahlten Sonderurlaubs das Entstehen gesetzlicher Urlaubsansprüche nicht hindere.

Diese Entscheidung stoß auf breiter Front auf Unverständnis und war rechtlichen Laien kaum zu vermitteln. Das Bundesarbeitsgericht gab hiermit der Arbeitnehmerschaft auch Steine statt Brot. Denn in vielen Fällen waren Arbeitgeber nach Aufklärung über die rechtlichen Risiken nicht mehr bereit, dem Wunsch nach Sonderurlaub nachzukommen.

Diese unbefriedigende Rechtslage hat nun jedoch das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 19.03.2019 – 9 AZR 315/17 beseitigt.

Sachverhalt

Eine Arbeitgeberin gewährte einer Arbeitnehmerin wunschgemäß in der Zeit vom 1. September 2013 bis zum 31. August 2014 unbezahlten Sonderurlaub, der einvernehmlich bis zum 31. August 2015 verlängert wurde. Nach Beendigung des Sonderurlaubs verlangte die Arbeitnehmerin die Gewährung des gesetzlichen Mindesturlaubs von 20 Arbeitstagen für das Jahr 2014. Sie vertrat hierbei die Auffassung, Urlaubsansprüche entstünden auch im ruhenden Arbeitsverhältnis. Eine Kürzung dieses Urlaubsanspruchs sei mangels einschlägiger Rechtsgrundlage im Falle eines Sonderurlaubs nicht zulässig. Das Landesarbeitsgericht folgte dieser Argumentation und sprach der Arbeitnehmerin für das Jahr 2014 den gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Urlaubstagen bei einer 5-Tage-Woche zu.

Entscheidung des BAG

Entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung kam das Bundesarbeitsgericht hingegen zu dem Ergebnis, dass die Arbeitnehmerin für das Jahr 2014 – währenddessen sie sich ununterbrochen im Sonderurlaub befunden hat – keinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub hat und begründet dies ausweislich der Pressemitteilung wie folgt:

Nach § 3 Abs. 1 BUrlG beläuft sich der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei einer gleichmäßigen Verteilung der Arbeit auf sechs Tage in der Woche auf 24 Werktage. Dies entspricht einem gesetzlichen Jahresurlaubsanspruch von 20 Tagen bei einer Fünftagewoche. Ist die Arbeitszeit eines Arbeitnehmers auf weniger oder mehr als sechs Arbeitstage in der Kalenderwoche verteilt, muss die Anzahl der Urlaubstage unter Berücksichtigung des für das Urlaubsjahr maßgeblichen Arbeitsrhythmus berechnet werden, um für alle Arbeitnehmer eine gleichwertige Urlaubsdauer zu gewährleisten

Diese Umrechnung hat das Bundesarbeitsgericht in Fällen des Sonderurlaubs, in dem die Arbeitszeit „0 Tage pro Woche“ beträgt, bisher nicht vorgenommen. Hieran hält das Bundesarbeitsgericht jedoch nunmehr ausdrücklich nicht mehr fest und stellt klar:

Befindet sich ein Arbeitnehmer im Urlaubsjahr ganz oder teilweise im unbezahlten Sonderurlaub, ist bei der Berechnung der Urlaubsdauer zu berücksichtigen, dass die Arbeitsvertragsparteien ihre Hauptleistungspflichten durch die Vereinbarung von Sonderurlaub vorübergehend ausgesetzt haben. Dies führt dazu, dass einem Arbeitnehmer für ein Kalenderjahr, in dem er sich durchgehend im unbezahlten Sonderurlaub befindet, mangels einer Arbeitspflicht kein Anspruch auf Erholungsurlaub zusteht (entsprechend einer Teilzeit Null).

Praxishinweis

Die vom Bundesarbeitsgericht vorgenommene Rechtsprechungsänderung ist ausdrücklich zu begrüßen. Die bisherige Rechtsprechung war mit dem gesunden Menschenverstand kaum zu vereinbaren.

Bei der zukünftigen Gewährung von Sonderurlaub (Sabbaticals) ist darauf zu achten, dass der betroffene Arbeitnehmer nicht nur einseitig von seiner Arbeitspflicht befreit, d.h. einseitig in den Sonderurlaub geschickt wird, sondern dass hierfür eine einvernehmliche (aus Beweisgründen) schriftliche Vereinbarung geschlossen wird. Denn das Bundesarbeitsgericht stellt offenbar maßgeblich auf den übereinstimmenden Willen der Arbeitsvertragsparteien zur vorübergehenden Suspendierung des Arbeitsvertragsparteien ab, der das Nichtentstehen eines Urlaubsanspruchs rechtfertige.

So hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom gleichen Tag entschieden (Urteil vom 19.03.2019 – 9 AZR 362/18), dass während Zeiten einer Elternzeit, in dem das Arbeitsverhältnis auch ruht, ein Urlaubsanspruch grundsätzlich weiterhin entstehe. Dies ist insofern konsequent, als die Elternzeit auf einer einseitigen Erklärung beruht, die keine Annahmeerklärung des Arbeitgebers bedarf. Dieser während der Elternzeit entstehende Urlaubsanspruch kann der Arbeitgeber jedoch nach § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG kürzen. Diese Kürzungsvorschrift ist – wie das Bundesarbeitsgericht entschieden hat –mit Unionsrecht vereinbar. Arbeitgeber haben jedoch darauf zu achten, dass sie von dieser Kürzungsmöglichkeit nur während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses Gebrauch machen können (Urteil vom 19.5.2015 – 9 AZR 725/13).

Die Rechtsprechungsänderung des BAG dürfte auch über den Fall des Sonderurlaubs hinaus Bedeutung haben. So müsste wohl auch die seit langem umstrittene Frage geklärt sein, ob auch ein Urlaubsanspruch in der Passivphase einer Altersteilzeit entstehe. Da eine Altersteilzeit grundsätzlich auf einer einvernehmlichen vertraglichen Regelung basiert, müsste die neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht auch für diesen Fall gelten, mit der Folge, dass in der passiven Phase einer Altersteilzeit kein Urlaubsanspruch entsteht. Zu diesem Ergebnis kam jüngst auch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf in seinem Urteil 13.07.2018 – 6 Sa 272/18. Da hiergegen beim Bundesarbeitsgericht die Revision anhängig ist (9 AZR 481/18), ist in naher Zukunft mit einer entsprechenden Klarstellung zu rechnen.

Am 15. und 16.03.2019 fand die erste Halbjahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein statt. Traditionell wurden an zwei Tagen grundlegende und aktuelle Probleme des Arbeitsrechts diskutiert. Hochkarätige Referenten, wie die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Rüdiger Linck und Dr. Sebastian Roloff boten eine qualifizierte Herangehensweise. Wie jedes Jahr gab es auch heuer wieder die Gelegenheit zwischen den Veranstaltungen, mit den Referenten und auch den Kollegen fachliche, aber auch private Gespräche zu führen.

Zum ersten Mal ist es uns gelungen, mit allen Anwälten unserer Kanzlei zu diesem wichtigen Treffen herausragender Arbeitsrechtler anzureisen.

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 07.02.2019 – 6 AZR 75/18 klargestellt, dass ein arbeitsrechtlicher Aufhebungsvertrag nicht nach § 312g Abs. 1 BGB widerrufen werden kann.

Hintergrund

Das BGB sieht in den §§ 312 ff. BGB vor, dass Verbraucher in verschiedenen Konstellationen Verträge ohne Angabe von Gründen nach § 355 BGB widerrufen können. Nach § 312g Abs. 1 BGB steht Verbrauchern insbesondere bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht zu. Da nach Ansicht des BAG der Arbeitnehmer als Verbraucher im Sinne des § 13 BGB einzuordnen ist, stellte sich die Frage, ob Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag, der nicht in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers abgeschlossen wurde, unter Berufung auf § 312g Abs. 1 BGB widerrufen können.  

Nachdem das BAG bereits mit Urteil vom 27.11.2003 (2 AZR 177/03) feststellte, dass die Vorgängerregelung des § 312g BGB (bis 12.06.2014 = § 312 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB a.F.), der ein Widerrufsrecht bei sog. Haustürgeschäften vorsah, auf arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge keine Anwendung fand, kamen die Erfurter Richter nun zur geltenden Rechtslage zum identischen Ergebnis. Ein gesetzliches Recht zum Widerruf eines Aufhebungsvertrages besteht nicht.

Sachverhalt des Urteils

Die Klägerin schloss in ihrer Wohnung im Beisein des Lebensgefährten ihrer Arbeitgeberin einen Aufhebungsvertrag ab. Hiernach wurde das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung ohne Zahlung einer Abfindung beendet. Zwei Tage später erklärte die Klägerin die Anfechtung des Aufhebungsvertrages wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Drohung. Gleichzeitig widerrief sie hilfsweise den Aufhebungsvertrag unter Berufung auf § 312g Abs. 1 BGB.

Entscheidung des BAG

Wie die Vorinstanzen kam das Bundesarbeitsgericht zum Ergebnis, dass kein Anfechtungsgrund vorliege. Zugleich stellte es klar, dass auch nach geltender Rechtslage ein arbeitsrechtlicher Aufhebungsvertrag nicht unter Berufung auf Verbraucherschutzvorschriften widerrufen werden könne.

Im Gesetzgebungsverfahren sei der Wille des Gesetzgebers deutlich geworden, arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge nicht in den Anwendungsbereich der verbraucherschützenden Widerrufsrechte nach §§ 312 ff. BGB einzubeziehen.

Trotzdem hatte die Revision der Klägerin Erfolg. Denn die Vorinstanzen hätten nicht geprüft, ob das Gebot fairen Verhandelns vor Abschluss des Aufhebungsvertrages beachtet wurde. Das Gebot fairen Verhandelns sei eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht. Werde gegen dieses Gebot vor Abschluss eines Aufhebungsvertrages verstoßen, führe dies im Ergebnis dazu, dass das Arbeitsverhältnis fortbestehe.  Mit dem Gebot fairen Verhandelns sei es nicht vereinbar, eine Drucksituation zu schaffen, die eine freie und überlegte Entscheidung des Arbeitnehmers über den Abschluss eines Aufhebungsvertrages erheblich erschwert. Dies könne insbesondere der Fall sein, wenn der Arbeitgeber eine krankheitsbedingte Schwäche des Arbeitnehmers bewusst ausnutze, um den Arbeitnehmer zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages zu bewegen. Da dies nach den Behauptungen der Klägerin nicht ausgeschlossen werden könne, wurde die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Praxishinweis

Obwohl das Urteil des BAG in Bezug auf die Frage des Widerrufs eines Aufhebungsvertrages Rechtssicherheit schafft, wird es jedoch höchstwahrscheinlich dazu führen, dass vermehrt über die Wirksamkeit von Aufhebungsverträgen gestritten wird. Zwar hat das BAG erfreulicherweise bekräftigt, dass der Widerruf eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag auf gesetzlicher Grundlage nicht möglich ist. Zugleich hat das BAG jedoch die Aufmerksamkeit auf einen weiteren Unwirksamkeitsgrund gelenkt, der bisher in der arbeitsgerichtlichen Praxis ein Schattendasein geführt hat, dem sog. Gebot fairen Verhandelns. Arbeitgeber sind daher in Zukunft gut darin beraten, Arbeitnehmern eine Bedenkzeit zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages einzuräumen. Denn andernfalls wohnt allen Aufhebungsverträgen ein Moment der Unsicherheit inne. Ehemalige Arbeitnehmer könnte bis zur Grenze der dreijährigen Verjährungsfrist gegen die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrages einwenden, dass sie den Aufhebungsvertrag nur unterschrieben hätten, da sie sich in einer vom Arbeitgeber geschaffenen psychischen Drucksituation befanden.

Der Hinweis auf das sog. Gebot fairen Verhandelns darf jedoch nicht dahingehend missverstanden werden, dass der Arbeitgeber im Rahmen der Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrages nicht mehr damit „drohen“ darf, dass andernfalls der Ausspruch einer (außerordentlichen) Kündigung erfolge. Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung kann der Arbeitnehmer in einem solchen Fall nur dann den Aufhebungsvertrag wirksam anfechten, wenn der Arbeitgeber den Ausspruch einer Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Nur wenn der Arbeitgeber unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde im Falle ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er die (außerordentliche) Kündigungserklärung nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zum Abschluss einer Beendigungsvereinbarung zu veranlassen. Das Gebot fairen Verhandelns dürfte in diesem Zusammenhang nur verlangen, dass dem Arbeitnehmer nicht sprichwörtlich die Pistole auf die Brust gedrückt, sondern ihm die Möglichkeit eingeräumt wird, über das Aufhebungsangebot noch einmal nachzudenken und sich möglicherweise Rechtsrat einzuholen.