Sachverhalt:
Der Kläger ist bei dem beklagten Klinikum in Nordrhein-Westfalen als Techniker beschäftigt, dort befindet sich auch sein regelmäßiger Beschäftigungsort.
Auf Anordnung des Arbeitgebers nahm der Kläger vom 01. bis 05. November 2021 an einer Fortbildungsveranstaltung im Bundesland Hessen Teil. Nach dem Feiertagsgesetz des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen ist der 01. November „Allerheiligen“ gesetzlicher Feiertag – nicht dagegen in Hessen.
Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung, welcher bei Feiertagsarbeit einen Zeitzuschlag in Höhe von 35 % vorsieht.
Die Teilnahme an der Fortbildung wurde regulär vergütet, einen Feiertagszuschlag für die Stunden der Teilnahme an der Fortbildung für den 01. November 2021 gewährte das beklagte Klinikum nicht.
Nachdem der Klage des Klägers auf Feiertagszuschläge in erster Instanz durch das Arbeitsgericht Münster stattgegeben wurde, wies das Landesarbeitsgericht auf die Berufung der Beklagten die Klage ab.
Mit seiner Revision verfolgte der Kläger nunmehr seinen Anspruch vor dem Bundearbeitsgericht in Erfurt weiter – mit weitgehendem Erfolg.
Die Entscheidung:
Nach Auffassung des BAG stehen dem Kläger die geltend gemachten Feiertagszuschläge für die Stunden der Fortbildungsteilnahme am 01. November 2021 zu, dies ergibt die Auslegung der Tarifnorm.
Die tarifvertraglichen Regelungen über die Zahlung eines Zuschlages für Feiertagsarbeit knüpfen regelmäßig an die gesetzlichen Feiertage am Beschäftigungsort an. (…) Mithin bestimmt sich der Anspruch auf einen tariflichen Feiertagszuschlag grundsätzlich nach dem Ort, an dem der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen hat, vgl. BAG v. 1.8.2024 – 6 AZR 38/24, Rn. 22.
Insoweit ist auf den regelmäßigen Beschäftigungsort abzustellen, die nur vorübergehende Teilnahme an einer Fortbildung in einem anderen Bundesland vermag es nicht, den in NRW liegenden regelmäßigen Beschäftigungsort zu (auch nur vorübergehend) zu ändern.
Auf den tatsächlichen Beschäftigungsort am Tag des Einsatzes kommt es nicht an.
In der Praxis
Ähnliche Fragestellungen finden sich auch auf „kleinere Ebene“, betroffen sind hier häufig Pendler.
Beispielsweise ist in bayerischen Gemeinden, mit überwiegend katholischer Bevölkerung der 15. August „Mariä Himmelfahrt“ ein gesetzlicher Feiertag, in Gemeinden mit überwiegend evangelischer Bevölkerung hingegen nicht.
Das sog. „Territorialprinzip“ besagt, dass die gesetzlichen Feiertage am Ort der tatsächlichen Beschäftigung maßgeblich sind. D.h. dass der Arbeitnehmer sich nach den Feiertagsregelungen des Ortes richten muss, an dem er arbeitet, und nicht nach denen seines Wohnortes. Hiervon betroffen sind häufig Pendler.
Sachverhalt
Das BAG legte dem EuGH im Rahmen
Dem Verfahren vor dem BAG lag die Klage einer 1968 geborenen Frau zugrunde, in welcher diese welche eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wegen Altersdiskriminierung forderte.
Die Beklagte, ein Assistenzdienst der Menschen mit Behinderungen in verschiedenen Bereichen des Lebens rund um das Thema Persönliche Assistenz Beratung, Unterstützung sowie Assistenzleistungen anbietet, suchte im Jahr 2018 im Rahmen einer Stellenausschreibung eine Assistentin für eine 28-järige Studentin. Nach dem Inhalt der Ausschreibung sollten die Bewerberinnen „am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein“. Hierauf hatte sich die zum Zeitpunkt der Bewerbung etwa 50-jährige Klägerin beworben, jedoch eine Absage erhalten. Durch die Ablehnung sah sie sich wegen ihres Alters diskriminiert und forderte eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Der in diesem Zusammenhang erhobenen Klage wurde durch das Arbeitsgericht teilweise stattgegeben. Auf die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten wurde die Klage durch das Landesarbeitsgericht vollständig abgewiesen. Mit der Revision verfolgte die Klägerin ihr Begehren auf Zahlung einer Entschädigung weiter.
Vorlagefrage an den EuGH
Das Vorabentscheidungsersuchen des BAG betrifft die Auslegung unionsrechtlicher Bestimmungen und die Frage, ob diese dahingehend ausgelegt werden können, „dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt werden kann“.
Der EuGH stellt in seinem Urteil vom 07.12.2023 fest, dass die Absage gegenüber der Klägerin aufgrund ihres Alters erfolgte und damit eine unmittelbare Diskriminierung vorlag. Die in der Stellenbeschreibung festgelegte Altersanforderung sei jedoch im Hinblick auf den Schutz des Rechts auf Selbstbestimmung des betreffenden Menschen mit Behinderung notwendig und gerechtfertigt. Der EuGH betont in seiner Entscheidung, dass es nach den deutschen Rechtsvorschriften ausdrücklich vorgesehen sei, den individuellen Wünschen von Menschen mit Behinderungen bei der Erbringung von Leistungen der persönlichen Assistenz zu entsprechen:
Gemäß § 78 SGB IX werden Assistenzleistungen für Menschen mit Behinderung zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltages einschließlich der Tagesstrukturierung erbracht. Sie umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen. Sie beinhalten die Verständigung mit der Umwelt in diesen Bereichen.
Dabei ist gemäß § 8 SGB IX ein Wunsch und Wahlrecht einzuräumen. Mithin ist bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten zu entsprechen (Absatz 1) und den Leistungsberechtigten ist durch Leistungen, Dienste und Einrichtungen möglichst viel Raum zu eigenverantwortlicher Gestaltung ihrer Lebensumstände zu lassen und deren Selbstbestimmung zu fördern (Absatz 3).
Der EuGH führt weiter aus: Leistungsberechtigte müssen die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, wie wo und mit wem sie leben wollen. Es lässt sich vernünftigerweise erwarten, dass jemand, der derselben Altersgruppe wie der Mensch mit Behinderung angehört, sich leichter in dessen persönliches Umfeld einfügt. Angesichts dessen, dass die persönliche Assistenz alle Lebensbereiche betreffe und die assistenzleistende Person zwangsläufig in die Privat- und Intimsphäre der assistenznehmenden Person eingreife, ist den berechtigten Wünschen und subjektiven Bedürfnissen der jeweiligen assistenznehmenden Personen Rechnung zu tragen.
Mithin sei die Beschränkung der Bewerber auf eine gewisse Altersgruppe und die sich hieraus ergebende Ungleichbehandlung gerechtfertigt.
Ausblick
Nach der Entscheidung des EuGH auf die Vorlagefrage BAG, geht das Verfahren nun zurück an dieses. Dort wird das BAG die Revision der Klägerin und die begehrte Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zurückweisen.
Konsequent – Das Bundesarbeitsgericht bestätigt in seiner Entscheidung vom 31.01.2023, Az. 9 AZR 456/20 ständige Rechtsprechung: Dreijahresfrist für Urlaubsabgeltung bleibt
Im vergangenen Jahr entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 20.12.2022, Az. 9 AZR 266/20) – in Umsetzung einer EuGH-Entscheidung in deutsches Recht – dass gesetzlicher Urlaub, der in einem intakten Arbeitsverhältnis nicht genommen wurde, nicht ohne vorherigen Hinweis des Arbeitgebers verfallen darf. Danach müssen Arbeitgeber in Wahrnehmung ihrer Informationspflicht ihre Arbeitnehmer/innen auf deren Urlaubsansprüche hinweisen und gegebenenfalls warnen, dass diese verfallen.
Mit der damaligen Entscheidung weckte das BAG bei einigen Arbeitnehmern die Hoffnung, dass die Verjährungsfrist auch bei Abgeltungsansprüchen wegfallen würde. Gleichzeitig bestand seitens einiger Arbeitgeber die Befürchtung einer Klageflut durch Arbeitnehmer/innen, welche eine Abgeltung des nicht genommenen Urlaub aus – unter Umständen seit Jahren – beendeten Arbeitsverhältnissen verlangen.
Das Urteil des BAG vom 31.01.2023, Az. 9 AZR 456/20 hatte insoweit vor allem klarstellende Wirkung; Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers, nicht genommenen Urlaub nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten, unterliegt der dreijährigen Verjährungsfrist.
Anders als der Urlaubanspruch, welcher den wichtigen Erholungszweck des Arbeitnehmers während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses verfolgt, ist der Urlaubabgeltungsanspruch auf dessen finanzielle Kompensation beschränkt. Die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei der Inanspruchnahme von Urlaub, endet mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Sachverhalt
Die Beklagte betreibt eine Flugschule. Sie beschäftigte den Kläger seit dem 9. Juni 2010 als Ausbildungsleiter, ohne ihm seinen jährlichen Urlaub von 30 Arbeitstagen zu gewähren. Unter dem 19. Oktober 2015 verständigten sich die Parteien darauf, dass der Kläger in der Folgezeit als selbstständiger Dienstnehmer für die Beklagte tätig werden sollte. Mit der im August 2019 erhobenen Klage verlangte der Kläger ua. Abgeltung von Urlaub aus seiner Beschäftigungszeit vor der Vertragsänderung. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Entscheidung
Die Revision des Klägers hatte beim Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg, soweit er die Beklagte auf Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2010 bis 2014 in Höhe von 37.416,50 Euro in Anspruch nimmt. Bezogen auf Urlaubsabgeltung für das Jahr 2015 blieb sie erfolglos.
Der Senat hat am 20. Dezember 2022 (- 9 AZR 266/20 – Pressemitteilung Nr. 48/22) entschieden, dass Urlaubsansprüche verjähren können, die dreijährige Verjährungsfrist jedoch erst am Ende des Kalenderjahres beginnt, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch informiert und ihn im Hinblick auf Verfallfristen aufgefordert hat, den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Hat der Arbeitgeber diesen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, kann der nicht erfüllte gesetzliche Urlaub aus möglicherweise mehreren Jahren im laufenden Arbeitsverhältnis weder nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen noch nach § 195 BGB verjähren und ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten.
Der Urlaubsabgeltungsanspruch unterliegt seinerseits der Verjährung. Die dreijährige Verjährungsfrist für den Abgeltungsanspruch beginnt in der Regel am Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es auf die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten ankommt. Die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bildet eine Zäsur. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist anders als der Urlaubsanspruch nicht auf Freistellung von der Arbeitsverpflichtung zu Erholungszwecken unter Fortzahlung der Vergütung gerichtet, sondern auf dessen finanzielle Kompensation beschränkt. Die strukturell schwächere Stellung des Arbeitnehmers, aus der der EuGH die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei der Inanspruchnahme von Urlaub ableitet, endet mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Bei einer verfassungs- und unionsrechtskonformen Anwendung der Verjährungsregelungen kann die Verjährungsfrist nicht beginnen, solange eine Klageerhebung aufgrund einer gegenteiligen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zumutbar ist.
Von dem Kläger konnte bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 19. Oktober 2015 nicht erwartet werden, seinen Anspruch auf Abgeltung des bis dahin nicht gewährten Urlaubs aus den Jahren 2010 bis 2014 gerichtlich durchzusetzen. Der Senat ging zu diesem Zeitpunkt noch davon aus, dass Urlaubsansprüche mit Ablauf des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums unabhängig von der Erfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten automatisch verfielen. Erst nachdem der EuGH mit Urteil vom 6. November 2018* neue Regeln für den Verfall von Urlaub vorgegeben hatte, war der Kläger gehalten, Abgeltung für die Urlaubsjahre von 2010 bis 2014 gerichtlich geltend zu machen.
Demgegenüber ist der Anspruch des Klägers auf Abgeltung von Urlaub aus dem Jahr 2015 verjährt. Schon auf Grundlage der früheren Rechtsprechung musste der Kläger erkennen, dass die Beklagte Urlaub aus diesem Jahr, in dem das Arbeitsverhältnis der Parteien endete, abzugelten hatte. Die dreijährige Verjährungsfrist begann deshalb Ende des Jahres 2015 und endete mit Ablauf des Jahres 2018. Der Kläger hat die Klage erst im Jahr 2019 erhoben.
Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 31. Januar 2023.
Das Bundesarbeitsgericht hat seine ständige Rechtsprechung mit Urteil vom 25.01.2022 bestätigt, dass Arbeitnehmer keinen Anspruch auf eine das Zeugnis abschließende Formulierung haben, die z.B. lautet: „Wir bedauern das Ausscheiden von Herrn/Frau…, bedanken uns für die geleistete Arbeit und wünschen ihm/ihr für den weiteren beruflichen und privaten Lebensweg alles Gute“. Dies war bisher ständige Rechtsprechung und herrschende Meinung (BAG 20.2.2001, NZA 2001, 843; 11.12.2012, NZA 2013, 324; LAG Bln 10.12.1998, BB 1999, 851; LAG Köln 2.7.1999, NZA-RR 2000, 235 (236); LAG BW 9.2.2012, NZA-RR 2012, 238 (241); LAG RhPf 17.11.2016, BeckRS 2016, 111141). Dies hat das BAG nun bestätigt und diese Meinung weiter damit begründet, dass der Arbeitgeber sich bei der Ablehnung auf das Grundrecht der sogenannten negativen Meinungsfreiheit berufen. Unter negativer Meinungsfreiheit verstehen Verfassungsrechtler das Recht, seine Meinung nicht zu äußern (ein Recht, von dem durchaus öfter Gebrauch gemacht werden sollte). Zur Entscheidung im Einzelnen (zitiert nach Fachdienst Arbeitsrecht 2022, 449372 Beck-Verlag):
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Berichtigung eines Arbeitszeugnisses. Der Kläger war drei Jahre bei der Beklagten, beschäftigt. Im Vergleich zur Erledigung eines Kündigungsschutzverfahrens verpflichtete sich die Beklagte, dem Kläger ein qualifiziertes wohlwollendes Arbeitszeugnis zu erteilen. Das Arbeitszeugnis enthielt keine sog. Dankes- und Wunschformel. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, das Zeugnis mit einer Schlussformel zu versehen, in der sie ihm für die geleistete Arbeit dankt und ihm für die Zukunft alles Gute und viel Erfolg wünscht. Er hat daher beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm Zug-um-Zug gegen Rückgabe des erteilten Arbeitszeugnisses ein neues, um einen Schlusssatz ergänztes Arbeitszeugnis, zu erteilen.
Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat der Klage stattgegeben.
Entscheidung
Das BAG sieht keinen Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Arbeitszeugnisses mit einer Dankes- und Wunschformel.
Ein Anspruch auf eine Dankes- und Wunschformel ergebe sich nicht aus § 109 I 3, II GewO i.V.m. § 241 II BGB. Ein Anspruch auf eine Dankes- und Wunschformel folge nicht aus § 109 I S. 3 GewO direkt und auch nicht aus einer verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift. Bei der Auslegung von § 109 GewO seien auf Seiten des Arbeitgebers die Grundrechte der Meinungsfreiheit nach Art. 5 I GG und seine durch Art. 12 I GG geschützte Unternehmerfreiheit zu beachten, auf Seiten des Arbeitnehmers die Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 I GG, da die Schlussformel unter Umständen zu erhöhten Bewerbungschancen führe, sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Aus Sicht des 9. Senats ist das Interesse des Arbeitgebers, seine innere Einstellung zu dem Arbeitnehmer sowie seine Gedanken- und Gefühlswelt nicht offenbaren zu müssen, höher zu bewerten als das Interesse des Arbeitnehmers an einer Schlussformel. Der Arbeitnehmer sei durch die Erteilung eines Arbeitszeugnisses ohne Schlussformel nur in geringem Maße in seiner grundrechtlich geschützten Position betroffen, da die Schlussformel nur in geringem Maße zur Erfüllung des Zeugniszwecks beitrage. Aus der Dankes- und Wunschformel ergäben sich für den Zeugnisleser bei objektiver Betrachtung keine über die eigentliche Leistungs- und Verhaltensbeurteilung hinausgehenden Informationen zur Beurteilung, inwieweit der Arbeitnehmer für eine zu besetzende Stelle geeignet ist. Wäre eine Dankes- und Wunschformel integraler Bestandteil eines qualifizierten Zeugnisses, wäre der Arbeitgeber verpflichtet, innere Gedanken über und Gefühle für den Arbeitnehmer zu äußern. Dadurch würde seine durch Art. 5 I 1 GG geschützte negative Meinungsfreiheit beeinträchtigt.
Auch aus dem Rücksichtnahmegebot nach § 241 II BGB sei ein Anspruch auf eine Dankes- und Wunschformel nicht abzuleiten. Das Rücksichtnahmegebot könne nicht herangezogen werden, um abschließende gesetzliche Regelungen wie § 109 GewO zu erweitern.
Praxishinweis
Anders als das LAG sieht das BAG in der Dankes- und Wunschformel nicht nur eine bloße Höflichkeitsformel ohne Beziehung zur Wirklichkeit. Vielmehr sieht das BAG klar den Schutzbereich der Meinungsfreiheit eröffnet und sieht einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff, wenn der Arbeitgeber verpflichtet wird, Gefühle auszudrücken, die er gegenüber dem ausscheidenden Mitarbeiter nicht empfindet. (Ricarda Zeh, a.a.O.)
Hat ein als behinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 30 anerkannter Arbeitnehmer die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen beantragt und dies dem Arbeitgeber mitgeteilt, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung von der beabsichtigten Umsetzung dieses Arbeitnehmers zu unterrichten und sie hierzu anzuhören, wenn über den Gleichstellungsantrag noch nicht entschieden ist. Das hat das Bundesarbeitsgericht am 22.01.2020 entschieden (Beschluss vom 22. Januar 2020 – 7 ABR 18/18 –, Pressemitteilung 4/20)
Sachverhalt:
Die Arbeitgeberin, ein Jobcenter, beschäftigt eine Arbeitnehmerin, die als behinderter Mensch mit einem GdB von 30 anerkannt ist. Am 4. Februar 2015 stellte diese einen Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen bei der Bundesagentur für Arbeit und informierte den Leiter des Jobcenters hierüber. Das Jobcenter setzte die Arbeitnehmerin im November 2015 für die Dauer von sechs Monaten in ein anderes Team um, ohne zuvor die Schwerbehindertenvertretung unterrichtet und angehört zu haben. Mit Bescheid vom 21. April 2016 stellte die Bundesagentur für Arbeit die Arbeitnehmerin rückwirkend zum 4. Februar 2015 einem schwerbehinderten Menschen gleich. Die Schwerbehindertenvertretung hat im Wesentlichen geltend gemacht, das Jobcenter habe sie vorsorglich auch dann zu unterrichten und anzuhören, wenn behinderte Arbeitnehmer, die einen Gleichstellungsantrag gestellt und dies dem Jobcenter mitgeteilt haben, auf einen anderen Arbeitsplatz umgesetzt werden sollen ( § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ).
Entscheidung:
Diese Anträge hatten vor dem Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg. Nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Diese Regelung gilt gemäß § 151 Abs. 1 SGB IX für schwerbehinderte und diesen gleichgestellte behinderte Menschen. Die Beteiligungspflicht bei Umsetzungen bestehe danach nicht, wenn die Umsetzung einen behinderten Arbeitnehmer betrifft, der einen Antrag auf Gleichstellung gestellt hat, über den noch nicht entschieden ist. Die Gleichstellung erfolge erst durch die konstitutiv wirkende Feststellung der Bundesagentur für Arbeit. Erst ab diesem Zeitpunkt besteht das Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung bei der Umsetzung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Zwar wirke die Gleichstellung nach § 151 Abs. 2 Satz 2 SGB IX auf den Tag des Eingangs des Antrags zurück. Dies begründe jedoch nicht die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Schwerbehindertenvertretung vor der Entscheidung über den Gleichstellungsantrag vorsorglich über eine Umsetzung zu unterrichten und zu dieser anzuhören. Das sei mit den Vorgaben des Unionsrechts und der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar.
Praxishinweis:
Diese Entscheidung zu begrüßen, da sie Handlungssicherheit für die Praxis gewährleistet. Entscheidend für die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist demnach Der Zeitpunkt des Erlasses eines entsprechenden Bescheids. Ob diese Rückwirkung entfaltet, ist demnach unbeachtlich. Durch diese Entscheidung ist der Beginn des Beteiligungsrechtes der Schwerbehindertenvertretung eindeutig bestimmbar.
Aber aufgepasst: Dies gilt nicht umfassend. Unter den Voraussetzungen des § 173 Abs. 2 SGB IX greift der Kündigungsschutz auch für einen gleichgestellten Mitarbeiter unter bestimmten Voraussetzungen bereits vor einer entsprechenden Entscheidung des Versorgungsamts. Die Entscheidung des BAG betrifft ausschließlich die Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung.
Die kirchenrechtlich vorgeschriebene arbeitsvertragliche Inbezugnahme einer kirchlichen Arbeitsrechtsregelung erfasst zwar inhaltlich auch eine darin enthaltene Ausschlussfrist, die damit zum Bestandteil des Arbeitsverhältnisses wird. Die Ausschlussfrist ist jedoch eine wesentliche Arbeitsbedingung iSv. § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG. Die bloße Inbezugnahme der Arbeitsrechtsregelung als solche genügt für den danach erforderlichen Nachweis nicht. Das hat das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil vom 30.10.2019 entschieden, das bisher nur als Pressemitteilung vorliegt (BAG, Urt. v. 30.10.2019 – 6 AZR 465/18 – PM Nr. 36/19 www.bundesarbeitsgericht.de).
Sachverhalt:
Der Kläger war bei der beklagten katholischen Kirchengemeinde als Küster und Reinigungskraft beschäftigt. Der Arbeitsvertrag nahm die Kirchliche Arbeits- und Vergütungsordnung (KAVO) in Bezug. Diese sieht in § 57 eine sechsmonatige einstufige Ausschlussfrist vor. Der Kläger macht Differenzvergütungsansprüche wegen angeblich fehlerhafter Eingruppierung geltend. Die Beklagte verweigert die Erfüllung dieser Ansprüche unter Berufung auf die Ausschlussfrist. Der Kläger stellt die Wirksamkeit der Fristenregelung in Abrede und verlangt hilfsweise Schadensersatz, den er ua. darauf stützt, dass ihm die Beklagte die Ausschlussfrist nicht hinreichend nachgewiesen habe.
Die Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht wies zwar den Erfüllungsanspruch (= Primäranspruch) unter Hinweis auf die Ausschlussfristen zurück, sprach dem Kläger allerdings einen Schadensersatzanspruch (= Sekundäranspruch) zu. Die Inbezugnahme der KAVO erfasse auch deren Ausschlussfrist und führe daher zum Verfall der Entgeltansprüche. Denkbar sei in dieser Konstellation allerdings ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des Nachweisgesetzes. Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen sind keine Tarifverträge, fallen allerdings als Allgemeine Geschäftsbedingungen unter die Erleichterungen nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 und 3 sowie § 3 S. 2 NachwG. Da aber die Ausschlussfrist nicht in § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 6-9 NachwG erwähnt wird, werden diese von den Erleichterung nicht erfasst. Ohne ausdrücklichen Hinweis oder eigenständige Regelung verstößt der Arbeitgeber gegen seine Verpflichtungen aus dem Nachweisgesetz und macht sich unter Umständen schadenersatzpflichtig. Der Rechtsstreit wurde zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes an das LAG Düsseldorf zurück verwiesen.
Praxistipp:
Dem kirchlichen Arbeitgeber ist daher dringend anzuraten, in ihre Verträge eine eigene Vorschrift mit aufzunehmen, die ausdrücklich die Ausschlussfristen regelt. Wir empfehlen daher, die jeweilige Regelung aus den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen in die Nachweise, bzw. Arbeitsverträge zu übernehmen. Ob diese Entscheidung auch Auswirkungen auf Ausschlussfristen haben wird, die in in Bezug genommenen Tarifverträgen geregelt ist, bleibt abzuwarten. Wir gehen allerdings von einer weiteren Privilegierung der Tarifverträge aus, sodass eine Inbezugnahme von Tarifverträgen wohl auch weiterhin ausreichen dürfte, um die Verpflichtungen nach dem Nachweisgesetz zu erfüllen.Wer aber auf Nummer sicher gehen möchte, sollte auch hier zukünftig eigenständige Ausschlussfristen in den Nachweisen, bzw. Arbeitsverträgen aufnehmen.
Hintergrund
Nahezu jede Betriebsratsarbeit beinhaltet eine Verarbeitung personenbezogener Daten. Es verwundert daher nicht, dass Arbeitgeber bisweilen versuchen, betriebsverfassungsrechtlichen Ansprüchen datenschutzrechtliche Bedenken entgegenzusetzen. In diesen Konstellationen stellt sich die spannende Frage, wie Datenschutzrecht (v.a. Europäische Datenschutzgrundverordnung, kurz: DSGVO; Bundesdatenschutzgesetz: BDSG) und Betriebsverfassungsrecht in Einklang gebracht werden kann.
BAG bisher: Betriebsrat = datenschutzrechtlich Teil des Arbeitgebers als verantwortliche Stelle
Das Bundesarbeitsgericht vertrat bislang in ständiger Rechtsprechung (z.B. Urteil vom 11.11.1997 – 1 ABR 21/97, Urteil vom 07.02.2012 – 1 ABR 46/10) die Auffassung, dass der Betriebsrat nicht selbst für die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben verantwortlich sei; der Betriebsrat sei vielmehr Teil des Arbeitgebers als datenschutzrechtlich verantwortliche Stelle. Infolgedessen stünden einer Übermittlung personenbezogener Daten an den Betriebsrat keine Bedenken in den Bezug auf den Datenschutz entgegen.
In datenschutzrechtlicher Hinsicht wurde der Betriebsrat daher mit anderen Worten wie eine „Abteilung“ des Arbeitgebers angesehen. Aufgrund seiner gesetzlichen Rolle als unabhängiger Interessenvertreter der Belegschaft wurden dieser „Abteilung“ jedoch in Bezug auf den Datenschutz Sonderrechte eingeräumt. So unterlag der Betriebsrat bisher nicht der Kontrolle des betrieblichen Datenschutzbeauftragten. Auch hatte der Arbeitgeber keine Handhabe, auf den Betriebsrat einzuwirken, um die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben im Rahmen der Betriebsratsarbeit sicherzustellen.
DSGVO: Betriebsrat eigener Verantwortlicher iSd Art. 4 Nr. 7 DSGVO?
Seit Inkrafttreten der DSGVO ist fraglich, ob an dieser Rechtsprechung festgehalten werden kann. Grund hierfür ist, dass die DSGVO eine gegenüber dem bisherigen BDSG weitergehende Definition des datenschutzrechtlich Verantwortlichen enthält. Nach Art. 4 Nr. 7 DSGVO richten sich die datenschutzrechtlichen Vorgaben nun an jede „Stelle“, die „über die Zwecke und die Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten entscheidet.“ Ob dies beim Betriebsrat der Fall ist, ist eine der Streifragen, die seit Inkrafttreten der DSGVO in Rechtsprechung und Literatur intensiv diskutiert werden.
Während das LAG Niedersachsen, Beschluss vom 22.10.2018 – 12 TaBV 23/18 und das LAG Hessen, Beschluss vom 10.12.2018 – 16 TaBV 130/18 den Betriebsrat auch unter Geltung der DSGVO weiterhin als Teil der verantwortlichen Stelle Arbeitgeber ansehen, ist das LAG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.12.2018 – 4 TaBV 19/17 sowie die Mehrzahl der Landesdatenschutzaufsichtsbehörden (vgl. z.B. Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI) Baden-Württemberg 34. Tätigkeitsbericht 2018, S. 37 f.) der Ansicht, dass der Betriebsrat selbst Verantwortlicher im Sinne des Art. 4 Nr. 7 DSGVO sei, da er eigenständig über die Zwecke und Mittel seiner Datenverarbeitung entscheide, und der Arbeitgeber gerade nicht entscheiden kann, auf welche Art und Weise der Betriebsrat personenbezogene Daten verarbeitet.
Konsequenzen einer eigenen Verantwortlichkeit des Betriebsrats
Sollte der Betriebsrat zukünftig tatsächlich als eigener Verantwortlicher im Sinne der DSGVO angesehen werden, hätte dies weitreichende Konsequenzen:
Der Betriebsrat selbst wäre Adressat sämtlicher datenschutzrechtlicher Verpflichtungen und Vorgaben. Er müsste daher selbst Maßnahmen zur Umsetzung der Vorgaben aus der DSGVO ergreifen, beispielsweise müsste er die betroffenen Mitarbeiter über seine Datenverarbeitung informieren (Art. 13, 14 DSGVO), er müsste ein eigenes Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten führen (Art. 30 DSVGO), die Betroffenenrechte auf Auskunft etc. müsste der Betriebsrat selbst erfüllen, er müsste ein eigenes Löschkonzepte entwerfen etc.
Infolge der eigenen Verantwortlichkeit hätte der Betriebsrat bzw. hätten einzelne Betriebsratsmitglieder auch für Datenschutzverstöße zu haften; ihnen gegenüber könnte möglicherweise sogar ein Bußgeld ausgesprochen werden. Kurzum: Auf den Betriebsrat käme eine datenschutzrechtliche Revolution zu!
Für den Arbeitgeber wäre eine Einordnung des Betriebsrats als eigenständiger Verantwortlicher zwar insoweit vorteilhaft, als er zukünftig nicht mehr für Datenschutzverstöße aus dem Bereich des Betriebsrats haftbar gemacht werden könnte. Doch hätte eine solche Entwicklung auch für den Arbeitgeber eine nicht unerhebliche finanzielle Schattenseite:
Bekanntlich hat der Arbeitgeber die erforderlichen Kosten der Betriebsratsarbeit zu tragen. Sollte der Betriebsrat tatsächlich selbst für die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben verantwortlich sein, müsste der Arbeitgeber auch die im Zusammenhang mit der Erfüllung dieser Pflichten entstehenden Kosten tragen. Zu denken wäre insofern an Schulungskosten und Kosten für externe Rechts-/IT-Beratung.
BAG, Beschluss vom 09.04.2019 – 1 ABR 51/17: Betriebsrat muss zumindest bei sensitiven Daten selbst Schutzmaßnahmen ergreifen
Vor diesem Hintergrund wäre es zu begrüßen, dass diese Streitfrage möglichst zeitnah geklärt wird.
Im Rahmen seines Beschlusses vom 09.04.2019 – 1 ABR 51/17 hat das Bundesarbeitsgericht indes die Frage, ob der Betriebsrat selbst Verantwortlicher im Sinne der DSGVO ist, ausdrücklich offen gelassen und lediglich klargestellt, dass der Betriebsrat jedenfalls selbst verpflichtet ist, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wenn er besondere personenbezogene Daten nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO bzw. § 26 Abs. 3 BDSG (sog. sensitive Daten, insbesondere Gesundheitsdaten) verarbeitet.
Praxistipp
Die Betriebsparteien müssen daher zunächst weiterhin mit dieser unklaren Rechtslage leben. Sie können jedoch selbst Abhilfe schaffen, indem sie im Rahmen einer Betriebsvereinbarung zum Beschäftigtendatenschutz bei der Betriebsratsarbeit verbindliche Regeln zur datenschutzrechtlichen Stellung des Betriebsrats und dessen Datenverarbeitung aufstellen. Art. 88 Abs. 1 DSGVO sieht nämlich vor, dass die Betriebsparteien durch Kollektivvereinbarungen spezifischere Vorschriften zur Gewährleistung des Datenschutzes im Beschäftigungskontext aufstellen können.
In einer solchen Betriebsvereinbarung kann beispielsweise vorgesehen werden, dass der Betriebsrat weiterhin Teil der verantwortlichen Stelle des Arbeitgebers ist und fortan der Kontrolle des betrieblichen Datenschutzbeauftragten unterliegt. Auch kann geregelt werden, dass der Betriebsrat berechtigt ist, die bestehenden Datenschutzstrukturen des Arbeitgebers mit zu nutzen.
Sollten Sie insofern Hilfe benötigen, stehen wir Ihnen jederzeit gerne mit Rat und Tat zur Seite.
Im Rahmen des Blogs werden wir Sie über die weitere Entwicklung in dieser Angelegenheit auf dem Laufenden halten.
Der Sachverhalt:
Der Beklagte wurde von der Klägerin zum 15.8.2016 als Verkehrspilot für das Flugzeug Muster B zu einem Bruttomonatsverdienst von 7.500 EUR eingestellt. Der Arbeitsvertrag vom 5.8.2016 wurde dazu unter der Bedingung geschlossen, dass der Arbeitnehmer eine gültige EASA-FCL-Lizenz samt „Type Rating“ und das dazu gehörige Tauglichkeitszeugnis (Klasse 1) vor Dienstantritt vorlegt (§ 2). In § 7 IV des Arbeitsvertrags hieß es u.a. außerdem: „Bei dauerhaftem Wegfall … der medizinischen Tauglichkeit wird ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses mit gegenseitiger Suspendierung von den Leistungspflichten vereinbart. Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses endet … durch Auflösung des Arbeitsverhältnisses.“
Am 5.8.2016 kam es auch noch zu einer getrennten „Fortbildungsvereinbarung“. Darin war festgehalten, dass der Arbeitnehmer fünf Tage an einer Fortbildungsmaßnahme zur Aufrechterhaltung der Musterberechtigung („Type Rating“) teilnimmt. Nach Ziff. 2.1 der Zusatzvereinbarung übernahm die Arbeitgeberin die Kosten, die sich auf insgesamt 21.818 US-Dollar beliefen. Ziff. 3 der Vereinbarung enthielt die Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Rückzahlung, falls er vor dem 28.2.2017 aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden sollte, falls „das Arbeitsverhältnis aus einem nicht von der Arbeitgeberin veranlassten, auch nicht mit veranlassten Grund, durch den Arbeitnehmer gekündigt wird.“ Nach Ziff. 3.2 vermindert sich der Rückzahlungsbetrag um 1/6 für jeden vollen Kalendermonat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses.
Der Beklagte nahm seine Tätigkeit am 15.8.2016 auf. Er absolvierte die Fortbildungsmaßnahme und die Klägerin bezahlte die angefallene Teilnahmegebühr. Mit Schreiben vom 29.1.2017 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis innerhalb der sechsmonatigen Probezeit zum 13.2.2017. Nach erfolgloser Geltendmachung hat die Klägerin mit ihrer am 31.5.2017 eingereichten Klage die Rückzahlung von 3.279,61 EUR (1/6 der angefallenen Fortbildungskosten) nebst Zinsen verlangt. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Die Entscheidung des BAG
Auch das Bundesarbeitsgericht folgt den Vorinstanzen: Die Regelung in Ziff. 3.1 der Fortbildungsvereinbarung – so der 9. Senat – benachteilige den Beklagten unangemessen i.S.v. § 307 I 1 BGB und sei daher unwirksam.
Die Fortbildungsvereinbarung knüpfe eine Rückzahlungspflicht des Arbeitnehmers alleine an eine von diesem erklärte Kündigung an. Nach § 307 I 1 BGB seien AGB-Bestimmungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligten. In Zusammenschau mit § 7 IV des Arbeitsvertrags sei die Rückzahlungsklausel zu weit gefasst. Die Klausel sehe eine Rückzahlungspflicht auch dann vor, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis unverschuldet kündige. (BAG, Urteil vom 11.12.2018 – 9 AZR 383/18)
Praxishinweis
Die Entscheidung steht in einer Reihe von Entscheidungen, die sehr hohe Anforderungen an wirksame Rückzahlungsklauseln bei vom Arbeitgeber finanzierter Fortbildung stellen. Um nicht Gefahr zu laufen, erhebliche Investitionen ohne Gegenleistung gemacht zu haben, ist Arbeitgebern dazu zu raten, sich vor Abschluss von Fortbildungsvereinbarung beraten zu lassen. Für den Arbeitnehmer kann sich bei unwirksamen Rückzahlungsvereinbarungen Arbeitgeberwechsel ohne das vermeintliche Risiko eine Rückzahlung von Fortbildungskosten ergeben.
Das BAG hat in einer Entscheidung vom 14.11.2018 5 AZR 301/17 noch einmal bestätigt, dass der Arbeitnehmer auch dann alleiniger Schuldner der Lohnsteuer bleibt, wenn der Arbeitgeber zu wenig Lohnsteuer einbehalten hat. Darüber hinaus wendet das BAG die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zur Fälligkeit von Ausgleichsansprüchen von Gesamtschuldnern nicht auf Fälle der durch das Steuerrecht begründeten Gesamtschuld an, sondern entwickelt einen eigenen Ansatz zur Fälligkeit.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung nachentrichteter Lohnsteuer gegen einen bis Ende Juni 2014 bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer. Auf Grund zu gering abgeführter Lohnsteuer erhielt der Arbeitgeber im März 2015 Haftungsbescheide seitens des Finanzamts. Die darin festgesetzten Beträge zahlte er Ende April und Anfang Mai an das Finanzamt und forderte mit Schreiben vom 3.6.2015 den Arbeitnehmer zur Erstattung der nachentrichteten Lohnsteuer auf. Auf das Arbeitsverhältnis fand der BRTV für das Baugewerbe Anwendung, welcher eine Ausschlussfrist enthielt, wonach Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, sofern sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Der Zahlungsaufforderung des Arbeitgebers kam der Arbeitnehmer mit Verweis auf die Ausschlussfrist und einer möglichen Verjährung nicht nach, woraufhin der Arbeitgeber Klage erhob. Das ArbG hat die Klage abgewiesen, wohingegen das LAG den Beklagten zur Zahlung der nachentrichteten Lohnsteuer verurteilte.
Hintergrund
Schuldner der Lohnsteuer ist der Arbeitnehmer. Nach § 38 Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 EStG hat der Arbeitgeber die Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und abzuführen. Der Arbeitgeber haftet zwar für die Lohnsteuer. Soweit diese Haftung reicht, sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer jedoch Gesamtschuldner. Diesen können gegeneinander, im sogenannten „Innenverhältnis“, Ausgleichsansprüche zustehen. Grundsätzlich gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der Verjährung von Ausgleichsansprüchen in einer zivilrechtlich begründeten Gesamtschuld, dass die Frist mit dem Entstehen der Gesamtschuld zu laufen beginnt. Im Fall der Lohnsteuerabführung wäre dies also im jeweiligen Gehaltsmonat.
Entscheidung:
Der Arbeitgeber hat einen Erstattungsanspruch gegen den Arbeitnehmer in Höhe der nachentrichteten Lohnsteuer. Der Arbeitnehmer bleibt auch dann alleiniger Schuldner der Lohnsteuer, wenn der Arbeitgeber zu wenig Steuern einbehält und diese dann nachzahlen muss, es sei denn ein eindeutiger Parteiwille lässt Gegenteiles erkennen. Damit bestätigt das BAG seine bisherige Rechtsprechung.
Dem Anspruch steht auch nicht die tarifvertragliche Ausschlussfrist entgegen, welche mit Fälligkeit des Anspruchs zu laufen beginnt.
Der Erstattungsanspruch wird nach dieser Entscheidung erst nach der tatsächlichen Erfüllung der Lohnsteuerforderung gegenüber dem Finanzamt fällig und nicht bereits mit Entstehung der Steuerschuld als Gesamtschuld.
Die Anwendung der vom BGH aufgestellten Grundsätze würde nach Auffassung des BAG jedoch im Falle der Lohnsteuerschuld zu einer regelmäßigen Verschiebung der Lohnsteuerlast auf den Arbeitgeber führen, da selbst die Erteilung einer Auskunft durch das Finanzamt meist einen längeren Zeitraum beanspruche als etwaige Verfallfristen. Bei der Lohnsteuer beruhe die Gesamtschuld – anders als in den vom BGH entschiedenen Fällen – nicht auf zivilrechtlicher, sondern auf öffentlich-rechtlichen Grundlage. Anders als im Zivilrecht hingen hierbei die Fälligkeit und der Verfall eines Anspruchs nicht vom Verhalten des ausgleichberechtigten Arbeitgebers ab, sondern würden durch die Inanspruchnahme vonseiten des Finanzamts bestimmt. Für den Eintritt der Fälligkeit müsse aber der Gläubiger, also der Arbeitgeber, den Zahlungsanspruch der Höhe nach beziffern können. Dies sei aber erst mit Bestandskraft der Haftungsbescheide möglich. Folglich werde der Ausgleichsanspruch auch erst zu diesem Zeitpunkt fällig.
Zwischen Zahlung an das Finanzamt und Geltendmachung des Erstattungsanspruchs sind vorliegend keine zwei Monate vergangen, weshalb dieser nicht verfallen sei.
Praxishinweis:
Es ist zu begrüßen, dass das BAG hier eigene Ansätze zur Fälligkeit des Erstattungsanspruchs entwickelt hat. Bei Anwendung der Rechtsprechung des BGH wäre es in der Tat zu der bizarren Folge gekommen, dass wegen der kurzen Verfallfristen im Arbeitsrecht faktisch der Arbeitgeber allein die Lohnsteuer tragen müsste und keine Aussichten auf Korrektur etwaiger Fehler hätte.
Mit einer aktuellen Entscheidung vom 19.02.2019 (Az. 9 AZR 541/15) hat das Bundesarbeitsgericht die Vorgaben des EuGH zum Urlaubsrecht (EuGH Urteil vom 06.11.2018, Aktenzeichen C – 684/16) umgesetzt. Demnach erlischt der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
Sachverhalt:
Der Beklagte beschäftigte den Kläger vom 1. August 2001 bis zum 31. Dezember 2013 als Wissenschaftler. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte der Kläger ohne Erfolg, den von ihm nicht genommenen Urlaub im Umfang von 51 Arbeitstagen aus den Jahren 2012 und 2013 mit einem Bruttobetrag iHv. 11.979,26 Euro abzugelten. Einen Antrag auf Gewährung dieses Urlaubs hatte er während des Arbeitsverhältnisses nicht gestellt.
Entscheidung des BAG:
Das BAG hat die Sache zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes an das LAG München zurückverwiesen. Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG sei es dem Arbeitgeber vorbehalten, die zeitliche Lage des Urlaubs unter Berücksichtigung der Urlaubswünsche des Arbeitnehmers festzulegen. Diese Vorschrift zwingt den Arbeitgeber zwar nicht, dem Arbeitnehmer von sich aus Urlaub zu gewähren. Allerdings obliege ihm unter Beachtung von Art. 7 Abs. 1 der EU-Arbeitszeitrichtlinie die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Danach sei der Arbeitgeber gehalten, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – aufgefordert, dies zu tun. Der Arbeitgeber habe klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums verfallen wird, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nimmt. Kommt der Arbeitgeber diesen Verpflichtungen nicht nach, tritt der Verfall von Urlaub in der Regel nicht ein.
Praxishinweis:
Arbeitgeber werden in der Zukunft nachweisen müssen, dass sie die vom BAG aufgestellten Anforderungen eingehalten haben, wenn sie sich auf einen automatischen Verfall von Urlaubsansprüchen berufen wollen. Ein entsprechender Nachweis sollte zumindest in Textform, also per E-Mail, erfolgen. Die Ausweisung von Resturlaubstagen in der Lohnabrechnung dürfte nicht ausreichen. Zudem wird diese Aufforderung so rechtzeitig erfolgen müssen, dass der Urlaub noch tatsächlich genommen werden muss. Offen ist aber noch, ob eine allgemeine Aufforderung z.B. am „Schwarzen Brett“ ausreicht oder ob eine jeweils individuelle Aufforderung erfolgen muss.
Wir empfehlen daher zukünftig, nach dem Ende der Sommerferien einen Zwischenstand der Resturlaubsansprüche aller Arbeitnehmer zu erheben, um dann die Mitarbeiter, die noch über einen Resturlaubsanspruch verfügen, jeweils individuell per E-Mail dazu aufzufordern, den Urlaub noch im laufenden Jahr zu nehmen, da dieser ansonsten mit Ablauf des Kalenderjahres verfällt. Gerne sind wir Ihnen bei der Formulierung behilflich.
Noch offen ist die Frage, ob ein Vertrauensschutz für die Vergangenheit gewährt werden wird. Es deutet aber einiges darauf hin, dass jedenfalls vermeintlich verfallene Ansprüche aus dem Jahr 2018 bereits von dieser Rechtsprechungsänderung betroffen sein können. Denn die Voraussetzungen sind seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 06.11.2018 bekannt. Diese Frage wird allerdings erst in zukünftigen Auseinandersetzungen gerichtlich geklärt werden. Es bleibt also spannend.
Die Entscheidung liegt bislang nur als Pressemitteilung vor: https://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2019&nr=21968&pos=2&anz=11&titel=Verfall_von_Urlaubsanspr%FCchen_-_Obliegenheiten_des_Arbeitgebers