Nicht selten ist zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer streitig, wo das Anlegen von Arbeitskleidung und ggf. Rüsten von Arbeitsmitteln stattfindet und ob es sich dabei um vergütungspflichtige Arbeitszeit handelt. Erneut musste sich das BAG mit einer derartigen Fragestellung auseinandersetzen.
Sachverhalt:
Die beiden Kläger, die als angestellte Wachpolizisten im Zentralen Objektschutz tätig sind, fordern die Feststellung der Vergütungspflicht von Umkleide-, Rüst- und damit in Zusammenhang stehenden Wegezeiten. Auf Weisung des beklagten Landes müssen die Wachpolizisten ihren Dienst in angelegter Uniform mit dem Aufdruck Polizei sowie mit den persönlichen Ausrüstungsgegenständen und streifenfertiger Dienstwaffe antreten. Es ist ihnen freigestellt, ob sie den Weg zur und von der Arbeit in Uniform zurücklegen und ob sie das in einer Dienststelle zur Verfügung gestellte Waffenschließfach nutzen. Sie haben die Möglichkeit, die Zurverfügungstellung eines Spinds zu beantragen.
Einer der Kläger bewahrt die Dienstwaffe bei sich zu Hause auf und nimmt dort auch das Umkleiden und Rüsten vor. Der andere Kläger nutzt das dienstliche Waffenschließfach, was beim Zurücklegen des Wegs von seiner Wohnung zum Einsatzort und zurück einen Umweg bedingt. Das Landesarbeitsgericht hatte den Klagen zum Teil stattgegeben und Vergütung für die Umkleidezeiten zugesprochen. Die auf vollständige Vergütung der Wegezeiten gerichteten Klagen wurden dagegen im Wesentlichen abgewiesen. Nur soweit der eine Kläger einen Umweg zurückzulegen hatte, stellte das LAG die Vergütungspflicht fest.
Entscheidung des BAG:
Die Revisionen der Kläger hatten vor dem BAG keinen, die Revisionen des beklagen Landes nur zum Teil Erfolg. Das Umkleiden und Rüsten mit einer besonders auffälligen Dienstkleidung, persönlichen Schutzausrüstung und Dienstwaffe ist nach Ansicht des BAG keine zu vergütende Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer eine dienstlich zur Verfügung gestellte Umkleide- und Aufbewahrungsmöglichkeit nicht nutzt, sondern für die Verrichtung dieser Tätigkeiten seinen privaten Wohnbereich wählt. Ebenfalls nicht vergütungspflichtig sei die für das Zurücklegen des Wegs zur Arbeit von der Wohnung zum Einsatzort und zurück aufgewandte Zeit, denn der Arbeitsweg zähle zur privaten Lebensführung. Dagegen sei die für einen Umweg zum Aufsuchen des dienstlichen Waffenschließfachs erforderliche Zeit zu vergüten. Dabei handele es sich um eine fremdnützige Zusammenhangstätigkeit. Der vom LAG geschätzte zeitliche Aufwand hierfür sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Praxishinweis:
Das BAG entwickelt seine ständige Rechtsprechung zur Vergütung von Umkleide- und Rüstzeiten konsequent fort. Die gesetzliche Vergütungspflicht des Arbeitgebers knüpft nach §§ 611 Abs. 1, 611a Abs. 2 BGB an die Leistung der versprochenen Dienste an. Zu den „versprochenen Diensten“ zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit unmittelbar zusammenhängt. Der Arbeitgeber verspricht die Vergütung für alle Dienste, die er aufgrund seines Weisungsrechts abverlangt. „Arbeit“ als Leistung der versprochenen Dienste ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient.
Für Umkleidezeiten bedeutet dies, dass das An- und Ablegen einer Dienstkleidung als Arbeitszeit zu werten ist, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt und das Umkleiden im Betrieb erfolgen muss. Das Ankleiden mit vorgeschriebener Dienstkleidung ist aber nicht lediglich fremdnützig und damit nicht Arbeitszeit, wenn sie zu Hause angelegt und – ohne besonders auffällig zu sein – auch auf dem Weg zur Arbeitsstätte getragen werden kann. Das alles kann aber nicht gelten, wenn der Arbeitnehmer eine dienstlich zur Verfügung gestellte Umkleide- und Aufbewahrungsmöglichkeit nicht nutzt, sondern dazu seinen privaten Wohnbereich wählt. Dann ist auch die für das Zurücklegen des Wegs zur Arbeit von der Wohnung zum Einsatzort und zurück aufgewandte Zeit nicht vergütungspflichtig, denn der Arbeitsweg zählt zur privaten Lebensführung. Konsequent ist es aber, den Arbeitgeber zu verpflichten, dem Arbeitnehmer die für einen Umweg zum Aufsuchen des dienstlichen Waffenschließfachs erforderliche Zeit zu vergüten. Dabei handelt es sich dann um eine fremdnützige Zusammenhangstätigkeit.
Nach Ansicht des Generalanwalts beim EuGH sollen Arbeitgeber aus Gründen des Unionsrechts verpflichtet sein, die tägliche Arbeitszeit aller Arbeitnehmer zu dokumentieren.
Hintergrund
Wie lange dürfen Arbeitnehmer täglich arbeiten? Welche Ruhezeit ist nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit einzuhalten? Wann und wie lange müssen Ruhepausen gemacht werden? Diese und weitere Fragen bzgl. der Arbeitszeit werden in der sog. Arbeitszeitrichtlinie (2003/88)EG) geregelt. Mit Erlass dieser europaweit einheitlichen Mindestvorgaben bezweckte die EU, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeitszeitgestaltung zu gewährleisten.
Der deutsche Gesetzgeber hat diese europäischen Vorgaben (unter anderem) im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) umgesetzt.
Eine generelle Pflicht zur Erfassung der täglichen Arbeitszeiten der Arbeitnehmer sieht das Arbeitszeitgesetz nicht vor. Nach § 16 Abs. 2 ArbZG ist der Arbeitgeber lediglich verpflichtet, die über 8 Stunden hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer sowie eine etwaige Arbeitszeit an Sonn- und Feiertage zu dokumentieren. Lediglich die Arbeitszeit von Kraftfahrern ist generell, d.h. von der ersten Stunde an, aufzuzeichnen, § 21a Abs. 7 ArbZG. Dies gilt nach § 17 Abs. 1 Mindestlohngesetz (MiLoG) auch für die Arbeitszeiten von geringfügigen Beschäftigten außerhalb von Privathaushalten (sog. Minijobbern) und Arbeitnehmern in Branchen, die in den Anwendungsbereich des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz fallen (z.B. Baugewerbe, Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, Personenbeförderungsgewerbe, Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, Gebäudereinigungsgewerbe, Fleischwirtschaft). Die Arbeitszeitaufzeichnungen sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Bei einem Verstoß gegen diese Dokumentations- und Aufbewahrungspflicht droht ein Bußgeld bis zu 15.000 EUR bzw. 30.000 EUR.
Abgesehen von diesen Sonderregeln sind Unternehmen nach geltender Rechtslage nicht verpflichtet, die werktägliche Arbeitszeiten ihrer sozialversicherungspflichtigen Mitarbeiter generell zu dokumentieren. Ob dies auch zukünftig der Fall sein wird, erscheint aufgrund eines Schlussantrags des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof fraglich.
Beim EuGH anhängige Rechtssache C-55/18
Mit dem beim Europäischen Gerichtshof aufgrund eines Vorabentscheidungsverfahren anhängigen Rechtsstreit wollen spanische Gewerkschaften gegenüber einer Deutschen Bank Tochter durchsetzen, dass ein System zur Erfassung der von den Arbeitnehmern geleisteten täglichen effektiven Arbeitszeit eingeführt wird.
Im Rahmen dieses Rechtsstreits hat am 31.01.2019 der Generalanwalt seinen sog. Schlussantrag veröffentlicht. Hierbei handelt es sich um eine Art Rechtsgutachten und Entscheidungsvorschlag für die zuständigen Richter. Der Generalanwalt kommt hierbei zu dem Ergebnis, dass Unternehmen aufgrund der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) verpflichtet seien, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit für Vollzeitarbeitnehmer einzuführen, die sich nicht ausdrücklich individuell oder kollektiv zur Ableistung von Überstunden verpflichtet hätten und die keine mobilen Arbeitnehmer, Arbeitnehmer in der Handelsmarine oder Arbeitnehmer im Eisenbahnsektor seien. Jedoch stehe es den Mitgliedsstaaten frei, auf welche Art und Weise sie eine Verpflichtung zur Erhebung der effektiven täglichen Arbeitszeit vorsehen.
Zur Begründung verweist der Generalanwalt darauf, dass nur durch eine Verpflichtung der Arbeitgeber zur umfassenden Arbeitszeiterfassung gewährleistet sei, dass die unionsrechtlichen Arbeitszeitvorgaben eingehalten und auch überprüft werden können. Ohne umfassende Arbeitszeitdokumentationen könnten weder das Ausmaß tatsächlich geleisteter Arbeit und die Lage der Arbeitszeiten objektiv und sicher festgestellt werden noch zwischen Regelarbeitszeit und Überstunden unterschieden werden. Die Kontrolle der Arbeitszeitvorgaben durch die zuständigen Behörden sowie der Rechtsschutz des einzelnen Arbeitnehmers wären daher ohne Arbeitszeitaufzeichnungen wesentlich erschwert.
Praxishinweis
Die Richter des Europäischen Gerichtshofs sind bei ihrer Entscheidungsfindung nicht an die Schlussanträge des Generalanwalts gebunden. Allerdings folgt das Gericht den Entscheidungsvorschlägen häufig. In diesem Fall wäre der deutsche Gesetzgeber zum Handeln verpflichtet. Denn das deutsche ArbZG wird den vom Generalanwalt aufgestellten Anforderungen nicht gerecht. Es sieht (bisher) keine generelle Pflicht zur umfassenden Arbeitszeiterfassung, also von der ersten Stunde an, vor.
Doch auch auf die Unternehmen kämen erhebliche Arbeiten zu. Umfassende Arbeitszeiterfassungssysteme müssten eingeführt bzw. vorhandene Systeme um eine Komponente erweitert werden, durch welche die arbeitsschutzrechtliche Arbeitszeit dokumentiert wird. Sofern die Arbeitszeitaufzeichnungen elektronisch erfolgen sollen, wäre hierbei ein etwaig bestehender Betriebsrat zu beteiligen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG).
Mithilfe dieser umfassenden Arbeitszeitaufzeichnungen des Arbeitgebers könnte der einzelne Arbeitnehmer zukünftig eine Überstundenvergütung wesentlich einfacher durchsetzen, denn er hätte einen Beleg für seine geleisteten Arbeitszeiten. Sollte der Arbeitgeber keine Arbeitszeitaufzeichnungen vornehmen, würde dies wohl im Rahmen eines Überstundenprozesses zu einer Beweislastumkehr bzw. Beweiserleichterung zugunsten des Arbeitnehmers führen.
Wie der Europäische Gerichtshof letztlich entscheidet, werden Sie auch im Rahmen des Blogs erfahren. Wir halten Sie auf dem Laufenden!