Zum dritten Mal in Folge wurde unsere Kanzlei vom Wochenmagazin „Stern“ als eine der besten Kanzleien für Privatmandanten im Arbeitsrecht in Deutschland ausgezeichnet.
Wir fühlen uns sehr geehrt, bedanken uns für die zahlreichen Empfehlungen und sind auch ein bisschen stolz, dass wir unser Beratungsniveau und die Zufriedenheit mit unserer Arbeit halten und steigern konnten.
Eine der Besonderheiten und Herausforderungen des Arbeitsrechts ist, dass kein einheitliches Arbeitsgesetzbuch existiert; das Arbeitsrecht ist vielmehr geprägt durch eine für den juristischen Laien schier unüberblickbaren Vielzahl von Einzelgesetzen. Erschwerend kommt in diesem Zusammenhang dazu, dass viele Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien von dem Erreichen bestimmer Schwellenwerte abhängig sind, die nicht in sich stimmig sind, sondern stattdessen eher einem systemlosen Flickenteppich gleichen.
Im Folgenden haben wir Ihnen daher einen Überblick über die wichtigsten Schwellenwerte im Arbeitsrecht erstellt, der Ihnen als erste Orientierungshilfe dienen soll.
Bitte beachten Sie, dass die Schwellenwerte nicht immer gleich berechnet werden. Meistens stellen die Regelungen auf „in der Regel beschäftigte Arbeitnehmer“ ab, d.h. es ist die durchschnittliche Belegschaftsstärke entscheidend. Zum Teil kommt es jedoch auch auf eine Stichtagsberechnung an. In manchen Gesetzen werden Arbeitnehmer pro Kopf berechnet, wohingegen andere Gesetze Teilzeitkräfte nur anteilig mitzählen. Ob Auszubildende, Fremdgeschäftsführer und andere besondere Arbeitnehmergruppen mitzuzählen sind, wird ebenso uneinheitlich beantwortet. Zuletzt hat sogar der Betriebsbegriff in verschiedenen Gesetzen einen unterschiedlichen Bedeutungsgehalt. Sie sehen, dass der nachfolgende Überblick keine qualifizierte Rechtsberatung im Einzelfall ersetzen kann.
Anzahl Mitarbeiter | abgestellt wird auf | Arbeitsrechtliche Konsequenz | Gesetzliche Vorschrift |
1 | Betrieb | Abhängig von den Anforderungen der zuständigen Berufgenossenschaft kann Bestellung eines Betriebsarztes oder einer FAchkraft für Arbeitssicherheit erforderlich sein | §§ 2 ff. ASiG |
2 | Betrieb | Bestellung eines Ersthelfers | § 26 DGUV 1 |
5 | Betrieb / Dienststelle | Wahl eines Betriebsrats / Personalrats ist möglich Größe Betriebsrat ist von Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer abhängig (§ 9 BetrVG) | § 1 BetrVG, Art. 12 Abs. 1 BayPVG |
5 schwerbehinderte / gleichgestellte Menschen | Betrieb | Wahl einer Schwerbehindertenvertretung ist möglich | § 177 SGB IX |
5 minderjährige Arbeitnehmer oder Auszubildende unter 25 Jahren | Betrieb | Wahl einer Jugend- und Auszubildendenvertretung ist möglich | § 60 BetrVG |
mehr als 5; besondere Zählweise: (siehe nächste Spalte) | Betrieb | Kündigungsschutz für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor dem 01.01.2004 begonnen hat | § 23 Abs. 1 KSchG |
mehr als 10; besondere Zählweise: 0-20 Wochenstunden: 0,5 20,01-30 Wochenstunden: 0,75 ab 30,01 Wochenstunden: 1; Minijobber, mitarbeitender Ehepartner, gekündigter Arbeitnehmer zählen mit; Azubis, Arbeitgeber und Vertretungsorgane zählen nicht mit | Betrieb | Kündigungsschutz: Nach sechsmonatigen Bestehen eines Arbeitsverhältnisses ist eine ordentliche Kündigung nur noch aus verhaltens-, personenbedingten oder betriebsbedingten Kündigung möglich | § 23 Abs. 1 KSchG |
10 leitende Angestellte | Betrieb | Bildung eines Sprecherausschusses ist möglich | § 1 SprAuG |
11 | Arbeitsstätte | Einrichtung eines Pausenraums | 4.1 ASR A 4.2 |
mehr als 15 | Unternehmen | Anspruch auf Pflegezeit | § 3 PflegeZG |
mehr als 15 | Unternehmen | Anspruch auf unbefristete Teilzeit | § 8 TzBfG |
mehr als 15 | Unternehmen | Anspruch auf befristete Teilzeit während Elternzeit | § 15 Abs. 7 BEEG |
20, soweit sie personenbezogener Daten automatisiert verarbeiten (=Bildschirmarbeitsplätze) | Unternehmen | Bestellung eines Datenschutzbeauftragten | § 38 BDSG |
20 besondere Zählweise: Es zählen nur Mitarbeiter mit mehr als 18 Wochenstunden | Unternehmen | Beschäftigungspflicht schwerbehinderter Menschen, ggf. Ausgleichsabgabe | § 154 SGB IX |
20 | Unternehmen | Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten | § 22 SGB VII |
mehr als 20 Zählweise wie bei § 23 KSchG | Betrieb | Bildung eines Arbeitsschutzausschusses | § 11 ASiG |
mehr als 20 | Betrieb | Mitbestimmung des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen | § 99 BetrVG |
mehr als 20 | Betrieb | Mitbestimmung des Betriebsrats bei Betriebsänderungen (Interessenausgleich und Sozialplan) | §§ 111, 112 BetrVG |
mehr als 20 (Fremdgeschäftsführer zählen mit) | Betrieb | Pflicht zu Erstattung einer Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit bei Entlassung von mehr als 5 Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen in Betrieben mit mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmer | § 17 KSchG |
mehr als 25 | Unternehmen | Anspruch auf Familienpflegezeit | § 2 Abs. 1 FPlZG |
bis maximal 30; besondere Zählweise: bis 10 Wochenstunden: 0,25 bis 20 Wochenstunden: 0,5 bis 30 Wochenstunden: 0,75 ab 30,01 Wochenstunden: 1 | Unternehmen | Anspruch des Arbeitgebers auf teilweise Erstattung der Lohnfortzahlungskosten; ab 31 Arbeitnehmer (-) | § 1 AAG |
mehr als 45 | Unternehmen | Anspruch auf Brückenteilzeit (=befristete Teilzeit für 1-5 Jahre); prozentuale Zumutbarkeitsgrenze für Arbeitgber mit 46 bis 200 Arbeitnehmer | § 9a TzBfG |
bis 50 | Unternehmen | Erlaubnisfreie Arbeitnehmerüberlassung zur Vermeidung von Kurzarbeit oder Entlassung bis zu 12 Monate (vorherige Anzeige bei Agentur für Arbeit erforderlich) | § 1a AÜG |
60 | Betrieb | Pflicht zur Erstattung einer Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit in Betrieben mit mehr als 60 bis 500 Arbeitnehmern bei Entlassung von 10 % oder mehr als 25 Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen | § 17 KSchG |
mehr als 100 | Betrieb | Betriebsrat kann Betriebsausschüsse und Arbeitsgruppen bilden | §§ 28, 29 BetrVG |
mehr als 100 | Unternehmen | Pflicht zur Bildung eines Wirtschaftsausschusses, wenn Betriebsrat besteht | § 106 BetrVG |
200 | Betrieb | Freistellung eines Betriebsratsmitglieds | § 38 BetrVG |
201 | Betrieb | Betriebsrat bildet Betriebsausschuss zur Führung der laufenden Geschäfte | § 27 BetrVG |
300 | Unternehmen | Betriebsrat kann bei Betriebsänderungen einen Berater hinzuziehen | § 111 BetrVG |
ab 500 | Betrieb | Pflicht zur Erstattung einer Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit bei Entlassung von mindestens Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen | § 17 KSchG |
mehr als 500 | Betrieb | Betriebsrat kann die Aufstellung von Personalauswahl-Richtlinien | § 95 BetrVG |
mehr als 500 | Unternehmen | 1/3 des Aufsichtsrates (KGaA, AG, GmbH, Gen) ist mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen | § 1 DrittelbG |
mehr als 500 | Unternehmen | Bericht zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit, Aufforderung zu betrieblichen Prüfverfahren zur Einhaltung der Entgeltgleichheit | §§ 17-22 EntgeltTranspG |
mehr als 1000 | Unternehmen | Gründung eines Europäischen Betriebsrats ist möglich | § 3 EBRG |
mehr als 2000 | Unternehmen | Aufsichtsrat (KGaA, AG, GmbH, Gen) ist zur Hälfe mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen | § , 7 MitbestG |
Leiharbeitnehmer sind dann bei den vorgenannten Schwellenwere mitzuzählen, wenn diese „in der Regel“ im Unternehmen/Betrieb beschäftigt sind (vgl. § 14 Abs. 2 S. 5, 6 AÜG: zeitliche Grenze von 6 Monaten). Mit anderen Worten: Wenn ein Dauerarbeitsplatz mit einem Leiharbeitnehmer besetzt ist, zählt dieser zur Belegschaftsstärke. Dies gilt insbesondere auch bei der Frage, ob das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet.
Nach Ansicht des Generalanwalts beim EuGH sollen Arbeitgeber aus Gründen des Unionsrechts verpflichtet sein, die tägliche Arbeitszeit aller Arbeitnehmer zu dokumentieren.
Hintergrund
Wie lange dürfen Arbeitnehmer täglich arbeiten? Welche Ruhezeit ist nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit einzuhalten? Wann und wie lange müssen Ruhepausen gemacht werden? Diese und weitere Fragen bzgl. der Arbeitszeit werden in der sog. Arbeitszeitrichtlinie (2003/88)EG) geregelt. Mit Erlass dieser europaweit einheitlichen Mindestvorgaben bezweckte die EU, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeitszeitgestaltung zu gewährleisten.
Der deutsche Gesetzgeber hat diese europäischen Vorgaben (unter anderem) im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) umgesetzt.
Eine generelle Pflicht zur Erfassung der täglichen Arbeitszeiten der Arbeitnehmer sieht das Arbeitszeitgesetz nicht vor. Nach § 16 Abs. 2 ArbZG ist der Arbeitgeber lediglich verpflichtet, die über 8 Stunden hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer sowie eine etwaige Arbeitszeit an Sonn- und Feiertage zu dokumentieren. Lediglich die Arbeitszeit von Kraftfahrern ist generell, d.h. von der ersten Stunde an, aufzuzeichnen, § 21a Abs. 7 ArbZG. Dies gilt nach § 17 Abs. 1 Mindestlohngesetz (MiLoG) auch für die Arbeitszeiten von geringfügigen Beschäftigten außerhalb von Privathaushalten (sog. Minijobbern) und Arbeitnehmern in Branchen, die in den Anwendungsbereich des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz fallen (z.B. Baugewerbe, Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, Personenbeförderungsgewerbe, Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, Gebäudereinigungsgewerbe, Fleischwirtschaft). Die Arbeitszeitaufzeichnungen sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Bei einem Verstoß gegen diese Dokumentations- und Aufbewahrungspflicht droht ein Bußgeld bis zu 15.000 EUR bzw. 30.000 EUR.
Abgesehen von diesen Sonderregeln sind Unternehmen nach geltender Rechtslage nicht verpflichtet, die werktägliche Arbeitszeiten ihrer sozialversicherungspflichtigen Mitarbeiter generell zu dokumentieren. Ob dies auch zukünftig der Fall sein wird, erscheint aufgrund eines Schlussantrags des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof fraglich.
Beim EuGH anhängige Rechtssache C-55/18
Mit dem beim Europäischen Gerichtshof aufgrund eines Vorabentscheidungsverfahren anhängigen Rechtsstreit wollen spanische Gewerkschaften gegenüber einer Deutschen Bank Tochter durchsetzen, dass ein System zur Erfassung der von den Arbeitnehmern geleisteten täglichen effektiven Arbeitszeit eingeführt wird.
Im Rahmen dieses Rechtsstreits hat am 31.01.2019 der Generalanwalt seinen sog. Schlussantrag veröffentlicht. Hierbei handelt es sich um eine Art Rechtsgutachten und Entscheidungsvorschlag für die zuständigen Richter. Der Generalanwalt kommt hierbei zu dem Ergebnis, dass Unternehmen aufgrund der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) verpflichtet seien, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit für Vollzeitarbeitnehmer einzuführen, die sich nicht ausdrücklich individuell oder kollektiv zur Ableistung von Überstunden verpflichtet hätten und die keine mobilen Arbeitnehmer, Arbeitnehmer in der Handelsmarine oder Arbeitnehmer im Eisenbahnsektor seien. Jedoch stehe es den Mitgliedsstaaten frei, auf welche Art und Weise sie eine Verpflichtung zur Erhebung der effektiven täglichen Arbeitszeit vorsehen.
Zur Begründung verweist der Generalanwalt darauf, dass nur durch eine Verpflichtung der Arbeitgeber zur umfassenden Arbeitszeiterfassung gewährleistet sei, dass die unionsrechtlichen Arbeitszeitvorgaben eingehalten und auch überprüft werden können. Ohne umfassende Arbeitszeitdokumentationen könnten weder das Ausmaß tatsächlich geleisteter Arbeit und die Lage der Arbeitszeiten objektiv und sicher festgestellt werden noch zwischen Regelarbeitszeit und Überstunden unterschieden werden. Die Kontrolle der Arbeitszeitvorgaben durch die zuständigen Behörden sowie der Rechtsschutz des einzelnen Arbeitnehmers wären daher ohne Arbeitszeitaufzeichnungen wesentlich erschwert.
Praxishinweis
Die Richter des Europäischen Gerichtshofs sind bei ihrer Entscheidungsfindung nicht an die Schlussanträge des Generalanwalts gebunden. Allerdings folgt das Gericht den Entscheidungsvorschlägen häufig. In diesem Fall wäre der deutsche Gesetzgeber zum Handeln verpflichtet. Denn das deutsche ArbZG wird den vom Generalanwalt aufgestellten Anforderungen nicht gerecht. Es sieht (bisher) keine generelle Pflicht zur umfassenden Arbeitszeiterfassung, also von der ersten Stunde an, vor.
Doch auch auf die Unternehmen kämen erhebliche Arbeiten zu. Umfassende Arbeitszeiterfassungssysteme müssten eingeführt bzw. vorhandene Systeme um eine Komponente erweitert werden, durch welche die arbeitsschutzrechtliche Arbeitszeit dokumentiert wird. Sofern die Arbeitszeitaufzeichnungen elektronisch erfolgen sollen, wäre hierbei ein etwaig bestehender Betriebsrat zu beteiligen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG).
Mithilfe dieser umfassenden Arbeitszeitaufzeichnungen des Arbeitgebers könnte der einzelne Arbeitnehmer zukünftig eine Überstundenvergütung wesentlich einfacher durchsetzen, denn er hätte einen Beleg für seine geleisteten Arbeitszeiten. Sollte der Arbeitgeber keine Arbeitszeitaufzeichnungen vornehmen, würde dies wohl im Rahmen eines Überstundenprozesses zu einer Beweislastumkehr bzw. Beweiserleichterung zugunsten des Arbeitnehmers führen.
Wie der Europäische Gerichtshof letztlich entscheidet, werden Sie auch im Rahmen des Blogs erfahren. Wir halten Sie auf dem Laufenden!