Hintergrund

Infolge des enormen Fachkräftemangels in der Pflegebranche hatten in der Vergangenheit zahlreiche stationäre Pflegeeinrichtungen zur Deckung des Personalbedarfs auf selbstständige Pflegekräfte (Freiberufler / Honorarkräfte) zurückgegriffen. Nach Aussage mancher Pflegeheimbetreiber wäre andernfalls die Versorgung der Bewohner nicht mehr sichergestellt gewesen.

Pflegekräfte, die auf Honorarbasis tätig werden, sind häufig für eine Vielzahl von Auftraggebern, zeitlich auf Tage oder wenige Wochen befristet auf Basis individuell vereinbarter Einsätze und Dienste tätig. Oft werden sie über Agenturen vermittelt und arbeiten für einen vorher festgelegten Stundensatz, der üblicherweise deutlich über dem Arbeitsentgelt einer vergleichbar eingesetzten angestellten Pflegefachkraft liegt.

Die vom Bundessozialgericht entschiedenen Verfahren betreffen Tätigkeiten staatlich anerkannter Altenpfleger im Bereich der stationären Pflege in zur Versorgung durch die Pflegekassen zugelassenen Pflegeheimen, die sowohl im Tag-, als auch im Nacht- oder Wochenenddienst ausgeübt wurden.

Im Rahmen von Statusfeststellungs- bzw. Betriebsprüfungsverfahren hatte die Deutsche Rentenversicherung Bund Sozialversicherungspflicht angenommen, weil die Pflegekräfte in den Betrieb der Pflegeheime eingegliedert und weisungsgebunden gewesen seien. Zudem hätten die Pflegekräfte kein unternehmerisches Risiko zu tragen. Die dagegen gerichteten Klagen sind erfolglos geblieben.

Sachverhalt des Leitfalles

Eine nach dem SGB XI zugelassene Pflegeeinrichtung setzte wegen Personalmangels über einen längeren Zeitraum Honorarpflegekräfte ein. Aufgrund deren vermeintlichen Selbständigkeit führte das Heim keine Sozialversicherungsbeiträge für sie ab, sondern bezahlte lediglich jeweils die von den Honorarpflegekräften in Rechnung gestellten Leistungen. Im konkreten Fall hatte sich der auf Honorarbasis eingesetzte Pfleger (staatlich anerkannter Altenpfleger und Fachkraft für Leitungsaufgaben in der Pflege) bewusst für eine selbstständige/freiberufliche Tätigkeit entschieden, um seine Arbeitszeit frei bestimmen zu können und sich finanziell zu verbessern. Er arbeitete wochenweise in der betroffenen Einrichtung. Er trug hierbei seine eigene Berufskleidung sowie ein eigenes Namensschild. Außerdem füllte er seinen pflegerischen Verantwortungsbereich im Wesentlichen selbständig aus. Sein Honorar betrug zwischen 29 und 32,20 Euro und war damit etwa zweieinhalb Mal höher als die Vergütung angestellter Pflegekräfte.

Einen die Sozialversicherungspflicht eines Honorarpflegers bestätigenden Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund griff die Einrichtung schließlich an und zog durch alle Instanzen.

Entscheidung des BSG

Auch das Bundessozialgericht (Urteil vom 07.06.2019 – B 12 R 6/18 R) stellte fest, dass die Honorarpflegekraft gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV abhängig beschäftigt gewesen ist und daher der Sozialversicherungspflicht unterlag.

Zwar haben weder der Versorgungsauftrag einer stationären Pflegeeinrichtung noch die Regelungen über die Erbringung stationärer Pflegeleistungen nach dem SGB XI oder das Heimrecht des jeweiligen Landes eine zwingende übergeordnete Wirkung hinsichtlich des sozialversicherungsrechtlichen Status von in stationären Einrichtungen tätigen Pflegefachkräften. Regulatorische Vorgaben sind jedoch bei der Gewichtung der Indizien zur Beurteilung der Versicherungspflicht zu berücksichtigen. Sie führen im Regelfall zur Annahme einer Eingliederung der Pflegefachkräfte in die Organisations- und Weisungsstruktur der stationären Pflegeeinrichtung. Unternehmerische Freiheiten sind bei der konkreten Tätigkeit in einer stationären Pflegeeinrichtung kaum denkbar.

Selbstständigkeit kann nur ausnahmsweise angenommen werden. Hierfür müssen gewichtige Indizien sprechen. Bloße Freiräume bei der Aufgabenerledigung, zum Beispiel ein Auswahlrecht der zu pflegenden Personen oder bei der Reihenfolge der einzelnen Pflegemaßnahmen, reichen hierfür nicht.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze führten im konkreten Fall führten insbesondere die nachfolgenden, tatsächlichen Arbeitsumstände zur Annahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Der Betriebsablauf folgte einem Dienstplan mit Schichtzeiten, in die sich die „Honorarpflegekraft“ einordnete. Auch wenn der Dienstplan eine Auswahl von Einsatzzeiten vorsah, die ausschließlich für Honorarkräfte vorgesehen waren und längere Einsätze ermöglichten, waren sie insoweit gleichwohl in die Abläufe der betrieblichen Organisation einbezogen. Auch innerhalb des Schichtdienstes war die „Honorarpflegekraft“ in die strukturierten Betriebsabläufe eingegliedert. Die Arbeits- und Verbrauchsmittel wurden der „Honorarpflegekraft“ im Wesentlichen gestellt. Zur Überwachung war eine verantwortliche Pflegefachkraft eingesetzt. Die „Honorarpflegekraft“ hatte – nicht anders als beim Pflegeheim angestellte Pflegefachkräfte – ihre Arbeitskraft eingesetzt und hatte innerhalb der betrieblich vorgegebenen Ordnung – verglichen mit angestellten Pflegefachkräften – keine ins Gewicht fallenden Freiheiten hinsichtlich Gestaltung und Umfang ihrer Arbeitsleistung innerhalb des einzelnen Dienstes. Auch trug die „Honorarpflegekraft“ kein nennenswertes Unternehmerrisiko. Da es lediglich auf eine Betrachtung der konkreten Tätigkeit ankommt, ist das einzig in Betracht kommende Risiko der „Honorarpflegekraft“, von der Einrichtung keine weiteren Folgeaufträge zu bekommen, für die Frage ihres Status in der konkreten Tätigkeit irrelevant.

Das Bundessozialgericht stellte zudem ausdrücklich klar, dass an dieser Beurteilung auch ein Mangel an Pflegefachkräften nichts ändere: Die sowohl der Versichertengemeinschaft als auch den einzelnen Versicherten dienenden sozialrechtlichen Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht seien auch in Mangelberufen nicht zu suspendieren, um eine Steigerung der Attraktivität des Berufs durch eine von Sozialversicherungsbeiträgen „entlastete“ und deshalb höhere Entlohnung zu ermöglichen.

Praxishinweis

Das Urteil des Bundessozialgerichts schafft Rechtsklarheit – jedoch nicht im Sinne der betroffenen stationären Pflegeeinrichtungen und der auf selbstständiger Basis arbeitenden Pflegekräfte.

Es reiht sich nahtlos an die nur wenige Tage zurückliegende Entscheidung zur Sozialversicherungspflicht von Honorarärzten in stationären Klinikbetrieben ein (BSG, Urteil v. 04.06.2019 -B 12 R 11/18 R, vgl. hierzu https://www.leschnig.de/2019/06/07/absage-fuer-honoraraerzte-in-krankenhaeusern/).

Als Ergebnis kann kurz und knapp festgehalten werden: Honorarpfleger in stationären Pflegeeinrichtungen sind tabu – der Personalmangel in der Pflege kann die allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Regelungen nicht aushebeln!

Für Träger stationärer Pflegeeinrichtungen besteht dringender Handlungsbedarf. Denn als Sanktionen drohen nicht nur hohe Nachzahlungen an das Finanzamt und die Sozialversicherungsträger inklusive Säumniszuschläge/Zinsen für mindestens die zurückliegenden vier Jahre, sondern auch die Gefahr, ins Visier der Strafermittlungsbehörden zu geraten. Denn nach § 266a des Strafgesetzbuches (StGB) handelt es sich beim vorsätzlichen Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer um eine Straftat.

Neubeauftragungen von Honorarpfleger haben daher strikt zu unterbleiben. Laufende Verträge mit selbstständigen Pflegern sind schnellstmöglich zu kündigen. Hierdurch ist das Risiko für betroffene Pflegeheime jedoch nicht vollständig gebannt. Denn es steht zu befürchten, dass Betriebsprüfer infolge des BSG-Urteils zukünftig ein Augenmerk auf bereits abgeschlossene, noch nicht verjährte Beschäftigungen von Honorarpflegern legen.  Vertrauensschutz, etwa infolge von beanstandungsfreien Betriebsprüfungen in der Vergangenheit, steht einem solchen Vorgehen nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung nicht entgegen, es sei denn in einem früheren Prüfbescheid ist explizit die Beschäftigung eines Honorarpflegers thematisiert worden.

Das Fachkräfteproblem in der Pflegebranche wird durch das Urteils des Bundessozialgerichts noch verschlimmert. Kurzfristig haben Pflegeheime nur die Möglichkeit auf das sichere, aber teure Mittel der Arbeitnehmerüberlassung zurückzugreifen oder verwaltungsaufwendige und risikobehaftete kurzfristige Arbeitsverträge zu schließen. Langfristig bleibt zu hoffen, dass sich der Gesetzgeber endlich dieses Problems ernsthaft annimmt und die rechtlichen Rahmenbedingungen an die tatsächlichen Gegebenheiten anpasst.

Quelle: Terminvorschau/-bericht des BSG unter https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2019/2019_06_07_B_12_R_06_18_R.html

Das Bundessozialgericht verhandelte am 04.06.2019 das Verfahren über die Frage, ob es sich bei der Betätigung sogenannter Honorarärzte in Krankenhäusern um eine selbstständige Tätigkeit oder eine abhängige Beschäftigung handelt (Az. B 12 R 11/18 R).

Das Verfahren ist Teil eines Komprexes von insgesamt siebzehn Verfahren, in denen der Senat im Rahmen von Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV und Betriebsprüfungverfahren nach § 28p SGB IV über die Versicherungspflicht bei verschiedenen Gesundheitsberufen zu entscheiden hatte.

Der Begriff des Honorararztes ist nicht legaldefiniert. Er wird im Sprachgebrauch der Verfahrensbeteiligten verwendet, um Tätigkeiten zu bezeichnen, die die Vertragsparteien als freiberuflich bzw. selbstständig verstehen. Honorarärzte werden häufig nebenberuflich oder für eine Vielzahl von Auftraggebern, zeitlich auf Tage oder wenige Wochen befristet auf Basis individuell vereinbarter Einsätze und Dienste tätig. Oft werden sie über Agenturen vermittelt und arbeiten für einen vorher festgelegten Stundensatz, der üblicherweise deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten angestellten Arztes liegt. Die beim Senat anhängigen Revisionen betreffen Tätigkeiten im Operationsdienst (mit einem Schwerpunkt bei der Fachgruppe der Anästhesisten), im Stationsdienst (am Tag) und/oder im Bereitschaftsdienst (nachts und am Wochenende).

Die Landessozialgerichte haben in den zu entscheidenden Verfahren ganz überwiegend das Vorliegen einer (abhängigen) Beschäftigung und das Bestehen von Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung und teilweise auch in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) bejaht. In der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) besteht in der Regel Versicherungsfreiheit wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze.

Die Landessozialgerichte haben – mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung – auf die nach ständiger Rechtsprechung des Senats maßgeblichen Abgrenzungskriterien abgestellt und im Ergebnis ein Überwiegen der Indizien für abhängige Beschäftigung (Weisungsgebundenheit und Eingliederung) angenommen. Die Tätigkeit prägende unternehmerische Risiken lägen nicht vor.

In ihren Revisionen argumentieren die Ärzte und Krankenhäuser unter anderem, dass Honorarärzte im Krankenhaus nach der Verkehrsanschauung sowie krankenhausvergütungsrechtlichen Regelungen als Selbstständige mit freiem Dienstvertrag anerkannt seien. Die Höhe der Vergütung spreche deutlich für eine selbstständige Tätigkeit. Die Nichtbehandlung eigener Patienten liege im Krankenhaus in der Natur der Sache und sei kein verwertbares Indiz. Da Krankenhausärzte in ihrer ärztlichen Tätigkeit eigenverantwortlich handelten, bestehe eine Weisungsbefugnis nicht; der Eingliederung komme insoweit keine eigenständige, jedenfalls aber keine entscheidende Bedeutung zu.

Sachverhalt:

In der konkreten Entscheidung (B 12 R 11/18 R) betreibt der klagende Landkreis zwei Krankenhäuser als Eigenbetrieb.

Die Beigeladene zu 1) ist Fachärztin für Anästhesie und wurde ab Januar 2013 auf Grundlage eines so bezeichneten „Konsiliararztvertrags“ auf Honorarbasis wiederholt im Tag- und Bereitschaftsdienst der Krankenhäuser mit einem Stundenlohn von 80 Euro im Tagdienst und 64 Euro im Bereitschaftsdienst tätig. Sie war überwiegend im OP eingesetzt.

Im Oktober 2013 stellten der Kläger und die Beigeladene zu 1) bei der beklagten DRV Bund den Antrag, für die Tätigkeit in beiden Krankenhäusern jeweils festzustellen, dass eine Beschäftigung nicht vorliege. Nach Anhörung stellte die Beklagte fest, dass die Ärztin in beiden Kliniken im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig sei. Es bestehe Versicherungspflicht in der GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung.

Die dagegen gerichteten Klagen hatten vor dem SG Erfolg. Das LSG hat das Urteil des SG auf die Berufung der Beklagten aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Im Revisionsverfahren ist nur noch die Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung Streitgegenstand.

Mit seiner Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen § 7 Abs 1 SGB IV.

Entscheidung

Der Senat ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Tätigkeit so genannter „Honorarärzte“ regelmäßig in einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt wird und damit der Sozialversicherungspflicht unterliegt.

Der Versorgungsauftrag von Krankenhäusern, Vorschriften zur Qualitätssicherung im Krankenhaus und zum Patientenschutz sowie das Abrechnungswesen für Krankenhäuser bringen im Regelfall die Eingliederung ärztlichen Krankenhauspersonals in die Organisations- und Weisungsstruktur des Krankenhauses mit sich. Für eine nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehende selbstständige Tätigkeit müssen gewichtige Indizien bestehen. Zwingende Regelungen des Sozialversicherungsrechts können nicht dadurch außer Kraft gesetzt werden, dass Beschäftigungsverhältnisse als Honorartätigkeit bezeichnet werden. Die nach der ständigen Rechtsprechung des Senats geltenden Maßstäbe bei der Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit sind auch bei honorarärztlichen Tätigkeiten anzuwenden. Zwar weist die ärztliche Tätigkeit in einem Krankenhaus Besonderheiten auf. Dass Ärzte grundsätzlich frei und eigenverantwortlich handeln, lässt allerdings nicht ohne Weiteres auf eine selbstständige Tätigkeit schließen. Umgekehrt ist nicht allein wegen der Benutzung von Einrichtungen und Betriebsmitteln des Krankenhauses zwingend eine abhängige Beschäftigung anzunehmen. Indizien für eine die Tätigkeit prägende fremdbestimmte Eingliederung in den Betrieb eines Krankenhauses können aber in der Gesamtschau, jedenfalls wenn sie kumulativ vorliegen, insbesondere die Erbringung einer vom Krankenhaus geschuldeten (Teil-)Leistung innerhalb der vorgegebenen Organisationsabläufe, die Nutzung der Einrichtungen und Betriebsmittel des Krankenhauses und die arbeitsteilige Zusammenarbeit mit dem ärztlichen und pflegerischen Krankenhauspersonal in vorgegebenen Strukturen sein. Ein etwaiger Fachkräftemangel im Gesundheitswesen ist bei der gebotenen Gesamtabwägung nicht zu berücksichtigen.

Praxishinweis:

Wer derzeit mit Ärzten auf Honorarbasis arbeitet, hat Handlungsbedarf und sollte schnellstmöglich umstrukturieren.